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Eidgenössische Technische Hochschulen (ETH)

In der Schweiz werden zwei technische Hochschulen vom Bund geführt, die beide aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen. Während die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich von Anfang an eidgenössisch war, ist diejenige von Lausanne erst 1969 vom Bund übernommen worden.

Luftbild des Hauptgebäudes der ETH Zürich an der Rämistrasse, 1991 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv).
Luftbild des Hauptgebäudes der ETH Zürich an der Rämistrasse, 1991 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv). […]

Die 1855 eröffnete Eidgenössische Polytechnische Schule Zürich, so die ursprüngliche Bezeichnung der 1911 zur ETH aufgewerteten Institution, verdankte ihre Gründung einem doppelten Impuls: der Schaffung des schweizerischen Bundesstaates 1848 und dem im Gefolge der Industrialisierung rasch wachsenden Bedürfnis nach technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung auf Hochschulstufe. Nachdem das Projekt einer eidgenössischen Universität (Universität) am Widerstand der Kantone gescheitert war, konnte immerhin ein Polytechnikum mit Sitz in Zürich realisiert werden. Es umfasste zu Beginn fünf Fachschulen, nämlich für Architektur, Bau- und Maschineningenieurwesen (Ingenieurwesen), Chemie und Forstwissenschaft, und eine sechste Abteilung für Mathematik, Naturwissenschaften sowie allgemeinbildende «literarisch-staatswirtschaftliche» Fächer. Unter den Professoren der Anfangszeit, zu denen auch der Basler Gelehrte Jacob Burckhardt gehörte, spielten besonders liberal gesinnte ausländische Emigranten, wie etwa Gottfried Semper, der Architekt des 1861-1864 erbauten ETH-Hauptgebäudes, eine bedeutende Rolle; auch unter den Studierenden stellten Ausländer anfänglich die Mehrheit. Studentinnen waren lange Zeit ausschliesslich Deutsche und Russinnen; erst 1895 erlangte die erste Schweizerin ihr Diplom als Fachlehrerin in Naturwissenschaften.

Nach einer vorübergehenden Stagnation in den 1870er Jahren erfolgte eine kontinuierliche bauliche Erweiterung des Polytechnikums, gleichzeitig eine zunehmende innere Auffächerung durch Einführung neuer Lehrgebiete, wie zum Beispiel der Elektrotechnik, und die Übernahme neuer Aufgaben (Errichtung der Materialprüfungsanstalt 1880). Auch die Studentenzahlen stiegen an: Um 1900 wurde die Tausendergrenze, gegen Ende des Ersten Weltkriegs die Zweitausendergrenze überschritten. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg (Reglementsänderung von 1908) war der bislang stark schulisch geprägte Unterricht durch die Einführung von Normalstudienplänen akademischer gestaltet und dem Polytechnikum das Promotionsrecht in den technischen und Naturwissenschaften sowie in Mathematik verliehen worden. 1924 schliesslich erhielt die ETH ihre bis Ende der 1990er Jahre gültige Aufgliederung in zwölf Abteilungen (mit zunehmender innerer Differenzierung seit den 1980er Jahren).

Stand im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Ausbildung von technischen und naturwissenschaftlichen Fachkräften im Vordergrund, so erlangte im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts die Forschung, insbesondere auch im Grundlagenbereich, zunehmende Bedeutung. Mit dieser Entwicklung sind Professoren und Absolventen der Hochschule wie zum Beispiel die Physiker Wolfgang Pauli und Paul Scherrer, der Brückenbauer Othmar H. Ammann, der Chemiker Leopold Ruzicka oder die Humanwissenschaftler Carl Gustav Jung, Karl Schmid und Jean Rudolf von Salis verbunden. Auch mehrere Nobelpreise zeugen von der internationalen Anerkennung der ETH. Als einzige technisch orientierte Bundeshochschule bis 1969 spielte die ETH eine zentrale Rolle als Ausbildungsstätte der technisch-industriellen Führungskräfte der Schweiz sowie der Berufskader der Armee.

Einen besonders starken Wachstumsschub erfuhr die ETH zwischen den 1950er und frühen 1970er Jahren. So stieg die Zahl der Studierenden zwischen 1955, dem Jahr der Jahrhundertfeier, und 1979 von 2776 auf 6003, jene der Professoren von 105 auf 261 (2008: 15'083 Studierende, davon 4600 Frauen, 39 Professorinnen und 333 Professoren). In diese Zeit fällt auch die Errichtung eines zweiten Hochschulzentrums auf dem Hönggerberg, einem Stadtzürcher Aussenquartier. Die bahnbrechenden wissenschaftlichen Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg, etwa im Bereich der Teilchenphysik und Nukleartechnik (Physik), der Halbleitertechnologie, Elektronik und Informatik, der Molekularbiologie (Biologie) und Biotechnologie, prägten die ETH nachhaltig und führten zur Entstehung zahlreicher neuer Institute und Abteilungen, wobei zunehmend auch die transdisziplinären Bereiche (z.B. Werkstoffwissenschaft) bedeutsam wurden.

Luftbild der ETH Lausanne in Ecublens, 2001 © Alain Herzog, Lausanne.
Luftbild der ETH Lausanne in Ecublens, 2001 © Alain Herzog, Lausanne. […]

Diese Entwicklungen haben auch in der Lehre neue Studiengänge und eine Anpassung der Lehrinhalte notwendig gemacht. Dabei kam es nicht nur zu einer Vermehrung der Prüfungsfächer, einem Ausbau der Vertiefungsrichtungen und einem stark erweiterten Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten, einschliesslich zahlreicher Nachdiplomstudiengänge; angesichts der immer kürzeren Halbwertszeit positiven Wissens im Bereich der modernen Naturwissenschaft und Technik gewann vor allem die Vermittlung breiter Methoden- und Verfahrenskenntnisse immer mehr an Bedeutung. Auch neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen trug die ETH Rechnung, so zum Beispiel mit der Schaffung einer Abteilung für Umweltnaturwissenschaften und der Errichtung von Nachdiplomstudiengängen in Orts-, Regional- und Landesplanung sowie im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.

Mit der Übernahme der Ecole polytechnique de l'Université de Lausanne (EPUL) durch den Bund entstand 1969 eine zweite ETH, die Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). Hervorgegangen aus der bereits 1853 gegründeten Ecole spéciale de Lausanne, einer privaten Ausbildungsstätte für Ingenieure, wurde die spätere EPUL 1869 der waadtländischen Akademie (seit 1890 Universität Lausanne) angegliedert. 1969 zählte die technische Hochschule 55 Professuren und 1400 Studierende (1946 waren es 360). 1978 begann der Umzug in den neuen Hochschulkomplex in Ecublens (VD), der den rasch steigenden Anforderungen in Lehre und Forschung besser gerecht werden konnte als die Bauten im Cèdres in Lausanne. Auch als eidgenössische Hochschule bewahrte die EPFL ihren eigenen Charakter. Drei Bereiche seien beispielhaft hervorgehoben: der hohe Anteil ausländischer Studierender, insbesondere aus Asien und Nordafrika (von den knapp 2000 Studierenden im Jahr 1978 stammten 21% aus diesen Regionen); die ausgesprochen enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und der Universität Lausanne sowie die interdisziplinäre Kooperation mehrerer Departemente in ausgewählten Forschungsprojekten (projets d'école). Nachdem die Hochschule lange Zeit auf Elektrotechnik und Hydraulik spezialisiert war, liegen die Schwerpunkte seit Mitte der 1980er Jahre in den Gebieten der Mikrotechnologie, der Kommunikationssysteme und der Fusionsforschung. In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konnte die EPFL ein beachtliches Wachstum verzeichnen. 1998 zählte sie 210 Professoren und 4700 Studenten, davon fast 800 Frauen; 2008 waren 6476 Studenten eingeschrieben und von 261 Professoren waren 28 Frauen. 2002 hat die ETH Lausanne die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Lausanne übernommen. Die zwölf Departemente wurden durch fünf Fakultäten ersetzt. Mit Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie (z.B. Stammzellenforschung) sind neue Forschungsgebiete hinzugekommen.

Mit dem ETH-Gesetz von 1991 (in Kraft gesetzt 1993) wurde als Leitungsorgan des gesamten ETH-Bereichs der ETH-Rat geschaffen, dem heute die beiden Hochschulen in Lausanne und Zürich sowie vier eigenständige Forschungsinstitutionen (ehemalige Annexanstalten) unterstehen. Das Paul-Scherrer-Institut (PSI) ging 1988 aus der Vereinigung des Schweizerischen Instituts für Nuklearforschung mit dem Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung hervor. Die urspünglichen Schwerpunkte wurden sukzessive zugunsten der Festkörperforschung und Materialwissenschaft, der Biowissenschaft und Energieforschung zurückgedrängt. Heute ist das PSI eines der weltweit führenden Benützer-Labors; mit 1200 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von knapp 160 Mio. Franken ist es auch das grösste nationale Forschungsinstitut der Schweiz. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) ging aus der 1880 gegründeten Anstalt für die Prüfung von Baumaterialien hervor. Seit 1988 verlagerte sich ihr Tätigkeitsschwerpunkt von der Durchführung von Routineprüfungen zur anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung sowie Beratung. Die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (heute Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs, Eawag) wirkte bis in die 1950er Jahre vorab als Beratungsstelle für den Bau von Kläranlagen und spielte eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des ersten Gewässerschutzgesetzes von 1957. Heute widmet sie sich vor allem der interdisziplinären Grundlagenforschung im Sinne eines ganzheitlichen natur- und sozialwissenschaftlichen Verständnisses von Umweltproblemen. Auch die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hat ihre ursprünglichen Schwerpunkte – Waldbewirtschaftung und Holzverwertung – kontinuierlich in Richtung Bearbeitung umfassender ökologischer Fragestellungen erweitert.

Quellen und Literatur

  • Encycl. VD 5, 193-198
  • ETH 1955-1980, 1980
  • INSA 10, 232-245
  • Histoire de l'Ecole polytechnique Lausanne 1953-1978, 1999
  • Lehre und Forschung an der ETH Zürich, 2005
  • Die Zukunftsmaschine, Konjunkturen der ETH Zürich 1855-2005, hg. von D. Gugerli et al., 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Fleer; Hans Werner Tobler: "Eidgenössische Technische Hochschulen (ETH)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.11.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010419/2012-11-27/, konsultiert am 19.03.2024.