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Zehnt

Unter Zehnt (lateinisch decima, census [Dei], basilicanum) ist ursprünglich die Abgabe des zehnten Teils wirtschaftlicher Erträge und Einkünfte zu verstehen. In vielen Kulturen bekannt, wurde der Zehnt über das Alte und Neue Testament vom Christentum übernommen und seit frühchristlicher Zeit vor allem für kirchliche Einkünfte verwendet. Der Kirchenzehnt war eine Abgabe auf allen landwirtschaftlichen Erzeugnissen innerhalb eines territorial genau umrissenen Zehntbezirks zugunsten einer zehntberechtigten Pfarrkirche (Pfarrei). Von der Aufklärung an wurden die Zehnten zu den verachteten "Feudalabgaben" gezählt. Nach einem gescheiterten Versuch in der Helvetik wurden die Zehnten im Verlauf des 19. Jahrhunderts endgültig abgeschafft. Diese Ablösung, die in den einzelnen Kantonen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgte, wird im Artikel Feudallasten behandelt.

Mittelalter

Zehnt in der kirchlichen und weltlichen Gesetzgebung

Verschiedene Kirchenväter verlangten von den Gläubigen einen Zehnten auf freiwilliger Basis. Ab dem 5. Jahrhundert nahm die Forderung nach einer solchen Leistung zur Aufrechterhaltung der kirchlichen Infrastruktur und für karitative Zwecke zu. Nebst Synodalbeschlüssen gilt vor allem die karolingische Gesetzgebung als Grundlage für die Ausbreitung der Zehntverfassung im Frankenreich. Die Deutung des karolingischen Zehntgebots fällt schwer, weil unter anderem bereits im Frühmittelalter verschiedene Abgaben als decima bezeichnet wurden: Kirchenzehnt im engeren Sinn, Doppelzehnt (decima et nona) als Entschädigung der Inhaber verliehener Kirchengüter an die betroffene Kirche oder Fiskalzehnt auf Königsgütern. Erst die Bestimmungen des um 1140 entstandenen "Decretum Gratiani" lassen die Modellvorstellung von einer ausgebildeten, einigermassen flächendeckenden Zehntverfassung zu, bestehend aus territorial abgegrenzten Zehntsprengeln. Diese waren jeweils auf zehntberechtigte Tauf- bzw. Pfarrkirchen bezogen, was den Zehnten als Gegenleistung für Seelsorge und Sakramentspende ausweist.

Anfänge des Zehntwesens in der Schweiz

Für den alemannischen Nordosten der Schweiz, wo seit dem 9. Jahrhundert Zehnten in Herrscherdiplomen und St. Galler Urkunden erscheinen, wird neuerdings die Herausbildung einer fest gefügten und von der Grundherrschaft prinzipiell unabhängigen Pfarr- und Zehntorganisation nicht vor dem 11./12. Jahrhundert angesetzt. Ältere Zehntnennungen sind nach dieser Sichtweise eng an grundherrliche und königliche Güter geknüpft. Die Zehntforderung des Bischofs Haito von Basel (Anfang 9. Jahrhundert) und sein Verzicht auf einen Zehntdrittel zugunsten eines Viertelanteils könnte aber auf eine längere Vorgeschichte des hochmittelalterlichen Kirchenzehnts in diesem Gebiet hinweisen, auf ein frühes (eventuell vorkarolingisches) Zehntwesen nach kirchenrechtlichem Vorbild, das alle Gläubigen erfassen wollte und bei dessen Durchsetzung die Bischöfe eine wichtige Rolle spielten.

Für Churrätien belegt das sogenannte Churrätische Reichsgutsurbar (um 840) ein relativ dichtes Netz von Kirchen, an die Zehnten geknüpft waren. Diese bezogen sich meist auf eine oder mehrere Siedlungen, zum Teil explizit auf ganze Talschaften (Schams, Lugnez). Es handelte sich wohl nicht um Fiskalzehnten, sondern um eigentliche Pfarrzehnten. Für die Südschweiz rechnet man seit dem 5. Jahrhundert mit Pfarrkirchen mit festen Sprengeln (Pieve), an die zumindest seit karolingischer Zeit bindende Zehntrechte geknüpft waren. Frühmittelalterliche Belege für Zehnten fehlen aber.

Hinweise auf mögliche vorkarolingische Zehnten stammen aus der burgundischen Westschweiz. Die Zehntnennung der in verschiedenen Fassungen nachgefertigten Stiftungsurkunde König Sigismunds für Saint-Maurice (angeblich 515) ist aber problematisch, ebenso der Hinweis des Lausanner Chartulars (13. Jahrhundert), wonach Bischof Marius von Avenches 587 die Kirche Payerne mit decimae ausgestattet haben soll. Immerhin war Marius am Konzil von Mâcon zugegen, das zwei Jahre zuvor den Zehntzwang forderte.

Die unterschiedlichen Datierungen der Entstehung des Kirchen- oder Pfarrzehnten sind von Bedeutung, weil diesem oft eine Schlüsselrolle bei der Herausbildung der Pfarreien und gar der Dörfer zugeschrieben wird.

Zehntwesen und Herrschaft

Das Eigenkirchenwesen (Patronatsrecht), das im Schnittpunkt zwischen kirchlicher Gewalt und Grundherrschaft stand, führte früh zur Verweltlichung der Zehntverwaltung und Zehntnutzung, obwohl Kirche und Königtum ab karolingischer Zeit versuchten, Übergriffe der Grundherren auf den Kirchenzehnten sowie Zehntbesitz durch Laien zurückzubinden. Noch im späteren Mittelalter standen Zehnt- und Grundherrschaft in enger Wechselbeziehung. Kirchliche und weltliche Grund- bzw. Zehntherren konnten durch die Einverleibung von Zehnten Herrschaftsrechte auf freie Personen und deren Güter ausdehnen. Die herrschaftliche Durchdringung der Innerschweiz zum Beispiel erfolgte mancherorts wohl vor allem über Zehntrechte an Pfarrkirchen, deren Zehntgenossen und Gotteshausleute. Verkauf, Verleihung, Verpfändung, gewaltsame Aneignung und sicher auch Neuschaffung von Zehntrechten führten bis zum 15. Jahrhundert zur Diversifizierung des Zehntwesens.

Die Zehnten wurden vom Zehntherrn und seinen Amtsleuten selbst erhoben, jährlich neu verpachtet oder gegen eine fixierte Abgabe, die sogenannte Zehntkollekte, Drittpersonen zum Einzug überlassen. An diesen verschiedenen Formen der Zehntabschöpfung waren im Spätmittelalter neben dem herrschaftlich gebundenen Ministerialadel, dem Lokalklerus und Angehörigen der ländlich-dörflichen Oberschicht zunehmend auch vermögende Stadtbürger beteiligt. Oft wurden Zehnten wieder und wieder geteilt. Für das Kloster Saint-Maurice zum Beispiel sind bereits im 13. Jahrhundert Sechstel- und Achtelanteile bezeugt. Die komplizierten Besitzverhältnisse führten seit dem Hochmittelalter immer wieder zu Zehntstreitigkeiten. Vor allem seit dem 15. Jahrhundert kam es aber auch zu einer zunehmenden Monopolisierung von Zehntrechten. Damit hat das Zehntwesen zum Ausbau der Territorialherrschaft im Spätmittelalter beigetragen. Wie Beispiele aus der Innerschweiz nahelegen, dürften auch die Anfänge des diversifizierten Steuerwesens in den eidgenössischen Orten zum Teil an ehemalige Zehnteinkünfte angeknüpft haben.

Zehntwesen und Agrarwirtschaft

Erst die spätmittelalterlichen Rechnungsbücher, Abgaben- und Zehntverzeichnisse der Grundherrschaften lassen gesicherte Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung des Zehntwesens zu. Sie zeigen, wie seit dem 14. Jahrhundert Zehnten gegenüber anderen Einkünften an Terrain gewonnen haben. Im 15. Jahrhundert wurde zum Beispiel ein Drittel aller Getreideerträge des Zürcher Fraumünsters aus Zehnten erwirtschaftet. Die unterschiedlichen Zehnteinkünfte des Klosters St. Alban in Basel nahmen vom späten 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert um 50-100% zu. Ein Grund für diesen Anstieg war sicher eine Produktionssteigerung im Agrarsektor.

Allerdings ist in der Mediävistik umstritten, ob Zehnten direkte Rückschlüsse auf die Agrarproduktion erlauben. So liefert ein Teil der Quellen nur Soll-Einnahmen, während andere tatsächliche Einkünfte belegen. Die Bemessung des Zehnten erfolgte nicht immer proportional zum Ertrag. Weinzehnten zum Beispiel wurden in guten Weinjahren anscheinend über-, in schlechten unterproportional eingefordert. Erschwert wird die Auswertung der Abgabeverzeichnisse durch die häufigen Besitzverschiebungen von zehntpflichtigem Land und Zehntrechten. Auch die unterschiedlichen Arten der Abschöpfung und die Tatsache, dass Zehnten teilweise fixierte Werte darstellten, sind zu berücksichtigen. Markante Einbrüche der Zehnterträge, zum Beispiel des Klosters Rüti in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, sind weniger auf Agrarkrisen im Spätmittelalter als auf einen strukturellen Wandel der nordostschweizerischen Landwirtschaft zurückzuführen (Umstellung auf Viehzucht). Da ein Teil der Zehnten in Geld statt in Naturalien bezahlt wurde, ist für das Spätmittelalter ohnehin nicht mehr in jedem Fall vom Zehnttyp auf den Anbau der entsprechenden Agrarprodukte zu schliessen.

Hinsichtlich der Zehntarten herrschte im Mittelalter grosse Vielfalt: Bereits die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Gross- (meist Getreide, Wein) und Kleinzehnten (Gartenfrüchte, auch Jungtiere oder Heu) erfolgte nicht einheitlich und wird in der Forschung unterschiedlich erklärt. Sie wird im Spätmittelalter allmählich durch produktebezogene Zehnttypen ergänzt: Getreidezehnt, Weinzehnt, Heuzehnt, Jungtierzehnt, Käsezehnt, aber auch Zehnten auf spezielleren Produkten wie Leinen, Hanf, Flachs, Kastanien oder Honig. Daneben gab es Zehntformen, welche die rechtliche Qualität des Landes berücksichtigten: zum Beispiel Rodungs- bzw. Neubruchzehnten (Novalzehnten), Brach-, Allmendzehnten oder Pauschalabgaben für Einzelhöfe.

Frühe Neuzeit

Allgemeine Bedeutung

Der Zehnt gehört zu jenen Elementen des Mittelalters, welche sich die ganze frühe Neuzeit hindurch gehalten haben. Seine wirtschaftliche Bedeutung nahm sogar zu: Weil er anteilmässig festgelegt war, wuchsen die Zehnterträge mit der Ausdehnung der Getreideproduktion, während die Grundzinsen, die traditionell als unveränderbar galten, kaum mehr erhöht werden konnten. Für die Bauern des Mittellandes war der Zehnt die drückendste Naturallast. Gewöhnlich machte er ca. 10% des Bruttoertrags des Getreides und zum Teil auch anderer Produkte aus, je nachdem, welche Zehntarten neben dem Gross- oder Getreidezehnt bestanden (Wein-, Heu-, Früchte-, selten Jungtierzehnt). Eine etwas tiefere Zehntquote galt in der Waadt, wo die Bauern in der Regel nur den elften Teil, also 9%, des Getreideertrags abgeben mussten.

Von grosser wirtschaftlicher Bedeutung war der Zehnt auch für die Zehntempfänger: In den reformierten Kantonen, in denen die Zehnten in der Reformation verstaatlicht worden waren, machte er einen beträchtlichen Teil der Staatseinnahmen aus, der umso mehr ins Gewicht fiel, als die eidgenössischen Orte in gewöhnlichen Jahren keine direkten Steuern einzogen. In Zürich stammten am Ende des 18. Jahrhunderts über 20% der Staatseinkünfte aus den Zehnterträgen. In Bern war der Zehnt Haupteinnahmequelle geworden; fast drei Fünftel der bernischen Getreideproduktion mussten im ausgehenden 18. Jahrhundert dem Staat verzehntet werden, der seinen Zehntbesitz auch nach der Reformation durch Zukäufe vergrössert hatte. Im katholischen Luzern bezog der Staat zur gleichen Zeit nur knapp 5% der Zehnten, während an die kirchlichen Institutionen 90% gingen. Die Folge dieser fehlenden Einkünfte war, dass die katholischen Stände weniger Staatstätigkeit entfalten konnten als die protestantischen. Hingegen profitierten die Klöster und Stifte vom Wachstum der Zehnteinkünfte. Ohne die angestiegenen Zehnterträge (im Kloster Disentis verdoppelten sie sich im 17. Jahrhundert) hätte der barocke Kirchenbau in den Jahrzehnten um 1700 kaum finanziert werden können.

Was die Verbreitung des Zehnten betrifft, gibt es in der frühen Neuzeit einen deutlichen Unterschied zwischen den alpinen und voralpinen Regionen einerseits und dem Mittelland andererseits (Agrarzonen). In Ersteren wurde der Zehnt seit dem Spätmittelalter vielerorts abgelöst. Die "bäuerlich-kommunale Bewegung" (Jon Mathieu) war dort stärker als im Mittelland, wo die städtischen Obrigkeiten das Zehntsystem stützten. Zudem hatte die Hauptzehntfrucht, das Getreide, eine geringere Bedeutung in der inneralpinen, ganz besonders in der nordalpinen Landwirtschaft. Wurde es dennoch angebaut, waren die Äcker oft zerstreut; dies erschwerte die Kontrolle und verteuerte den Transport des Getreides. Im Tessin waren die Verhältnisse ähnlich: In den höher gelegenen Tälern, in welchen die Weidewirtschaft vorherrschte und der Ackerbau nur kümmerliche Erträge abwarf, wurden am Ende des 18. Jahrhunderts kaum mehr Zehnten eingezogen; im Mendrisiotto, Luganese und Bellinzonese war das Zehntsystem noch in Kraft, wobei viele Zehnten an den Bischof von Como gingen.

Die Akzeptanz des Zehnten

Die schwerste Erschütterung erfuhr das Zehntsystem zu Beginn der frühen Neuzeit. Bauern forderten, dass der Zehnt wieder seiner ursprünglichen Bestimmung, dem Unterhalt des örtlichen Seelsorgers, zugeführt werde. Die Klöster, welche einen Grossteil der Zehnten missbräuchlich an sich gerissen hätten, verloren nach reformierter Auffassung ohnehin ihre Existenzberechtigung. Die Lösung der Zehntfrage in den neugläubigen Stadtkantonen fiel für die Untertanen jedoch enttäuschend aus. Obwohl Klöster und Stifte säkularisiert wurden (Säkularisation), musste der Grosszehnt weiterhin entrichtet werden, sogar an die gleichen Institute, nur nicht mehr an einen klösterlichen, sondern an einen von der Obrigkeit eingesetzten Amtmann. Auch der Kleinzehnt wurde vielerorts beibehalten; manchmal wurde er in den Grosszehnten integriert, manchmal in einen festen Zins umgewandelt. Mehr Erfolg hatten die Bauern Graubündens: Im Ilanzer Artikel von 1526 wurde der Kleinzehnt abgeschafft, der Grosszehnt auf den fünfzehnten Teil reduziert und die Ablösbarkeit unter gewissen Bedingungen ermöglicht. In den katholischen Kantonen wurde der regelmässige Zehnteinzug dadurch erschwert, dass praktisch alle Klöster in eine schwere innere Krise geraten waren. Erst durch das Konzil von Trient, welches die Universalität und Generalität des Zehnten bestätigte, und durch die Reorganisation der Klöster im Gefolge der katholischen Reform festigte sich auch das Zehntsystem wieder. In den reformierten Orten ermöglichte die enge Verknüpfung von "Rathaus und Kathedrale" die Durchsetzung der Zehntabschöpfung besonders gut: In Bern wurde den Untertanen die Pflicht, der Obrigkeit Zinsen und Zehnten zu entrichten, mittels Katechismus eingeschärft.

Nach den Wirren der Reformation und der katholischen Reform wurde es um den Zehnten ruhig. Trotz der hohen Belastung, die aber insofern erträglich war, als dass sie sich nach dem Ernteertrag richtete, wurde der Zehnt kaum mehr grundsätzlich infrage gestellt. Das hohe Alter dieser Abgabe und die klaren Belegstellen im Alten Testament verliehen ihr eine feste Legitimationsbasis. In den Forderungskatalogen, die im Bauernkrieg von 1653 erstellt wurden, spielten die Zehnten eine untergeordnete Rolle. Mehr Unmut erregten die indirekten Steuern, die erhöhten Bussen und Gebühren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkannten die Ökonomischen Patrioten wirtschaftliche Nachteile im Zehnten, etwa den verminderten Anreiz zur Bodenverbesserung, weil auch der Mehrertrag verzehntet werden musste. Sie plädierten aber nicht für die Ablösung, sondern für die Umwandlung in einen festen Naturalzins. Die Einführung neuer Kulturpflanzen wie der Kartoffel und verschiedene Kunstgräser führte zu einer Zunahme der Zehntkonflikte. Unter dem Einfluss der Französischen Revolution konnten diese auch politische Sprengkraft annehmen: Aufsehen erregte die Verhaftung von Jean-Rodolphe Martin, Pfarrer von Mézières, der sich 1790 beim bernischen Landvogt für die Befreiung seiner Gemeinde vom Kartoffelzehnten eingesetzt hatte.

Zehntrecht, Einzugspraxis und Kulturwechsel

Bereits im Spätmittelalter lösten die städtischen Obrigkeiten die Zehntangelegenheiten immer mehr aus dem Zuständigkeitsbereich der geistlichen Gerichte, um darüber selber Recht zu sprechen. In den reformierten Orten wurde die geistliche Gerichtsbarkeit ohnehin abgeschafft, aber auch in den katholischen Kantonen urteilten in der frühen Neuzeit die Gerichte der weltlichen Obrigkeit bei Zehntstreitigkeiten. Bezüglich Einzugspraxis gab es ebenfalls keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Konfessionen. Sowohl die obrigkeitlichen reformierten Zehntherren als auch die Klöster versteigerten den Zehnten gewöhnlich an die Meistbietenden; beim Kloster Muri ist diese Praxis schon im 14. Jahrhundert nachgewiesen. Der Gewinn der hauptsächlich aus der dörflichen Oberschicht stammenden Zehntpächter (oder Zehntbesteher, Zehntbeständer) bestand in der Differenz zwischen dem, was sie abzugeben hatten, und dem, was sie effektiv einzogen.

Konflikte um den Zehnten entstanden oft beim Kulturwechsel, besonders wenn Bewirtschafter auf zehntpflichtigem Land vom Ackerbau abrückten, um etwas anderes zu produzieren. Die Zehntherren bevorzugten das lagerfähige, leicht vermarktbare und im Anbau vergleichsweise gut kontrollierbare Getreide. Der Wechsel auf Gras-, Gemüse- oder im 18. Jahrhundert auf Kartoffelbau hatte für sie markante Verluste zur Folge (Einschlagsbewegung). Das Zehntrecht aber gab den Zehntherren nicht das Recht, die Art der Kultur vorzuschreiben, nur der "böswillige" Nichtanbau war untersagt. In Verbindung mit anderen Rechten versuchten aber die Obrigkeiten trotzdem, den Getreidebau festzuschreiben. In Bern wurde dazu das Lehenrecht (Grundherrschaft) herangezogen, andernorts berief man sich auf das Zelgen- und Brachrecht (den sogenannten Flurzwang). In Luzern mussten Bauern, die Zelgenland einhegen wollten, vom Ende des 16. Jahrhunderts an eine Bewilligung des Zehntherrn einholen, bevor der städtische Rat seinerseits darüber entschied. Oft äusserten sie Bedenken, weil sie den Rückgang des Getreidezehnten befürchteten, bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts allerdings meistens zu Unrecht.

Zehnt und die Entwicklung der Getreideproduktion

Zehnterträge des Chorherrenstifts Beromünster 1484 -1700
Zehnterträge des Chorherrenstifts Beromünster 1484 -1700 […]

Für die Agrargeschichte der frühen Neuzeit kommt dem Zehnten eine hervorragende Bedeutung zu, weil er es ermöglicht, die mengenmässige Entwicklung der Getreideproduktion zu verfolgen, sofern die Zehntverhältnisse stabil waren. Bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Zehntreihen gibt es nur wenige. Die langfristige Entwicklung lässt sich in groben Zügen auch mit Urbaren oder Herrschaftsbeschreibungen rekonstruieren, in welchen sich oft Angaben finden, was der Zehnt "in gemeinen Jahren" eintrug. Das Bild, das die Zehntforschung vom Mittelland zeichnet, ist uneinheitlich: Während Markus Mattmüller anhand von Basler, Berner, Waadtländer und Zürcher Zehntreihen für den Zeitraum zwischen 1530/1579 und 1650/1689 eine Zunahme von nur 16% errechnet hat, zeigen Zehntwerte aus dem Kanton Luzern ein langfristiges Wachstum der Getreideproduktion im ungefähren Gleichschritt mit der Bevölkerungsentwicklung (im Gebiet der Kommende Reiden zum Beispiel stieg der Zehnt 1529-1682 auf das Dreieinhalbfache an). Auf die Frage, wie die stark wachsende Bevölkerung ihren Nahrungsspielraum langfristig sichern konnte, hat die Zehntforschung auf gesamtschweizerischer Ebene noch keine Antwort gefunden. Angesichts der divergierenden Ergebnisse stellt sich auch für die Frühneuzeit die Frage, ob die Zehnten wirklich in allen Regionen zuverlässige Agrarindikatoren waren.

Mehr Klarheit herrscht für das Ende des Ancien Régime: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist allgemein ein Rückgang oder zumindest eine Stagnation der Zehnterträge feststellbar. Der Getreidebau kam von zwei Seiten her unter Druck: Mit der Ausbreitung der Kartoffel nach 1750 gab es erstmals eine pflanzenbauliche Alternative zum Getreide. Zudem verschob sich die Preisrelation zwischen Getreide und tierischen Produkten (1740er bis 1770er Jahre) zugunsten der Letzteren, was Anreiz bot, Getreideflächen in Dauer- oder Wechselgrünland umzuwandeln. Die Grosszehnterträge können im ausgehenden 18. Jahrhundert zwar weiterhin als Kennziffern für die Getreideproduktion, aber kaum mehr für die agrarische Entwicklung insgesamt betrachtet werden.

Quellen und Literatur

Mittelalter
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Frühe Neuzeit
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  • Pfister, Bern
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Weblinks

Zitiervorschlag

Sebastian Grüninger; Andreas Ineichen: "Zehnt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008982/2015-01-25/, konsultiert am 15.03.2024.