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Kastvogtei

Schirmvogtei

Der Begriff Kastvogtei erscheint primär in den Quellen des alemannisch-schwäbischen Gebiets, erstmals 1130 (Diplom König Lothars III. in einer Abschrift des 15. Jh.), insbesondere aber im Spätmittelalter. Mit dem Hinweis auf das ihnen zustehende Amt des Kast(en)vogts beanspruchten in erster Linie angehende Landesherren die Schutzaufsicht über ein Kloster oder ein geistliches Stift. Dies erlaubte ihnen Eingriffe in die klösterliche Wirtschaftsführung (Kasten = Speicher), die Kontrolle über die dem Kloster oder Stift gehörende Gerichtsbarkeit und die Vertretung desselben gegen aussen und vor Gericht. Als Gegenleistung fielen dem Kastvogt aus der Kastvogtei Einkünfte zu.

Die Kastvögte – in Einzelfällen aber auch die Klöster und Stifte selbst – belebten damit wieder die «Hochvogtei». Diese ist im alemannisch-schwäbischen Raum seit dem 11. Jahrhundert belegt. Sie stand dem Haupt- oder Grossvogt zu, welcher die hohe Gerichtsbarkeit ausübte und gleichzeitig oberster Schirmherr des Klosters war. Rechtlich hat sie sich wahrscheinlich aus der erblich gewordenen karolingischen Amtsvogtei entwickelt. Sie erscheint als erbliche Stiftervogtei bei dynastischen Gründungen und bei Reformklöstern oder als Reichsvogtei (Reichsvogt) der deutschen Könige (Reichsklöster u.a. St. Gallen, Allerheiligen in Schaffhausen, Fraumünster in Zürich, Reichsstift Grossmünster in Zürich). Das Königtum versuchte, die hochvogteilichen Kompetenzen des Adels zurückzubinden. Dabei stiess es aber auf Widerstand wie zum Beispiel durch Graf Ulrich I. von Lenzburg, der sich 1036 gegen Zugriffe des Königs auf seine Stiftung Beromünster verwahrte. Die Hochvogteien der mittelalterlichen Klöster der Schweiz wurden deshalb faktisch meist von aufsteigenden Dynastenfam. (z.B. Zähringer über Zürich, Habsburger u.a. über Einsiedeln und Muri, Kyburger u.a. über St. Petersinsel) ausgeübt. Mit den dynastischen Erbgängen wechselten auch die Hochvögte der Klöster (z.B. Schänis von den Lenzburgern über die Kyburger an die Habsburger).

Im burgundischen Raum hatte sich die karolingische Amtsvogtei zum Teil anders entwickelt: Das Kloster Romainmôtier zum Beispiel kannte wie der ursprüngliche Raum der cluniazensischen Reform keine «Hochvogtei». Vielmehr war der Gerichtsvogt (advocatus) ein Klosterbeamter, während die Schirmvogtei (defensio) von regional einflussreichen Adligen ausgeübt wurde. Das Königtum versuchte dementsprechend von 1033 an, die Kompetenz in seiner Hand zu halten, die defensio über Romainmôtier zu delegieren. Payerne hingegen kannte zwar die «Hochvogtei», die freie Vogtwahl (983 erwähnt) stand aber ebenso wie die Investitur (ab 1153) formell dem Abt von Cluny zu. Dies konnte indes nicht verhindern, dass die Hochvogtei allmählich bei bestimmten Adelsfamilien fest verblieb. Schirmherr des Stifts Saint-Maurice war im 12. Jahrhundert Amadeus III. von Savoyen, während lokale Adlige, wie zum Beispiel die de Blonay, Gerichtsvögte über Teilgebiete des Stiftsbesitzes waren.

Was die Hochvogtei beim Adel so begehrt machte, war die Möglichkeit, über deren Kompetenzen die Wirtschaft der reichen Klöster und Stifte zu kontrollieren sowie (z.B. bei Abtwahlen) auf die Klosterpolitik Einfluss zu nehmen. Die Klöster versuchten auf verschiedenen Wegen, sich vor Übergriffen des Adels zu sichern: Sie fixierten vertraglich die jährlichen Einkünfte des Vogts und seinen Teil an Gerichtsbussen und Konfiskationen. Sie verlangten Schutzversprechen (Rüeggisberg 1288), den Verzicht auf Veruntreuung (St. Urban 1336), die Rückgabe von Veruntreutem (St. Petersinsel Anfang 14. Jh.) oder, im Fall der Reichsvogteien, Mitsprache bei deren Verleihung (den Königsschutz über die Abtei Trub übernahm 1286 im Namen des Königs die Stadt Bern).

Dennoch vermochten manche Landesherren im Spätmittelalter aus der Verfügungsgewalt über (Teile von) Hochvogteien und sogar über niedergerichtliche Untervogteien (Untervogt) Ansprüche auf die Kastvogtei abzuleiten (z.B. Integration Wettingens im 14. Jh. in die Landesherrschaft Habsburgs unter Wahrung formaler Vogtfreiheit). Die Kastvogtei erwies sich damit als wirksames Instrument zur Schaffung einer allgemeinen Schirmherrschaft. Sie diente zur Durchsetzung der Oberhoheit über die Ortsvögte (z.B. im habsburgischen Lehensverzeichnis von 1361), als Mittel zur weltlichen Kontrolle (z.B. Zürichs über das Kloster Kappel 1413) und zur Zwangsverwaltung (z.B. des Stifts St. Vinzenz 1490 durch Bern). Teilweise umgingen die Landesherren, gestützt auf die Kastvogtei, auch die Exemtion der geistlichen Institutionen. Sie erhoben in deren Herrschaften Steuern, nahmen Ausbürger auf und machten unter Umständen das Mannschaftsrecht geltend. In der Reformation erleichterte der Besitz der Kastvogtei die Säkularisation der bevogteten Institutionen. Mit der Verfestigung der Landesherrschaft (Territorialherrschaft) nahm die Bedeutung der Kastvogtei im 16. Jahrhundert ab.

Quellen und Literatur

  • Dt. Rechtswb. 7, 1974-83, 539-541
  • T. Endemann, Vogtei und Herrschaft im alemann.-burgund. Grenzraum, 1967
  • H.-J. Gilomen, Die Grundherrschaft des Basler Cluniazenser-Priorates St. Alban im MA, 1977
  • HS III
  • E. Tremp, «Feudale Gebärden im SpätMA», in Fälschungen im MA, Tl. 3, 1988, 675-710
  • LexMA 5, 1053
Weblinks

Zitiervorschlag

Erwin Eugster: "Kastvogtei", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.11.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027047/2014-11-26/, konsultiert am 29.03.2024.