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Aufklärung

Das Zeitalter der Aufklärung folgte auf die Epoche des Konfessionalismus und der Orthodoxie (Protestantische Orthodoxie, Katholische Reform). An die Stelle der dogmatisch bestimmten Denkkategorien trat die Überzeugung, dass die autonome menschliche Vernunft als letzte Entscheidungsinstanz über Wahrheit und Irrtum zu befinden habe. Alle bisherigen Erkenntnisse waren darum rationaler Kritik zu unterwerfen. Die Aufklärung postulierte Freiheit der Meinungsäusserung und Toleranz.

Die Frühaufklärung

Die Aufklärung erfasste, von England, den Niederlanden und Frankreich her kommend, die Schweiz relativ spät. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden die reformierten Landesteile immer stärker von einer aufklärerischen Haltung geprägt, welche orthodox-konfessionelle Vorstellungen abzulösen begann. Bis dahin war die Schweiz stark konfessionell bestimmt gewesen. 1712 standen die reformierten Vororte Zürich und Bern gegen die fünf katholischen Orte der Innerschweiz letztmals in einem Konfessionskrieg, dem Zweiten Villmergerkrieg, der mit einem klaren Sieg der Reformierten endete. Dieser Entscheid war zugleich ein Sieg der aufgeklärten Mentalität und der wirtschaftlich entwickelteren Gebiete.

Porträt von Jean-Antoine-Noé Polier und seiner ersten Frau um 1760. Öl auf Leinwand, keine Signatur, früher im Schloss Mézery (Musée historique de Lausanne).
Porträt von Jean-Antoine-Noé Polier und seiner ersten Frau um 1760. Öl auf Leinwand, keine Signatur, früher im Schloss Mézery (Musée historique de Lausanne). […]

Die frühaufklärerische Bewegung wurde in der Schweiz, die keinen zentralen Hof und keine zentrale Akademie kannte, von der geistigen Elite der reformierten Städte getragen, vornehmlich von der reformierten Geistlichkeit, die ihre Ausbildung an den Hohen Schulen (Akademien bzw. Kollegien) erhielt. Diese vermittelten eine solide «philosophische» Grundbildung. Der Unterricht war jedoch formal-humanistisch geprägt, und wer ein oder mehrere Semester an einer ausländischen Universität absolvierte, traf dort in der Regel auf eine modernere Richtung. Die Universität Basel, die einzige Universität in der Schweiz, war klein und diente fast nur noch der engeren Region.

Die Wende zur Aufklärung vollzog sich zuerst in Genf mit dem Theologen Jean-Alphonse Turrettini, der ab 1697 als Professor an der Akademie in aufklärerischer Geisteshaltung unterrichtete. Dann folgte der etwa gleichzeitige Wechsel in Neuenburg und in Basel unter der Führung von Jean-Frédéric Ostervald bzw. von Samuel Werenfels. Die drei genannten Theologen führten als sogenanntes Helvetisches Triumvirat ihre Kirchen zu einem humanistischen Christentum zurück. Die Strukturen der Kirchen blieben die traditionellen, aber der Geist, in dem gelehrt wurde, räumte vernunftgemässem Denken breiten Raum ein. Innerhalb des Protestantismus erfolgte ein Abbau der konfessionellen Schranken. Neue Kontakte zu Anglikanern und Lutheranern wurden aufgenommen, und man verzichtete auf antikatholische Apologetik. Die Sittenlehre, die Ethik, wurde ebenso wichtig wie der «richtige» Glaube. Dies bedeutete eine Abwertung der Orthodoxie und eine Abkehr von einem allzu harten Puritanismus, die man als «vernünftige Orthodoxie» (Paul Wernle) bezeichnen kann.

Die neue aufklärerische Einstellung drang von den 1730er Jahren an auch in Zürich und in der reformierten Ostschweiz durch. Im patrizischen Bern verschafften neben Albrecht von Haller die Brüder Niklaus Emanuel und Vinzenz Bernhard von Tscharner dem neuen Geist Eingang.

Bereiche und Besonderheiten der Aufklärung in der Schweiz

In theologischer Hinsicht legte die Aufklärung den Akzent auf die christliche Tat: Man entkleidete die biblische Offenbarung aller irrationalen Züge und begnügte sich mit einfachen, der Natur entsprechenden Lehrsätzen. Die Lebensführung hatte der Lehre zu entsprechen. Ursprünglich nahmen die Aufklärer gegenüber dem Pietismus eine ablehnende Haltung ein, obwohl auch er gegen die alte, steife Orthodoxie Stellung nahm. Mit der Zeit begegneten die «vernünftigen Orthodoxen» den Pietisten mit mehr Toleranz. Wenn aber aufklärerische Geistliche allzu frei feste Glaubenssätze in Frage stellten, so reagierten die offiziellen Kirchen mit Härte: Drei Geistliche wurden in Basel, Neuenburg und Zürich wegen zu «freigeistigen» Meinungen abgesetzt und des Landes verwiesen. Mit fortschreitender Aufklärung fanden sie jedoch später ihre Rehabilitation.

Titelblatt der Schrift Discours sur le bénéfice des loix von Jean Barbeyrac, veröffentlicht in Genf 1716 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne).
Titelblatt der Schrift Discours sur le bénéfice des loix von Jean Barbeyrac, veröffentlicht in Genf 1716 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne).

Parallel zu den theologischen Veränderungen vollzog sich in der Rechts- und Staatslehre die Rezeption des neuen Naturrechts. Mit diesem beschäftigte sich vorerst einmal die welsche Naturrechtsschule von Jean Barbeyrac in Lausanne, Jean-Jacques Burlamaqui in Genf und Emer de Vattel in Neuenburg. Ihr System basierte auf dem bon sens, dem «gesunden Menschenverstand», der allein die notwendigen Kriterien für das Weltverständnis anbieten konnte: Es postulierte unverletzliche Rechte und insbesondere die Freiheit des Gewissens. Sollten dem Menschen elementare Rechte genommen werden, so hatte er ein Recht auf Widerstand gegen die Tyrannis. Das Naturrecht galt für den Einzelnen wie für die Gesellschaft bzw. den Staat, der eine «natürliche Gesellschaft nach den Gesetzen der Gleichheit und Freiheit» sein sollte. Handelte der Mensch gemäss dem Naturrecht, so wurde er glücklich, die Glückseligkeit (Eudämonismus) aber war das Ziel der menschlichen Existenz. Diese Lehren der welschen Naturrechtsschule sollten übrigens eine politische Rolle in der nordamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung spielen: Deren Elite hatte die entsprechenden Bücher gelesen und verstand die britische Monarchie als Tyrannis, gegen die Widerstand rechtens war. Mit dem Staat, insbesondere mit der Republik, beschäftigte sich auch Isaak Iselin in seinen «Philosophischen und patriotischen Träumen eines Menschenfreundes» (1755) und Johann Georg Zimmermann in seinem «Nationalstolz» (1758). Es ging ihnen um die Freiheit der Meinungen, um die bürgerlichen Tugenden und um den Einsatz des Bürgers für die Werte der Republik.

Steintisch auf dem Lauteraargletscher von Caspar Wolf, um 1774 (Aargauer Kunsthaus, Aarau).
Steintisch auf dem Lauteraargletscher von Caspar Wolf, um 1774 (Aargauer Kunsthaus, Aarau). […]

Mit den philosophischen Überlegungen einher ging die Entwicklung der Mathematik und der Naturwissenschaften. Hier konnte man an Francis Bacon und René Descartes anknüpfen. Ausgangspunkt der neuen Methode war der Zweifel, die bedingungslose Kritik, die sich wiederum auf die Vernunft abstützte. An die Stelle der Berufung auf die aristotelischen Kategorien trat die Beweiskraft der mathematischen Evidenz und des wissenschaftlichen Experiments. Bahnbrechend waren hier die Basler Brüder Johann und Jacob Bernoulli sowie dessen Nachkommen. Die Bernoulli zählten bald zu den Mitgliedern aller grossen Akademien Europas. Aber nicht nur in Basel, sondern auch in Genf und Zürich fanden sich international bekannte Mathematiker und Naturwissenschaftler, zudem in Schaffhausen die Medizinerschule der Wepfer. Nach anfänglichen Widerständen, besonders gegen die Einführung des kopernikanischen Weltbilds, drang der aufklärerische Geist überall durch. Weil die Theologie mitmachte, wurde die wissenschaftliche Forschung in der Schweiz nicht in einen Gegensatz zu Christentum und Religion getrieben, wie dies in vornehmlich katholischen Ländern geschah, wo ein betont aufklärerischer Katholizismus den Kampf mit den reaktionären Kräften aufnahm. Die Wunder der Natur liessen sich fortan neben die biblischen Wunder stellen. In diesem Sinne arbeitete etwa der Genfer Naturforscher Charles Bonnet. Im 18. Jahrhundert entstand eine neue Forschungsrichtung: die Hochgebirgsforschung und insbesondere die Alpengeologie. Nirgendwo lag die Natur so offen da wie im alpinen Bereich, dessen Zentrum die Schweiz darstellte. Die neue Wissenschaft wurde zu einer besonderen Aufgabe der Schweizer, in Zürich gepflegt durch Johann Jakob Scheuchzer, in Genf durch Horace Bénédict de Saussure.

Porträt von Johann Jakob Bodmer. Koloriertes Mezzotintoblatt, gestochen von Johann Jakob Haid aus Augsburg 1752-1753 nach einem Bild von Johann Caspar Füssli (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Porträt von Johann Jakob Bodmer. Koloriertes Mezzotintoblatt, gestochen von Johann Jakob Haid aus Augsburg 1752-1753 nach einem Bild von Johann Caspar Füssli (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann). […]

Auch in der Literatur der Aufklärung zeigten sich Veränderungen. Das Signal gab der Berner Beat Ludwig von Muralt, als er in seinen «Briefen über die Engländer und Franzosen» (1725) Stellung nahm für die freie englische Welt des common sense gegen die artifizielle Welt Frankreichs im Zeitalter Ludwigs XIV. Die Krönung dieser Entwicklung bildete der «Versuch Schweizerischer Gedichte» (1732) des Albrecht von Haller, seine in poetischer Form gegossene aufklärerische Philosophie. Später folgten seine Staatsromane, in welchen er sich mit den klassischen Staatsformen auseinandersetzte und eine politische gemässigte Gesinnung vertrat, die derjenigen Montesquieus ähnlich war. Zürich wurde durch Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger zu einem neuen Zentrum der deutschen Literatur. Die «Zürcher» wandten sich gegen den altväterlichen Stil, den etwa Johann Christoph Gottsched in Leipzig vertrat. Die Schriftsteller der modernen Richtung – wie Christoph Martin Wieland und Friedrich Gottlieb Klopstock – schlugen sich auf die Seite der «Zürcher».

Auch der Rückgriff auf die Geschichte der Schweiz – als besonderer Fall einer Republik von Republiken – drängte sich auf. Bis dahin hatten die chronikalischen Darstellungen genügt. Die neue Konzeption verlangte aber im Sinne von Ashley Cooper Shaftesbury «Enthusiasmus» und «Sensualismus» auch für die historischen Untersuchungen. Diese wurden in der Schweiz vor allem durch Johann Jakob Bodmer vorangetrieben. Für ihn und seine Schüler war die Geschichte der Schweizer die «Lobrede» eines ganzen Volkes: Hervorgehoben wurden die Rechtmässigkeit ihrer Kriege, die Heiligkeit der Gesetze, der Verzicht auf territoriale Ausdehnung, die Tapferkeit und der Patriotismus ihrer Bürger und der demokratische Ursprung ihrer Verfassungen. Bodmer sah in der Schweiz einen Sonderfall. Dabei gingen vergessen oder wurden heruntergespielt: die Brutalität der Schweizer Kriegsführung, die Oligarchisierung der republikanischen Verfassungen, die militärische und später die wirtschaftliche Expansion sowie – trotz offizieller Neutralität – die Einordnung der Eidgenossenschaft in das französische Machtsystem. Noch radikaler als Bodmer ging Jean-Jacques Rousseau vor, der sich als Bürger der Republik Genf und damit auch als Schweizer verstand. Nachdem er zuerst mit einer vernichtenden Kulturkritik schockiert hatte, trat er später für einen gemässigten demokratischen Republikanismus ein. Er übertrug das Genfer Modell auf Europa, das er sich als eine föderalistische Organisation vorstellte. Der mündige Bürger sollte sich freiwillig der politischen Gemeinschaft, der volonté générale unterziehen, und durch die Bindung aller an das Gesetz sollte eine höhere Stufe von Freiheit und Gleichheit gewonnen werden.

An die allgemeine Aufklärungsphilosophie leisteten verschiedene Schweizer originelle Beiträge. Johann Georg Zimmermann entwickelte eine psychologische Analyse des Individuums in seiner Freiheit und Unabhängigkeit, d.h. in seiner inneren Glückseligkeit. Johann Georg Sulzer beschäftigte sich mit der Kindererziehung und forderte – lange vor Rousseau – deren Natürlichkeit. Isaak Iselin nahm das Gebiet der Universalgeschichte in Angriff. Er betrachtete die Geschichte der Menschheit als fortschreitende Bewegung von den primitiven Anfängen auf das humanitäre Ziel hin. Nationalistische Tendenzen – auch in der Schweiz – lehnte er ab. Der Theologe Jakob Wegelin, der «christliche Rousseau von St. Gallen», beschäftigte sich mit universal- und ideengeschichtlich ausgerichteter historischer Theorie.

Die neuen Theorien hatten praktische Auswirkung auf die allgemeine Erziehung und die Schule. Da die Volksschule mehr oder weniger obligatorisch war, erreichte die Bildung, auch auf dem Lande, ein beachtliches Niveau. Hier setzte unter anderem Johann Heinrich Pestalozzis Reformbewegung ein, die dann das 19. Jahrhundert prägen sollte. Zur pädagogischen Seite der Aufklärung gehörte im weiteren Sinne auch die Emanzipation der Frau. Sie hatte bisher ihren festen Platz als Hausmutter, aber keinen Anspruch auf Bildung. Das wurde anders, als in der Schweiz verheiratete Ausländerinnen oder auch einheimische Frauen in literarisch-philosophischen Zirkeln (z.B. Julie Bondeli in Bern) eine verfeinerte Geselligkeit einbrachten (Salon). In der Folge entstanden vielerorts literarisch-neusprachlich orientierte Mädchenschulen.

Die aufklärerische Bewegung in der Schweiz und ihre spezifisch schweizerische Konzeption lässt sich mit dem Begriff Helvetismus erfassen. Seine Eigenheiten sind die christliche Auffassung des Naturrechts, die patriotische Ethik, der philosophische Ansatz vom gesunden Menschenverstand her und die enge Verbindung mit ökonomischer und pädagogischer Praxis, unter anderem der Sinn für sparsames Haushalten. Alles gipfelte in der Verherrlichung der alpinen Natur – auch wenn die vielen grösseren und kleineren Städte des Mittellandes kulturell, politisch und wirtschaftlich in Führung standen. Die industrielle Entwicklung machte damals aus der Schweiz ein Land der Uhren und der Textilien, zwei Exportindustrien auf der Basis von Heimarbeit, die das Wesen der Schweiz veränderten. Dennoch sah man in ihr weiterhin das einzigartige Land der Alpen, mitten im sonst so flachen Europa. Diese Schweiz wurde im Sinne von Hallers «Alpen» als Hirtenland mit seinen besonderen republikanisch-föderalistischen Traditionen, Denk- und Lebensformen verstanden und verherrlicht.

Organisierte Aufklärung: die Sozietäten

Titelblatt des 28. Bands der Encylopédie d'Yverdon, publiziert 1773 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne).
Titelblatt des 28. Bands der Encylopédie d'Yverdon, publiziert 1773 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne). […]

Die Philosophie der Aufklärung fand eine gewisse Organisation und Breitenwirkung in den vielen mit der Bewegung neu entstandenen Sozietäten (Vereine) und Zeitschriften: Unter Letzteren nahm der Mercure suisse (1732-1784) mit seinen Berichten aus dem schweizerischen Geistesleben eine wichtige Position ein. Die Summe der schweizerischen Aufklärung gab die Encyclopédie d'Yverdon (1770-1780) wieder, die eine Alternative zur «extremen» Aufklärung der französischen Encyclopédie sein wollte.

Sozietäten fanden sich bald in fast allen Städten und Regionen der Schweiz. Sie waren getragen von der sozialen Elite des ganzen Landes. Europa wurde von einem Netz von Korrespondenzen überzogen, an welchem die Schweizer Aufklärer wesentlichen Anteil hatten. In der Regel dienten die Sozietäten praktischen, gemeinnützigen oder ökonomischen Zwecken. Lesegesellschaften sorgten für die Verbreitung allgemeiner literarischer Bildung. In ihren Räumlichkeiten konnte man sich durch Zeitschriften und Zeitungen über vieles in der Welt orientieren. Die ökonomischen Gesellschaften kümmerten sich in landwirtschaftlichen Regionen um die Verbesserung agrarischer Methoden. Im Schul- und Erziehungswesen ging es um die Modernisierung der Schulen aller Stufen. Ausserdem begann die Ausbildung, zum Beispiel in der Medizin, fachspezifischer und differenzierter zu werden.

Alle Sozietäten waren von der aufklärerischen Grundhaltung geprägt. So empfand sich die Helvetische Gesellschaft von Schinznach nicht nur als mehr oder weniger politisch motivierter Freundeskreis, sondern auch als geistige Ergänzung der eidgenössischen Tagsatzung. Tatsächlich waren die jährlichen Anreden ihrer Präsidenten Manifestationen aufklärerischer Einstellung. Bemerkenswert ist die Rolle der kurzlebigen Société des citoyens in Bern: Sie verstand sich als patriotische Gesellschaft zur Förderung aufklärerischen Gedankenguts. Mit der Preisverleihung an Abbé Mably (1763) und an Cesare Beccaria (1765) nahm sie öffentlich Stellung für eine aufklärerische Rechts- und Moralphilosophie.

Die Naturforschenden Gesellschaften (Gelehrte Gesellschaften) beschäftigten sich nicht nur mit den Problemen der Praxis, sondern ebenso sehr mit der Naturphilosophie. Diese basierte in der Aufklärung nicht mehr auf der Autorität der Antike (Aristoteles), sondern auf den Erkenntnissen der reinen Vernunft. Man glaubte an den unaufhaltsamen Fortschritt der Wissenschaft und verachtete die früheren Zeiten, vor allem das Mittelalter, das die Natur durch «finstere Brillen» betrachtet habe. Die nachhaltigste aufklärerische Organisation war die Freimaurerei. Logen entstanden zuerst in Genf (1736), Lausanne (1739) und Zürich (1740), später in Basel (1768). Die Freimaurer verstanden es, mit ihrem Ritual der Aufklärung eine feste Form zu geben.

Die Aufklärung in der katholischen Schweiz

Aquarell von Joseph-Emanuel Curty aus dem Recueil des antiquités trouvées à Avenches en 1783–86 von Charles-Aloyse Fontaine (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Ms. L 427).
Aquarell von Joseph-Emanuel Curty aus dem Recueil des antiquités trouvées à Avenches en 1783–86 von Charles-Aloyse Fontaine (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Ms. L 427). […]

Mit der verkürzten, oft gebrauchten und missverständlichen Wortverbindung «katholische Aufklärung» werden im deutschsprachigen Bereich die von der Aufklärung beeinflussten und gleichzeitig dem römisch-katholischen Glauben verpflichteten Denkrichtungen sowie deren Repräsentanten bezeichnet. Manchmal umfasst der Begriff auch noch kirchliche Reformtendenzen, die sich ausschliesslich auf andere Vorbilder und geistige Strömungen (z.B. mittelalterliche Autoritäten, Konzil von Trient, Jansenismus, Maurinismus) berufen. Diese gehören aber strenggenommen nicht dazu. Die Aufklärung trat selbst da, wo sie in der katholischen Eidgenossenschaft zeitweise Fuss fassen und eine Wirkung entfalten konnte, stets in einer gemässigten Form in Erscheinung. Sie war an Einfluss den stärkeren antiaufklärerischen Tendenzen meist unterlegen. Der Wahrheitsanspruch der römischen Kirche und der christlichen Offenbarung sowie die Religion als solche wurden überdies von den Aufklärern der katholischen Schweiz nie angezweifelt. Die Kritik radikaler Gesinnungsgenossen am Gottesbegriff und an den religiösen Institutionen wiesen sie zurück. Erst in der zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts prägte in katholischen Schweizer Städten, vor allem in Luzern und Solothurn, selten auch auf dem Land, aufklärerischer Patriotismus das Denken von Angehörigen der politischen Elite (Joseph Anton Felix von Balthasar, Josef Rudolf Valentin Meyer von Schauensee, Karl Müller-Friedberg) und des Weltklerus (Bernhard Ludwig Göldlin, Franz Philipp Gugger). Die Verurteilung der geistlichen Immunität, mit der die Forderung nach einer staatlich kontrollierten Kirche einherging, sowie die utilitaristische Anfechtung des kontemplativen Lebens der Mönche waren einer zustimmenden Aufnahme der Aufklärung in den Schweizer Klöstern grundsätzlich nicht förderlich. Immerhin zeigten sich die Benediktiner und Zisterzienser in der Regel der Aufklärung gegenüber aufgeschlossener als die Bettelorden. Die physikoteleologischen Konzepte der Leibniz-Wolffschen Philosophie wurden schon früh, selbst von Mendikanten und Jesuiten, obwohl nicht durchwegs zustimmend, aufgenommen. Dagegen war in den katholischen Gebieten die Wirkung der französischen und englischen Aufklärer, der Naturrechtslehre des Christian Thomasius und seiner Anhänger sowie des deutschen Idealismus eng begrenzt. Andererseits gingen von Schweizer Klöstern (St. Urban) und Weltgeistlichen wichtige Impulse zur Verbesserung des lokalen Unterrichtswesens, der Mädchen- und der Lehrerbildung aus, ebenso wie in diesen Kreisen historisch-quellenkritische und naturwissenschaftliche Forschungen betrieben wurden. Oft kamen Angehörige des geistlichen Standes und der patrizischen Oberschicht bereits während der Ausbildung und während ihren Auslandaufenthalten mit der Aufklärung in Kontakt, zum Beispiel als Theologiestudium im Collegium Helveticum. Zusammen mit gleichgesinnten weltlichen Patrioten wandten sich katholische Geistliche gegen die päpstliche Suprematie und den römischen Zentralismus. So setzten sie sich gegen die Luzerner Nuntiatur, vorerst mit geringem Erfolg, unter anderem für die Wessenberg'schen Reformen in Liturgie, Seelsorge und kirchlichem Unterricht ein. Der Volksaufklärung stand man, wie die katholische Landbevölkerung selbst, grundsätzlich ablehnend gegenüber. Zur ökumenischen Öffnung des kulturellen Lebens und zur besseren Verbreitung der aufklärerischen Literaturproduktion in den katholischen Orten trugen nicht zuletzt der interkonfessionelle Gedankenaustausch, vor allem mit Berner, Basler und Zürcher Gelehrten sowie mit protestantischen Pfarrern, die Mitgliedschaft und das Engagement von Katholiken in der Helvetischen Gesellschaft, die Gründung von lokalen, auch ökonomischen, Sozietäten und von Leihbibliotheken sowie das Entstehen von Zeitschriften und die interregionalen Verlagsbeziehungen bei. Erst mit dem Aufkommen des Liberalismus im 19. Jahrhundert entfaltete das Gedankengut der Aufklärung in den katholischen Landesteilen langfristig seine bis auf den heutigen Tag nicht unangefochtene politische Wirkung.

Auswirkungen und Nachwirken der schweizerischen Aufklärung im In- und Ausland

Die Schweiz galt bald als besonders gutes Beispiel aufklärerischer Haltung. So verliess sich der preussische König Friedrich II. im philosophischen Sektor seiner Berliner Akademie vor allem auf Schweizer (u.a. Johannes Bernoulli, Leonhard Euler, Johann Heinrich Lambert, Johann Bernhard Merian, Johann Georg Sulzer, Nicolas von Béguelin von Lichterfelde, Johannes von Müller), die einen Drittel aller Mitglieder der Akademie stellten. Sie zeichneten sich insbesondere aus durch die Verbindung des Rationalistischen mit persönlicher Ethik und dem Glauben an die moralische Weltordnung. Auch die russische Zarin Katharina II. bevorzugte für ihre Petersburger Akademie Schweizer. Ein Vorteil der deutschsprachigen Schweizer war unter anderem, dass sie mit der französischen Sprache, die an die Stelle des Lateinischen getreten war, gut vertraut waren.

Die ausgesprochen rationalistisch konzipierte Schweizer Aufklärung wurde in den 1770er Jahren durch den Sturm und Drang erschüttert. Der alt gewordene Rationalismus genügte nicht mehr. An seine Stelle trat die Romantik. Auch da leistete die Schweiz ihren Beitrag – sie war eigentlich ein «romantisches» Land, wie die vielen Reisenden feststellten. Unter anderem wurde nun auch das historische Denken neu konzipiert. Dies geschah insbesondere durch Johannes von Müller, der in seiner «Geschichte der Schweizer» (1780) in historistischer Art das Modell einer neuen nationalen Geschichtsschreibung (Historismus) vorlegte.

Die Aufklärung war eine Sache der gesellschaftlichen Elite. Es waren Patrizier und Stadtbürger – auch kleiner Munizipalstädte –, die mitmachten und mitgestalteten. Allerdings war das soziale System der alten Eidgenossenschaft nach wie vor ständisch aufgebaut, und es war unmöglich, die föderalistische Ordnung der dreizehn Orte zu unterlaufen. Erst die Helvetische Revolution und die militärischen Niederlagen machten 1798 Platz für neue, modernere Formen des Staats. Die Helvetische Republik von 1798-1803 war ein erster Versuch der Modernisierung in der Schweiz. Aber bis 1848 blieb die Schweiz zerrissen zwischen einer föderalistisch-konservativen und einer zentralistisch-fortschrittlichen Parteirichtung. Erst nach dem Sieg des Liberalismus im Sonderbundskrieg konnte die Schweiz 1848 dank einer neuen, ausgewogenen Bundesverfassung zur ersten modernen Republik Europas werden, die in demokratischer Art allen Kantonen die nötige Freiheit der Selbstgestaltung gab und gleichzeitig die notwendig gewordenen zentralen Einrichtungen schuf, ohne föderalistischen Traditionen allzu nahe zu treten.

Quellen und Literatur

  • U. Im Hof, Aufklärung in der Schweiz, 1970, (mit älterer Lit.)
  • HbSG 2, 724-750
  • S.S.B. Taylor, «The Enlightenment in Switzerland», in The Enlightenment in National Context, hg. von R. Porter, M. Teich, 1981
  • M. Therrien, «La pensée suisse française au dix-huitième siècle», in Travaux de littérature 4, 1991
  • U. Im Hof, Das Europa der Aufklärung, 1993 (21995)
  • S. Röllin, «Die Relativierung der konfessionellen Grenzen und Lebensformen im 18. Jh. unter dem Einfluss von Pietismus und Aufklärung», in Ökumen. Kirchengesch. der Schweiz, hg. von L. Vischer et al., 1994, 182-204, 337-339
  • J. de Viguerie, Histoire et dictionnaire du temps des Lumières, 1995
  • Les conditions de la vie intellectuelle et culturelle en Suisse romande au temps des Lumières", hg. von A. Dubois et al., 1996
  • Dictionnaire européen des Lumières, hg. von M. Delon, 1997
  • H. Marti, Klosterkultur und Aufklärung in der Fürstabtei St. Gallen, 2003
  • S. Zurbuchen, Patriotismus und Kosmopolitismus, 2003
  • F. Ackermann, Christian Franz Freiherr von Eberstein (1719-1797): ein gelehrter Domherr des Basler Domkapitels im 18. Jh., 2004
  • Le rayonnement d'une maison d'édition dans l'Europe des Lumières: la Société typographique de Neuchâtel, 1769-1789, hg. von R. Darnton, M. Schlup, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Ulrich Im Hof; Hanspeter Marti: "Aufklärung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.12.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017433/2012-12-04/, konsultiert am 28.03.2024.