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Bildersturm

Der Bildersturm erfasste zur Zeit der Reformation die ganze neugläubige Schweiz und war stark vom Beispiel Zürichs geprägt. Im Einflussbereich des Zwinglianismus, der sich bis in den süddeutschen und elsässischen Raum erstreckte, wurden Bilder so systematisch entfernt wie nirgendwo sonst in dieser Zeit. Ausgehend von Genf war der Calvinismus Träger einer zweiten Welle des Bildersturms, die vor allem Frankreich und die Niederlande stark beeinflusste.

Bildersturm als religiös motiviertes revolutionäres, unkontrolliertes Wüten der Volksmassen gab es in der Schweiz nur vier bis fünf Mal, und zwar immer unter ausserordentlichen politischen und sozialen Bedingungen: Der Ittingersturm 1524 war Ausdruck des bäuerlichen Protests gegen die ungerechte Behandlung des reformierten Prädikanten durch den katholischen Landvogt im Thurgau. In Basel 1529 war der Bildersturm Teil der damaligen Zunftrevolution. Die Verwüstungen der Abtei St. Gallen und der Stiftskirche in Neuenburg zielten jeweils symbolisch auf die bestehende Herrschaft. Auch der begrenzte Bildersturm in der katholisch gebliebenen Stadt Solothurn war Teil eines gewaltsamen Umsturzversuchs. Grundsätzlich gilt es demnach zu unterscheiden zwischen den vielen frühen Einzelaktionen, den zahlenmässig dominierenden, von der Obrigkeit verordneten Ausräumaktionen sowie den wenigen eigentlichen Bilderstürmen.

Entfernung und Vernichtung von Heiligenbildern in Zürich, Sommer 1524. Illustration aus einer Abschrift der Reformationsgeschichte Heinrich Bullingers von 1605/1606 (Zentralbibliothek Zürich).
Entfernung und Vernichtung von Heiligenbildern in Zürich, Sommer 1524. Illustration aus einer Abschrift der Reformationsgeschichte Heinrich Bullingers von 1605/1606 (Zentralbibliothek Zürich). […]

Von den ersten Anzeichen einer Bilderdiskussion bis zur endgültigen Räumung der Kirchen von Bildern und kultischen Zierden liefen die Ereignisse meist in zwei Phasen ab, welche je nach Region und Umständen in Einzelheiten variierten: Die Bilderfrage wurde in einer Predigt aufgeworfen und in Form von Thesen den Gelehrten zur Kenntnis gebracht. Die Verbreitung der Thesen begleitete die Einladung durch den Rat zu einer theologischen Diskussion. Sofort nach der ersten öffentlichen Predigt kam es zu spontanen Bildschändungen durch Einzelne oder kleine Gruppen, gefolgt von Anzeige, Anklage und gerichtlicher Untersuchung. Die Befragung der Beteiligten und Zeugen ergab meist ein klares Bekennen unter Angabe der Beweggründe. Die einen handelten überlegt aus religiöser Konsequenz. Zerstörerisches Handeln aus verwerflichen Motiven ― Spötterei, Lästerei, Trunkenheit, Nachtbubenstreiche ― wurde konsequent bestraft, ebenso Übergriffe auf privates oder kirchliches Eigentum. Unter den Aktivisten befanden sich Buchdrucker, Müller, Wirte, Handwerksgesellen, Hilfsarbeiter verschiedenster Berufe wie auch Bauern. In dieser ersten, mehrere Monate dauernden Phase entschied die Obrigkeit meist auf Abwarten. Die zweite Phase begann mit dem obrigkeitlichen Entscheid, die Kirchen, Kapellen und Strassen innerhalb des Bannkreises zu räumen. In der Stadt bestimmte der Rat eine Kommission, welche dafür sorgte, dass dies alles in Ruhe und Ordnung geschah. Stifter, Altar- und Kapellenbesitzer konnten ihr Eigentum im Voraus nach Hause holen. Was übrig blieb oder der gesamten Gemeinde gehörte, wurde von eigens dafür bezeichneten Handwerkern unter Aufsicht abgeräumt, zerschlagen, zerkratzt, übertüncht, verbrannt oder vergraben. In den Untertanengebieten wurden die Landvögte mit der Durchführung des Ratsbeschlusses beauftragt.

Aus nachreformatorischer Zeit ist noch ein Kirchenfrevel von 1717 im Kloster St. Gallen bekannt. Während der Revolutionszeit waren erneut Kulturverluste zu verzeichnen. Betroffen waren vor allem das Fürstbistum Basel (1793-1797), wo zum Beispiel das Kloster Bellelay zerstört wurde, sowie die vom Krieg 1799 tangierten Gebiete (z.B. Disentis). Im Gegensatz zu Frankreich entstand durch die Helvetische Revolution jedoch nur wenig Kulturverlust. Zu sozio-politischen Formen eines säkularisierten Bildersturms kam es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so im Jurakonflikt 1984, 1989 und 1990 gegen das Soldatendenkmal von Les Rangiers sowie 1986 gegen den Gerechtigkeitsbrunnen in Bern und während der 68-Bewegung sowie während den Jugendunruhen (1980-1981) gegen die Symbole des Kapitalismus. Seit den 1960er Jahren ist vermehrt kultureller Protest und Vandalismus gegen Exponate zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum festzustellen.

Quellen und Literatur

  • V. Buner, «Gottlieb Gaudars Kirchenfrevel im Kloster St. Gallen (1717)», in Gfr. 125, 1972, 126-159
  • M. Warnke, Bildersturm, 1973 (21977)
  • D. Gamboni, Un iconoclasme moderne, 1983
  • Bilderstreit, hg. von H.-D. Altendorf, P. Jezler, 1984
  • M. Körner, «Bilder als "Zeichen Gottes"», in Reformiertes Erbe, Fs. für G.W. Locher, Bd. 1, 1992, 233-244
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Körner: "Bildersturm", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.08.2004. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016545/2004-08-10/, konsultiert am 10.04.2024.