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Hofrecht

Als Rechtsform bildete sich das Hofrecht im frühmittelalterlichen Frankenreich aus (Mündlichkeit, Gewohnheitsrecht). Als Schriftquellen sind Hofrechte jedoch erst vom 11. Jahrhundert an belegt (Schriftlichkeit). Der Name Hofrecht (lateinisch ius curiae/curtis) verrät den engen Zusammenhang mit den Hofverbänden (Fronhof) der Grundherrschaft. Das Hofrecht ist wohl vor allem aus der Verfügungsgewalt des Hausherrn über Grundbesitz und die unfreien Haus- bzw. Hofgenossen hervorgegangen (Hausrecht). Die ältere Rechtsgeschichte hat daher zwischen dem «öffentlichen» Landrecht und dem Hofrecht als «privatem» grundherrschaftlichem Sonderrecht unterschieden. Dies ist jedoch problematisch, denn bedeutende, vor allem kirchliche Grundherren banden auch zahlreiche freie Personen an sich und erhielten durch königliche Immunitätsprivilegien rechtliche Befugnisse, die über ein so eng verstandenes Hofrecht hinausgingen.

Das Hofrecht beeinflusste die früh- und hochmittelalterliche Sozialordnung insofern, als es die Angehörigen einer Grundherrschaft bzw. eines Hofverbands in Ministerialen, Hofhörige und (in unterschiedlichem Masse abhängige) Bauern auf eigenen Hofstellen gliederte. Zur Anwendung kam es vor allem an den Hofgerichten im Frühjahr und Herbst, denen der Grundherr oder sein Stellvertreter (Vogt, Meier, Ammann usw.) vorsass. Das dem Hofrecht zugrunde liegende Fronhofsystem durchdrang den alemannischen Nordosten stärker als die burgundische Westschweiz. In der Südschweiz spielte es nur in langobardisch-karolingischer Zeit eine Rolle.

Als Quellengattung waren die Hofrechte vom 11. Jahrhundert an, wie die Grundherrschaft und die ländliche Sozialordnung insgesamt, einem Wandel unterworfen. Dem Idealtypus der älteren Hofrechte am nächsten kam die lex familiae Bischof Burchards von Worms. Wohl in Anlehnung an frühmittelalterliche leges (Germanische Stammesrechte) und Kapitularien wurden hier verschiedene Rechtsprobleme (Besitzrecht, Erbrecht, Eherecht, Strafrecht, Dienstrecht usw.) im gesamten grundherrschaftlichen Personenverband (Familia) geregelt. Wenig jünger dürfte das ius ecclesie des Klosters Luzern (St. Leodegar) sein, doch erfährt man davon nur indirekt über seine angeblich 1082 erfolgte Übernahme in das Hofrecht des Klosters Muri. Dessen Acta Murensia (kurz nach 1140) überliefern frühe hofrechtliche Bestimmungen aus dem Gebiet der Schweiz. Sie betrafen sowohl die Klostergemeinschaft mit ihren Hausknechten als auch die mit Huben und kleineren Gütern belehnten Bauern.

Im Hoch- und Spätmittelalter spaltete sich das Dienstrecht des Ministerialadels vom Hofrecht ab. Mit der Ausbreitung der Landesherrschaft wurde das Hofrecht zusätzlich durch deren Statutarrecht überlagert. Die gleichzeitige städtische und dörfliche Gemeindebildung erfolgte in einem wissenschaftlich umstrittenen Verhältnis zu den Hofrechtsverbänden; die Verbindungen zwischen Hofrecht, Stadtrecht und den dörflichen Offnungen waren je nach Herrschafts- und Siedlungsverhältnissen unterschiedlich stark. Nicht auf Hofrecht bauten die kommunalen Rechte (statuti, ordini) in der italienischen Schweiz auf (Langobardisches Recht).

Ältester Güterbeschrieb des Klosters Allerheiligen in Schaffhausen, um 1150 (Staatsarchiv Schaffhausen, Urkunden 1/74).
Ältester Güterbeschrieb des Klosters Allerheiligen in Schaffhausen, um 1150 (Staatsarchiv Schaffhausen, Urkunden 1/74).

Hofrechte im engeren Sinn beschränkten sich auf einen Hofverband oder ein Meieramt, doch kam es in und zwischen den Grundherrschaften zum Teil zu Rechtsangleichungen und Rechtsübertragungen. Inhaltlich im Vordergrund standen die aus der Leihe und der grundherrlichen Niedergerichtsbarkeit erwachsenen Rechte und Pflichten der Hofleute (Twing und Bann, Abgaben, Frondienste, Erbschaft usw.). Auch diese Form ländlicher Rechtsquellen ist Mitte des 12. Jahrhunderts in den Acta Murensia und im «ältesten Güterbeschrieb» des Klosters Allerheiligen angelegt. Sie dominierte die vielen spätmittelalterlichen Hofrechte in der Schweiz und ist auch für die Geschichte der ländlichen Sozial- und Wirtschaftsordnung von Bedeutung. Mit dem Wandel der Hofverbände zu Niedergerichtsbezirken (Gerichtswesen) verlagerten sich auch die Gewichte in den Hofrechten, indem zum Beispiel Frondienste an Bedeutung verloren, Güterübertragungen und Schuldrecht hingegen mehr Raum beanspruchten. In der Westschweiz kamen die plaids für einzelne Herrschaften in der Waadt und in der Grafschaft Neuenburg dem Charakter von Hofrechten am nächsten (Coutumes). Hingegen brachte die andersartige Rechtstradition der Südschweiz keine Rechtsquellen dieser Art hervor. In der frühen Neuzeit ging das Hofrecht im Wesentlichen im Dorfrecht und im Gerichtsrecht lokaler Niedergerichte auf.

Quellen und Literatur

  • Elsener, Ferdinand: Der Hof Benken. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der st. gallischen Dorfgemeinde, 1953.
  • Erler, Adalbert: «Hofrechtstheorie», in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1978, Spalten 215-216.
  • Werkmüller, Dieter: «Hofrecht», in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1978, Spalten 213-215.
  • Siegrist, Jean Jacques: Muri in den Freien Ämtern, Bd. 1, 1983, S. 31-76.
  • RösenerWerner: Grundherrschaft im Wandel. Untersuchungen zur Entwicklung geistlicher Grundherrschaften im südwestdeutschen Raum vom 9. bis 14. Jahrhundert, 1991.
  • Schulz, Knut: «Hofrecht», in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Spalten 77-78.
  • Zangger, Alfred: Grundherrschaft und Bauern. Eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchung der Grundherrschaft der Prämonstratenserabtei Rüti (ZH) im Spätmittelalter, 1991, S. 598-619.
  • Hildbrand, Thomas: Herrschaft, Schrift und Gedächtnis. Das Kloster Allerheiligen und sein Umgang mit Wissen in Wirtschaft, Recht und Archiv (11.-16. Jahrhundert), 1996, v.a. S. 163-185, 229-249.
Weblinks

Zitiervorschlag

Sebastian Grüninger; Alfred Zangger: "Hofrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.09.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016085/2023-09-18/, konsultiert am 28.03.2024.