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Geflügel

Die hinsichtlich der Fleisch-, Eier- und Federproduktion wichtigsten Arten des Hausgeflügels sind Huhn, Gans, Ente, Taube und Truthuhn. Jagd- und essbare Wildvögel wie zum Beispiel Fasan, Rebhuhn, Schnepfe und Wachtel werden als Wildgeflügel bezeichnet. Das Haushuhn (Haustiere) stammt vom südostasiatischen Bankivahuhn (Gallus gallus) ab und ist erstmals in der Indus-Kultur sicher belegt (3. Jt. v.Chr.). In Mitteleuropa erscheint das Haushuhn im 7.-6. Jahrhundert v.Chr., im Gebiet der heutigen Schweiz im 5. Jahrhundert v.Chr. am Übergang von der späten Hallstatt- zur frühen Latènezeit (Gelterkinden, Möhlin).

Illustration des Hahns in Konrad Gessners Vogelbuch, das 1557 bei Christoph Froschauer in Zürich publiziert wurde (Universitätsbibliothek Basel, Hd I 9:2, Fol. LXXVIv).
Illustration des Hahns in Konrad Gessners Vogelbuch, das 1557 bei Christoph Froschauer in Zürich publiziert wurde (Universitätsbibliothek Basel, Hd I 9:2, Fol. LXXVIv).

Archäozoologische Untersuchungen von Speiseabfällen aus römischen Stadtvillen (Augusta Raurica) zeigen, dass sich nur sozial besser gestellte Bevölkerungsschichten Hühner- bzw. Geflügelfleisch leisten konnten. Im Mittelalter gehörte die Abgabe von Hühnern und Eiern zu den üblichen bäuerlichen Zinsleistungen. Mit der Entrichtung des Hühnerzinses im Herbst oder auf die Fasnachtszeit hin (Fasnachtshuhn) wurde in erster Linie das bestehende Rechtsverhältnis zwischen Bauer und Grundherr bzw. Untertan und Obrigkeit (z.B. Vogt) anerkannt und bekräftigt. Die mittelalterlichen Haushühner waren damals – wie alle anderen Haustiere – von kleiner Grösse, vergleichbar den heutigen Zwerghühnern und den etwas grösseren, rebhuhnfarbigen Italienerhühnern. In seinem Vogelbuch von 1557 schildert Konrad Gessner ausführlich und zum Teil unter Berufung auf antike Autoren Lebensweise, Haltung, Zubereitung und volksmedizinische Bedeutung verschiedener Hausgeflügelarten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg das Interesse an der Geflügel- und speziell an der Hühnerhaltung an. Ausgehend von Veranstaltungen der Classe d'agriculture der Société des Arts von Genf wurde die Geflügelhaltung zuerst in der Westschweiz auch an landwirtschaftlichen Ausstellungen gezeigt (Landwirtschaft). Private und ornithologische Vereinigungen, deren Anzahl vor allem in den 1880er und 1890er Jahren stark zunahm, übernahmen die Förderung der Geflügelzucht. 1892 wurde der Schweizeische Geflügelzuchtverband gegründet (später Schweizerische Rassegeflügelzuchtverband). 1897 führte der Kanton Tessin die erste Geflügelzählung durch. Bei der ersten gesamtschweizerischen Geflügelzählung von 1918 wurden rund 2,4 Mio. Hühner ermittelt. Gemessen an der Anzahl Besitzer war die Geflügelhaltung der meist verbreitete Zweig der schweizerischen Tierhaltung (Viehwirtschaft). Dabei stand anfänglich die Selbstversorgung mit Eiern und gelegentlich mit Fleisch im Vordergrund. Im Jahr 2010 betrug der Hühnerbestand ca. 8,9 Mio. Tiere.

Geflügelhalter und Geflügelbestand 1918-2008

 GeflügelhalterNutzgeflügel (in Tausend)
  TotalHühnerGänse, Enten, Truthühner
1918251 7522 4052 38619
1921270 9343 2963 24749
1931281 7854 9184 86553
1941233 9493 7803 75228
1951262 1026 3086 24068
1961183 4846 0295 97554
1966139 2386 6276 58641
197392 0616 7366 69838
197878 0586 7306 68842
198372 8776 3536 31538
198862 5656 4176 35661
199339 7776 4106 227183
1998a22 932 6 566 
2003a18 299 7 445 
2008a14 660 8 474 

a nur Hühnerhalter und Hühner

Geflügelhalter und Geflügelbestand 1918-2008 -  Brugger, Hans: Die schweizerische Landwirtschaft 1914 bis 1980, 1985, S. 257, 259; Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Die vielfältigen Hühnerrassen werden vorzugsweise nach den Herkunftsländern und Herkunftsregionen benannt, wie zum Beispiel das Appenzeller Barthuhn, die Appenzeller Spitzhaube oder das weiss gefiederte Schweizerhuhn, welches 1905 aus weissen englischen Orpington und amerikanische Wyandotten herausgezüchtet wurde. Um die Jahrhundertwende wurde die Legeleistung der einheimischen Landrassen auf 50-70 Eier pro Jahr geschätzt. Das Italienerhuhn, die damals meist gehaltene ausländische Rasse, legte laut Schätzung 70-100 Eier pro Jahr. Veränderte Haltungstechniken (Boden- und Käfighaltung) und Spezialisierungen (Aufzucht-, Mast- und Legebetriebe) führten in den 1950er und 1960er Jahren zur Bildung von Grossbetrieben. Die darin gehaltenen Lege- und Masthybriden sind Kreuzungen aus ausgewählten Inzuchtlinien und müssen ab der zweiten Kreuzungsgeneration durch neue Tiere ersetzt werden. Sie stellen keine eigentliche Rassen mehr dar und werden nach den jeweiligen ausländischen Zuchtzentren benannt.

Zeitgleich mit der ersten Verbreitung des Huhns in Mitteleuropa erfolgte die Haltung von Gänsen. Neben der Fleischnutzung dienten sie der Gewinnung von Daunen. Gemäss Plinius dem Älteren lieferten die kleinwüchsigen, weissen Gänse aus Germanien die besten Daunenfedern für den römischen Markt. Trotz ihrer vielfältigen Nutzung erreichte die Gans aber nie dieselbe Bedeutung wie das Huhn. Das Truthuhn (Meleagris gallopavo) gelangte im 16. Jahrhundert aus Mittel- und Nordamerika nach Europa und dient heute ausschliesslich der Fleischproduktion. Die Ente, über deren Domestikation wenig bekannt ist, wurde ab dem Spätmittelalter bzw. der frühen Neuzeit zum echten Haustier, auch wenn sie sicher schon früher gehalten wurde.

Gemäss den Beschreibungen des römischen Agrarschriftstellers Columella (1. Jh. n.Chr.) war die Taubenhaltung bei den Römern weit verbreitet. Eine anatomische Unterscheidung zwischen der wild lebenden Felsentaube (Columba livia) und der domestizierten Haustaube ist nicht möglich. Da bei uns diese Taubenart jedoch erst ab römischer Zeit in den archäologischen Funden auftritt (Ersigen-Murrain, Avenches, Augusta Raurica), dürfte es sich dabei vermutlich eher um Haustauben handeln. Für das Mittelalter ist mit einer klösterlichen und spätestens ab dem 16. Jahrhundert mit einer extensiven bäuerlichen und städtischen Taubenhaltung zu rechnen. 1896 wurde auf Initiative des Militärs der Schweizerische Brieftaubensportverband gegründet. Die Armee betrieb bis 1994 einen Brieftaubendienst.

Quellen und Literatur

  • C. Gessner, Vogelbuch, 1557 (Faksimile-Nachdr. 1969)
  • H. Brugger, Die schweiz. Landwirtschaft 1850 bis 1914, 1978, 204-207, 301 f.
  • H. Hofmann, Die Tiere auf dem Schweizer Bauernhof, 1984, 214-245 (61992)
  • H. Brugger, Die schweiz. Landwirtschaft 1914 bis 1980, 1985, 257-263
  • M.A. Nussbaumer, J. Lang, «Die hochma. Haushühner (G. gallus f. dom.) aus dem Schloss Nidau», in Archäologie im Kt. Bern 1, 1990, 275-296
  • N. Benecke, Der Mensch und seine Haustiere, 1994, 362-399
  • SPM 4, 130-132; 5, 168
  • C. Olive, S. Deschler-Erb, «Poulets de grain et rôtis de cerf», in ArS 22, 1999, 35-38
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Lehmann: "Geflügel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.03.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013949/2015-03-26/, konsultiert am 28.03.2024.