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Kontinentalsperre

Von Napoleon I. am 21. November 1806 verfügte Wirtschaftsblockade des weitgehend unter französischem Einfluss stehenden europäischen Kontinents gegen Grossbritannien, die bis 1813 in Kraft blieb. Ein Handelsverbot für britische Industrieprodukte und Kolonialwaren und die Unterbindung der Getreideexporte nach den Britischen Inseln sollten den Hauptgegner in die Knie zwingen. 1807 blockierte Grossbritannien seinerseits die Häfen Frankreichs und seiner Verbündeten. Allerdings schädigte die 1810 verschärfte, durch Lizenzen und Schmuggel immer wieder durchbrochene Kontinentalsperre die britische Wirtschaft nicht schwerwiegend. Schon vor Einsetzung der Kontinentalsperre war die Schweiz der Mediation von den protektionistischen, auf die Ausschaltung der ausländischen Konkurrenz abzielenden Massnahmen Bonapartes betroffen: Am 29. Oktober 1803 wurden die Importe von Baumwollwaren nach Frankreich durch hohe Zölle erschwert und am 22. Februar 1806 völlig verboten (inklusive des Transits schweizerischer Manufakturprodukte durch Frankreich nach Spanien). 1804 untersagte Napoleon den Export von Hanf und Flachs aus Belgien und dem Elsass nach den 19 Kantonen, 1805 denjenigen von piemontesischer Rohseide. Nach erfolglosen Demarchen zugunsten der Textilindustrie schloss sich die Tagsatzung am 5. Juli 1806 dem französischen Importverbot für britische Handelsgüter an. Einzig die Einfuhr von Maschinengarn, dem Basisprodukt der schweizerischen Textilfabrikation, war mit Billigung der französischen Regierung weiterhin möglich. Der Vollzug wurde den Grenzkantonen übertragen und der Handelsverkehr an der Nord- und Ostgrenze auf 13 Zollstationen beschränkt. Damit hatte die Schweiz die Kontinentalsperre quasi vorweggenommen. Die für das Fortbestehen der Textilindustrie entscheidende rohe Baumwolle gelangte in den folgenden Jahren praktisch nur noch aus der Levante in die Schweiz. Kaufleute wie der Basler Christoph Merian beschafften auf Schleichwegen in Frankfurt und Leipzig Zucker, Kaffee und andere Kolonialwaren.

Mit dem Dekret von Trianon (5. August 1810) begann die zweite Phase der Kontinentalsperre: Sämtliche Kolonialwaren mit Ausnahme der französischen wurden mit einem Zoll von bis zu 50% ihres Werts belastet. Das Dekret von Fontainebleau (19. Oktober 1810) schrieb die öffentliche Verbrennung britischer Waren vor, was im Fürstentum Neuenburg geschah. Sondergerichte bekämpften den Schleichhandel. Sequester auf Kolonialwaren und britischen Manufakturprodukten und ein von Italien, Baden, Württemberg und Bayern verhängtes Exportverbot von Kolonialwaren und levantinischer Baumwolle in die Schweiz führten in der Ostschweiz (v.a. im Toggenburg) zu Arbeitslosigkeit und trieben verschiedene Handelshäuser in Basel und Zürich in den Ruin. Italienische Truppen besetzten am 31. Oktober 1810 mit Billigung Napoleons unter dem Vorwand der Bekämpfung von Schmuggelumtrieben den Kanton Tessin. In dieser für die Existenz der Eidgenossenschaft bedrohlichen Lage zentralisierte der Landammann der Schweiz, Niklaus Rudolf von Wattenwyl, das Zollwesen an der Landesgrenze, was die Tagsatzung am 18. Juli 1811 nachträglich sanktionierte. Diese Massnahme blieb bis 1813 in Kraft. Die Wareneinfuhr war nur noch an insgesamt 24 Zollstationen möglich, der Glarner Niklaus Heer wurde Oberaufseher der eidgenössischen Grenzanstalten. Von Wattenwyl erreichte mittels eines dringlichen Appells, in dem er auf die prekäre wirtschaftliche Lage der 19 Kantone hinwies, dass Napoleon Ende Dezember 1810 den Import von Levante-Baumwolle wieder zuliess und die Rheinbundstaaten 1811 ihre Transitsperre aufhoben.

Die Kontinentalsperre brachte der schweizerischen Textilindustrie nicht bloss Nachteile. Der Ausschluss der britischen Konkurrenz vom kontinentalen Markt förderte die Entwicklung der mechanischen Baumwollspinnerei in der Schweiz. 1808 setzte eine Gründungswelle ein, die die Zahl der Betriebe im Kanton Zürich bis 1814 auf 60, im Kanton St. Gallen auf 17, im Appenzellerland auf sieben ansteigen liess. Sich am britischen Vorbild orientierende Unternehmer wie Johann Caspar Zellweger in Trogen oder Hans Caspar Escher in Zürich fanden trotz der französischen Handelshemmnisse in Deutschland neue Absatzmärkte und erzielten während der Kriegskonjunktur hohe Gewinne. Gleichzeitig verzögerte die Kontinentalsperre den völligen Niedergang der Handspinnerei. Nach dem Sturz Napoleons und der Aufhebung der Kontinentalsperre überfluteten preisgünstige britische Baumwollwaren den Kontinent und lösten in der Eidgenossenschaft, die sich nicht durch protektionistische Massnahmen schützen konnte, 1816-1817 eine schwere Wirtschaftskrise aus.

Quellen und Literatur

  • B. de Cérenville, Le système continental et la Suisse 1803-1813, 1906
  • W. Bodmer, Die Entwicklung der schweiz. Textilwirtschaft im Rahmen der übrigen Industrien und Wirtschaftszweige, 1960, 275-303
  • HbSG, 860-862
  • P. Gern, «Approche statistique du commerce franco-suisse de l'An V à 1821», in Studien und Qu. 7, 1981, 77-118
  • Dictionnaire Napoléon, hg. von J. Tulard, 1989, 219-239
  • J.-F. Bergier, Wirtschaftsgesch. der Schweiz, 21990, 202-211
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Fankhauser: "Kontinentalsperre", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.10.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013928/2008-10-30/, konsultiert am 29.03.2024.