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Motorrad

Unter einem Motorrad versteht man ein in der Regel zwei- , seltener auch dreirädriges offenes Fahrzeug, das von einem Motor angetrieben wird und auf dem eine oder zwei Personen Platz finden. Die Voraussetzungen für die Konstruktion eines funktionstüchtigen Motorrads waren am Ende des 19. Jahrhunderts erfüllt. Damals stand erstmals ein Benzinmotor zur Verfügung, der die nötige Leistung entwickelte und trotzdem leicht genug war, um in den Rahmen eines Fahrrads eingebaut zu werden. Auch wenn man dem Motorrad seine Herkunft vom Fahrrad noch lange ansah, so entwickelte es sich doch schon früh zu einem eigenständigen Fahrzeug. Die Federung und der breite Sattel machten es bequem, der niedrige Schwerpunkt und die starken Bremsen halbwegs sicher, die leistungsfähigen Motoren schnell und die mehrgängigen Getriebe geschmeidig. Fussbretter und -rasten traten in den 1920er Jahren an die Stelle der Trettpedale, der Kettenantrieb verdrängte den anfänglichen Riemenantrieb und der Kick- den Pedalstart bzw. das Anschieben. Die Motorradtechnik machte auch in der jüngsten Vergangenheit Fortschritte. So sorgten unter anderem Neuerungen wie der elektrische Anlasser, das Helmstaufach und das stufenlose automatische Getriebe dafür, dass sich die Zahl der Roller vervielfachte und allein zwischen 1990 und 2004 von ca. 12'000 auf fast 230'000 Stück anstieg.

Motorradfahrer vor dem Genfer Sekretariat der Union motocycliste suisse auf Sunbeam-Motorrädern. Fotografie von P. Geiselhard, um 1925 (Schweizerisches Nationalmuseum).
Motorradfahrer vor dem Genfer Sekretariat der Union motocycliste suisse auf Sunbeam-Motorrädern. Fotografie von P. Geiselhard, um 1925 (Schweizerisches Nationalmuseum).

Die schweizerische Motorradindustrie, die aus der Fahrrad-, Uhren- und Maschinenindustrie hervorging, spielte auch international eine beachtliche Rolle und brachte mehrere grosse Marken wie Allegro (Neuenburg), Condor (Courfaivre), Forster (Hinwil), Moser (Saint-Aubin-Sauges), Moto-Rêve (Genf), Motosacoche (Genf), Universal (Willisau) und Zehnder (Gränichen) hervor. Motosacoche und Zedel (Saint-Aubin-Sauges) lieferten ihre Motoren auch an andere, zum Teil ausländische Hersteller. Die meisten Motorradfabriken verschwanden in der Krise der 1930er oder zu Beginn der 1950er Jahre. Einige konzentrierten sich auf andere Produkte (Fahrräder, Rasenmäher, Flugzeugbestandteile, Heizkörper), andere wurden von eigenständigen Produzenten zu Importeuren ausländischer Fabrikate.

Die Zahl der Motorräder in der Schweiz stieg von 126 1902 auf 5504 1914 und 46'421 1930. Wirtschaftskrise und Krieg drückten den Bestand auf 4148 Stück (1945). 1960 gab es 291'326, 1980 808'813 und 2004 769'687 Stück (353'103 Motorräder, 187'629 Mofas, 228'955 Roller). Vor dem Ersten Weltkrieg verkehrten mehr Motorräder als Automobile, da sie schnelles Fortkommen für relativ wenig Geld gestatteten. Auch war der Unterhalt eines Motorrads billiger (keine Garage, geringer Benzin- und Reifenverbrauch). Während der Personenkraftwagen bis in die 1950er Jahre ein bürgerliches Fahrzeug blieb, sass schon in den 1920er Jahren auf jedem dritten Motorrad ein Arbeiter. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg stellte der Kauf eines Motorrads oder eines Rollers für viele Arbeiter den ersten Schritt in die Motorisierung dar. Viele Fahrer in der Zwischenkriegszeit waren Mechaniker oder Schlosser, welche die damals noch häufigen Pannen selbst behoben. Die Pannenanfälligkeit war mit ein Grund dafür, dass die Frauen – ausser auf dem Soziussitz – nur selten auf einem Motorrad zu sehen waren, bis der Roller in den 1990er Jahren gross in Mode kam. Das Image des Motorrads als Sportgerät, auf dem sich typisch männliche Tugenden wie «Kaltblütigkeit» und «Draufgängertum» ausleben liessen, erschwerte den Zugang für Frauen zusätzlich. Zwar wurde das Motorrad schon früh von Handelsreisenden und Pendlern benutzt, es behielt aber seinen Charakter als sommerliches Freizeitvehikel, Selbsterfahrungsmaschine und Sportgerät im Gegensatz zum Auto bis heute. Die Motorradfahrer schlossen sich entweder den Auto- und Fahrradverbänden an oder organisierten sich auf regionaler Basis, manchmal auch markenweise wie in den Motosacoche-Clubs. Schon 1914 entstand als Dachverband die Union motocycliste suisse, die bis 1955 Rundstreckenrennen organisierte und für die Rennlizenzen zuständig war. Mehrere Motorradweltmeister kamen aus der Schweiz wie zum Beispiel Luigi Taveri, Rolf Biland oder Thomas Lüthi. Die Clubs unterstützten auch die Fachzeitschriften («Der Motor», «Das Motorrad», «Moto») und vertraten die Interessen der Fahrer in der Politik (Besteuerung, Haftpflicht, Fahrausbildung, Lärm- und Abgasvorschriften). Motorradfahrer verstehen sich auch heute noch als Mitglieder einer speziellen Gemeinschaft und winken sich auf Landstrassen gegenseitig zu.

Quellen und Literatur

  • Dok. der Schweiz. Fachstelle für Zweiradfragen (Solothurn)
  • H. Krackowizer et al., Töff-Land Schweiz, 1992
  • A. Cortat, Condor, 1998
  • C.M. Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils 1895-1930, 2002
Weblinks

Zitiervorschlag

Christoph Maria Merki: "Motorrad", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.01.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013903/2009-01-08/, konsultiert am 29.03.2024.