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Mühlen

Mühlen sind Anlagen zum Zerkleinern von unterschiedlichen Rohstoffen (z.B. Getreide-, Öl-, Säge-, Stein-, Pulver-, Walk- und Papiermühlen), im engeren Sinn zum Mahlen von Getreide zu Schrot, Griess und Mehl. Getreidemühlen sind die ältesten technisierten Einrichtungen mit grosser Verbreitung, die sich in der frühen Neuzeit zum kapitalistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeunternehmen und vom 19. Jahrhundert an zur kapitalintensiven, hochtechnisierten Inlandindustrie entwickelten (Müllerei).

Prähistorische Handmühlen mit Mahl- und Reibstein (z.B. Funde vom Greifensee) belegen das Zerreiben von Getreidekörnern zur Brei- und Brotherstellung schon für die neolithische Zeit. Gallorömische Wassermühlen sind in Avenches (1. Jahrhundert) und in Cham (2. Jahrhundert) archäologisch nachgewiesen. Schriftliche Quellen belegen eine Wassermühle 563 in Genf und vom 9. Jahrhundert an weitere im schweizerischen Mittelland. Im 13. Jahrhundert bestand dort bereits ein dichtes Netz an Mühlen, das sich auf spätere Rodungsgebiete ausdehnte. Dagegen ist im Gebiet der Schweiz bis heute nur eine einzige Windmühle bezeugt (Lutry, Ende 17. bis zweite Hälfte 18. Jahrhundert in Betrieb).

Mühlen und Herrschaft

Die grundherrliche Oberschicht, welche die hohen Baukosten aufbrachte, nutzte die Schlüsselstellung der Mühlen in der Nahrungsmittelversorgung zur Kontrolle des dörflichen Wirtschaftslebens. Keine Herrschaft war ohne Mühlen; solche standen bei jeder Burg, jedem Kloster und jedem Fron-, Ding- oder Meierhof. Stadtherren legten Mühlen an, die später an die Stadt oder an Bürger übergingen. Grundherren liessen Mühlen durch Eigenleute betreiben oder verliehen sie, unter anderem als Mannlehen, an den Dienstadel und an Stadtbürger, die sie an Berufsmüller in kurzfristiger Leihe unterverliehen. In Randlagen entstanden ab dem 13. Jahrhundert bäuerlich-genossenschaftliche Kleinmühlen ohne Leihestatus. Mit der Erbleihe wurden Mühlen vererbbar, was Mühlenbesitzer langfristig um ihren Einfluss brachte, sodass im 17. Jahrhundert kurzfristige Pachten um höheren Zins oder Regiebetrieb insbesondere bei städtischen Grossmühlen aufkamen.

Mühlen zählten zu den beliebtesten Investitions- und Pfandobjekten der Grundherren. In der Krise der Grundherrschaft im 14. und 15. Jahrhundert setzte mit dem Rückgang des Ackerbaus der Abgang von Mühlen ein. Mit dem Kauf von Herrschaften kamen Mühlen an die Landesherren. Infolge der wirtschaftlichen Belebung im 16. und 17. Jahrhundert wurden – gestützt auf Bodenfunde oder Urbareinträge – abgegangene Mühlen wieder errichtet und neue gebaut, doch nunmehr von Bauern und Müllern als Eigentümern.

Mühlenrecht

Das Mühlenrecht (ius molendinarum oder molendinum) entwickelte sich mit dem Recht des Grundherrn auf Fluren und Wasserläufe. Die Alemannenrechte des 8. Jahrhunderts vermerken dessen Recht, mit Rücksicht auf Nachbarrechte Mühlen zu bauen und Dritten den Mühlenbau zu bewilligen oder zu verbieten (Gewerbebann). Wie andere grundherrliche Gewerbe, zum Beispiel Tavernen, waren Mühlen konzessionspflichtige Ehaften. Die Konzession betraf die ganze Anlage, also die maschinelle Einrichtung, die Anzahl der Mahlwerke, die Nebenbetriebe, die Wassernutzung und die Kanalanlage. Das Recht haftete am Grundstück (Mühlehofstatt), nicht am Gebäude. Zerfiel dieses, so blieb die Ehafte und damit das Recht zum Neubau erhalten.

Bis in das 16. Jahrhundert erteilten Grund- und Niedergerichtsherren Mühlenkonzessionen. Im 17. Jahrhundert wurde ihnen dieses Recht von den Territorialstaaten abgesprochen, die es als obrigkeitliches Recht (nicht als Regal) ausübten. Die Konzession kostete den Neumüller eine Gebühr (Kanon) und den jährlichen Zins (vom Wasserfall). Änderungen wie Betriebserweiterung oder Standortwechsel waren konzessionspflichtig. Gegen eine Konzessionierung konnten benachbarte Müller Einspruch erheben.

Bis in das 19. Jahrhundert waren Mühlen per se Kundenmühlen. Als öffentliche Dienstleistungsbetriebe waren sie verpflichtet, das Mahlgut ihrer Kunden für einen fixen Lohn zu mahlen. Umgekehrt genossen sie Vorrechte, unter anderem auf die Wasserzufuhr vor der bäuerlichen Bewässerung. Bann- oder Zwingmühlen verfügten über das Mahlmonopol im Gerichtsbezirk gegenüber fremden Müllern. Ohne diesen Konkurrenzschutz dehnten Müller ihren Kundendienst auf das Gebiet von Nachbarmühlen aus.

Als Ehaften unterstanden Mühlen ab 1803 der kantonalen Gewerbegesetzgebung; erst die Einführung der generellen Handels- und Gewerbefreiheit in der Bundesverfassung von 1874 brachte das Ende des Ehaften-Status bzw. des Monopols vieler Mühlen. Im Ersten Weltkrieg kamen die Mühlen im Kontext der wirtschaftlichen Landesversorgung erstmals unter Bundesaufsicht, die bis 2001 bestand.

Lage der Mühlen

Der Standort von Mühlen wurde durch die Nähe zu Kornbau, Wasserläufen und fahrbaren Wegen bestimmt. Da Getreidebau bis in die Neuzeit auch im Hügel- und Berggebiet zur Selbstversorgung gehörte, entstanden Mühlen dort wie im Kornland. Die Lage am Wasser war entscheidend: Die meisten Mühlen lagen nicht am Fluss oder Bach, sondern an Kanälen, die eine Regulierung der Wassermenge erlaubten und Schutz vor Geschiebe gewährleisteten. Weiher dienten als Rückhaltebecken für saisonale Wassernot. Die Mühlen der an Seeausflüssen gelegenen Städte Genf, Zürich, Luzern und Thun entstanden an Strassenbrücken oder eigens für sie konstruierten Mühlstegen am oder im Fluss. In Genf und Zürich querten mehrere mühlenbesetzte Brücken Rhone bzw. Limmat. An grösseren Flüssen wurden dort, wo Seitenbäche und Kanäle fehlten, auch Schiffmühlen betrieben; solche Anlagen sind ab dem 15. Jahrhundert am Unterlauf der Aare und am Hochrhein bezeugt.

Mühlen auf dem Limmatsteg, Ausschnitt aus dem Plan der Stadt Zürich. Holzschnitt von Jos Murer aus dem Jahr 1576, kolorierter Nachdruck um 1700 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).
Mühlen auf dem Limmatsteg, Ausschnitt aus dem Plan der Stadt Zürich. Holzschnitt von Jos Murer aus dem Jahr 1576, kolorierter Nachdruck um 1700 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich). […]

Unerlässlich für die Mühle war die Zufahrt, die besonderen Rechtsschutz genoss. Schlechte Verkehrsverhältnisse erzwangen die Verarbeitung nahe von Produzent und Kunde, was im Mittelalter und der frühen Neuzeit – verglichen mit heute – zu einer enorm hohen Mühlendichte führte (z.B. im Kanton Luzern 1695 117 Mühlen; 2001 3). Wegen der Nähe zum Wasser lagen Mühlen meist im oberen Ortsteil oder ausserhalb, zum Teil in eigenen Etterbezirken. Viele waren stattliche Steinbauten und verfügten über grosse Hofareale.

Einrichtung, Nebenbetriebe

Schon mittelalterliche Mühlen galten als kapitalintensive Betriebe. Für die maschinelle hölzerne Einrichtung, das Mühlenwerk, waren Zimmermann und Mühlenwagner zuständig. Der hohe Holzbedarf war aus dem privaten Mühlenwald zu decken.

Das Mühlenwerk bestand aus einem äusseren und einem inneren Werk. Zum äusseren Werk zählten die vertikalen Wasserräder: Flussmühlen hatten bei geringem Gefälle und grosser Wassermasse sogenannt unterschlächtigen Antrieb (d.h. das Wasser trieb auf die unteren Schaufeln des Rads zu), die meisten Mühlen bei mittlerem Gefälle und Wassermenge dagegen mittelschlächtigen Antrieb, wobei das Rad in einer Radkammer (Kett) lief. Bei hohem Gefälle strömte wenig Wasser von einer Holzrinne (Kännel) oberschlächtig auf das Rad. Die schon im Spätmittelalter erwähnten Kanalanlagen (Kanal, Wehr, Schleusen) mussten wie das Mühlenwerk vom Müller unterhalten werden.

Das innere Werk umfasste die Mahlgänge (Mahlhaufen) und hölzerne Kamm- oder Zahnräder zur Kraftübertragung zwischen Wasserrad und Mahlsteinen mittels einer Holzachse (Wendelbaum). Der Mahlgang bestand aus zwei kreuzweise gerillten Mahlsteinen – dem feststehenden Boden- und dem rotierenden Läuferstein –, dem Mehlkasten mit Klopfwerk, der das Mehl von der Kleie trennte, und dem Kleiekotzer. Korn wurde im Schälgang (Rölli) entspelzt, im Schrotgang (Stampfe oder Bleue) geschrotet und im Mahlgang zu Mehl gemahlen; oft wurde ohne Schroten gemahlen.

In alpinen Mühlen in Graubünden, im Tessin und Wallis liefen horizontale Wasserräder. Das in Känneln zugeleitete Wasser trieb mit hohem Druck das in einer Kammer unterhalb des Mahlgangs befestigte Wasserrad ähnlich wie eine Turbine an.

Die Schiffmühlen waren mehrheitlich zweischiffig: Der grössere Schiffskörper, das Hausschiff, trug das Mahlwerk, der kleinere, das Wellschiff, das zweite Lager des zwischen den Schiffen laufenden Rads. Gelegentlich waren aber auch zwei Räder zwischen den Schiffen hintereinander angeordnet (z.B. die Barzmühle in Zurzach, 19. Jahrhundert). Es gab aber auch einen einschiffigen Typus, auf dem auf jeder Seite je ein Rad angebracht war.

Mühle im Val d'Hérens. Holzschnitt von Ludwig Dill aus Kaden Woldemars Werk Das Schweizerland. Eine Sommerfahrt durch Gebirg und Thal, 1875-1877 (Fotografie Jean-Marc Biner).
Mühle im Val d'Hérens. Holzschnitt von Ludwig Dill aus Kaden Woldemars Werk Das Schweizerland. Eine Sommerfahrt durch Gebirg und Thal, 1875-1877 (Fotografie Jean-Marc Biner). […]

Die Basisausrüstung von Kleinmühlen bestand aus Schäl- und Mahlgang, für deren Antrieb ein Wasserrad genügte. Ab dem 16. Jahrhundert hatten Mühlen mehrheitlich zwei Mahlgänge, grössere Mühlen deren drei und nur Grossmühlen mehr als drei. Schon im Spätmittelalter waren vielen Mühlen Nebenbetriebe angegliedert, die am Wasser liefen, aber keine Ehaften waren: Schrotmühlen für Brei- (Hafer, Hirse, Gerste) und Brotgetreide, Reibmühlen (Ribi) zum Quetschen der Hanfstengel und Sägereien (Säge). Stampf- und Reibmühlen lagen unter dem Dach der Mühlen oder wie Sägereien und Haferdörranlagen (Haferdarren) in separaten Bauten. Auf Städte beschränkt waren Gewürz- und Tabakstampfen.

Mühlentechnik des 19. und 20. Jahrhunderts

Die technischen Einrichtungen von Mühlen wurden vom 16. bis ins 18. Jahrhundert zwar gelegentlich – z.B. nach Bränden – erneuert, aber in der Anlage selten verändert. Verbesserungen betrafen Details, im 18. Jahrhundert zur Qualitätsverbesserung das Beuteln (Sieben) des Mehls vorab in städtischen Mühlen, was diesen die Bezeichnung "deutsche Mühlen" eintrug. Die hölzernen Zahnräder und Achsen wurden durch gusseiserne ersetzt.

Doch erst die Walzmühle, eine schweizerische Erfindung, revolutionierte die moderne Müllerei: Anfang des 19. Jahrhunderts konstruierten Helfenberg in Rorschach und Müller in Luzern erste Walzenstühle mit eisernen Walzen anstelle der Mahlsteine, Ingenieur Johann Jakob Sulzberger in Frauenfeld verbesserte die Neuerung 1834. Dem Problem des grossen Verschleisses der noch zu weichen Walzenoberflächen suchten die Maschinenfabrik St. Georgen bei St. Gallen Ende 1840er Jahre mit Stahlwalzen und die Firma von Abraham Ganz in Budapest in den 1850er Jahren mit geriffelten Hartgusswalzen abzuhelfen. Erfolg brachten jedoch erst die von Friedrich Wegmann 1873 erfundenen und von der Maschinenfabrik Oerlikon produzierten Porzellanwalzen bzw. die von Ganz nach dem System von Wegmann gebauten Hartgusswalzen.

Die Firma J. Maggi & Cie Zürich stellte 1876 als erste ganz auf Walzenstühle um. Von da an erfolgte die Modernisierung rasch, sodass die Werke der schweizerischen Mühlenunternehmen schon kurz nach 1900 dem neuesten Stand der Technik entsprachen. Laufende technische Neuerungen betrafen die Lagerung (Lüftung), Getreideaufbereitung (trockene oder nasse Reinigung), Konditionierung (Entzug oder Zugabe von Wasser), automatische Förderung des Mahlgutes zwischen den verschiedenen Mahlgängen und Elektrifizierung. Mit der hochtechnisierten, leistungsstarken Müllerei ging die Zahl der Mühlen kontinuierlich zurück.

Nach 1950 wurden an verschiedenen Orten Mühlenräder und alte Mahlgänge restauriert und Mühlen als Museen zugänglich gemacht, unter anderem die Mühle in Unter-Brüglingen in der Gemeinde Münchenstein, die unterirdischen Mühlen am Col-des-Roches (Le Locle) sowie die Mühle in Ftan. Das Mühlerama in Tiefenbrunnen (Zürich) zeigt den elektrifizierten Walzenbetrieb auf dem Stand von 1913. Die Vereinigung Schweizer Mühlenfreunde, die sich für den Erhalt der Getreidemühlen und anderer historischer Wasserkraftanlagen einsetzt, wurde 2000 gegründet.

Quellen und Literatur

  • Hürlimann, Fritz: «Neolithische Handmühlen von einer Ufersiedlung am Greifensee», in: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte, 52, 1965, S. 72-86.
  • Dubler, Anne-Marie: Müller und Mühlen im alten Staat Luzern. Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des luzernischen Landmüllergewerbes 14. bis 18. Jahrhundert, 1978.
  • Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, 1984, Spalten 716-722.
  • Salamin, François: Die Mühlen von St. Luc, Val d'Anniviers, 1986 (französisch 1986).
  • Elmshäuser, Konrad; Hägermann, Dieter et al.: «Mühle, Müller», in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Spalten 885-891.
  • Castella, Daniel: Le moulin hydraulique gallo-romain d'Avenches «En Chaplix». Fouilles 1990-1991, 1994.
  • Broillet, Philippe: La Genève sur l'eau, 1997, S. 241-244 (Die Kunstdenkmäler des Kantons Genf, 1).
  • Pelet, Paul-Louis: A la force de l’eau. Les turbines de bois du Valais, 1998.
  • Barraud Wiener, Christine; Jezler, Peter: Die Stadt Zürich I. Stadt vor der Mauer, mittelalterliche Befestigung und Limmatraum, 1999, S. 181-195 (Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Neue Ausgabe 1/1).
  • Senn, Marianne: «Neues zur römerzeitlichen Mühle von Hagendorn. Eisenfunde und ihre Bedeutung für die Siedlungsinterpretation», in: Tugium, 17, 2001, S. 91-98.
  • Romy, Bernard: Le meunier, l'horloger et l'électricien. Les usiniers de la Suze 1750-1950, 2004, S. 29-58, 225-274 (Intervalles, 69-70).
  • Mottu-WeberLiliane: «Du moulin à foulon au "moulin à broyer le chocolat". Rivalité et adaptations dans l’utilisation de la force hydraulique du Rhône à Genève (XVIe-début du XIXe siècle)», in: Paquier, Serge (Hg.): L'eau à Genève et dans la région Rhône-Alpes, XIXe-XXe siècles, 2007, S. 25-41.
  • Vischer, Daniel L.: «Schiffmühlen auf dem Alpen- und Hochrhein», in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 125, 2007, S. 55-66.
  • Dubler, Anne-Marie: Die Mühle Büron im Surental und ihre wechselvolle 900-jährige Geschichte, 2023.
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Mühlen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 31.05.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013884/2012-05-31/, konsultiert am 28.03.2024.