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Arbeitsbeschaffung

Unter Arbeitsbeschaffung versteht man das meist von öffentlichen Verwaltungen, gelegentlich auch von gemeinnützigen Institutionen getragene Ersatzangebot an Arbeitsplätzen im Falle von Arbeitslosigkeit, ursprünglich vor allem durch Notstandsarbeiten, später zunehmend durch Subventionen, Steuererleichterungen oder öffentliche Aufträge für Privatbetriebe. Gaben zuerst nur sozialpolitische Motive den Ausschlag (Einkommen für Arbeitslose, Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess, Kontrolle von Arbeitswilligkeit und Arbeitsfähigkeit, nötige Arbeitstage für die Arbeitslosenversicherung), so kamen mit der wesentlich von John Maynard Keynes geprägten Theorie seit den 1930er Jahren wirtschaftspolitische Ziele dazu: Zusätzliche Einkommen sollen den Konsum erhöhen und so über Multiplikatoreffekte die Wirtschaft ankurbeln (Konjunktur). Weitaus die meisten Massnahmen richteten sich bisher an Männer.

Bau des grossen Beckens im Seebad Bellerive in Lausanne, Aufnahme von 1937 (Musée historique de Lausanne, Album de l'entreprise Losinger).
Bau des grossen Beckens im Seebad Bellerive in Lausanne, Aufnahme von 1937 (Musée historique de Lausanne, Album de l'entreprise Losinger). […]

Arbeitsbeschaffung war im 19. Jahrhundert vor allem durch die französischen Nationalwerkstätten von 1848 bekannt, aber auch durch Institutionen wie Arbeiterkolonien oder Arbeitshäuser. Die breitere Diskussion setzte in der Schweiz in den 1880er und 1890er Jahren ein, als Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Problem zunehmend Anerkennung fand. Bereits damals wurden wesentliche Bedingungen formuliert: keine Beeinträchtigung der beruflichen Wiedereingliederung (z.B durch Schwerarbeit von Uhrmachern), keine Produktion von Gütern, die Privatbetriebe konkurrenzieren und beschränkte öffentliche Finanzen. In Frage kamen vor allem Bau- und Erdarbeiten, Steineklopfen, Schneeräumung usw. Erstmals auf breiter Ebene setzten Bund, Kantone und Gemeinden unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg auf Arbeitsbeschaffung, wobei vor allem öffentliche und private Bauten (inklusive Meliorationen), aber auch die Exportwirtschaft (Uhren, Stickerei) und die Elektrifizierung der Eisenbahnen unterstützt wurden. Da sich die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre in der Schweiz im internationalen Vergleich bescheiden auswirkte und Arbeitsbeschaffung teurer als Fürsorge war, hielten sich die einer deflationären Wirtschaftspolitik verpflichteten Behörden bis Mitte der 1930er Jahre zurück. Kantone und Gemeinden vergaben gelegentlich Notstandsarbeiten, oft unter Verzicht auf technische Mittel (z.B. Bagger), der Bund eröffnete von Ende 1931 an Kredite für Exportindustrien und verschiedene punktuelle Massnahmen, Ende 1934 für ein erstes breiteres Programm. Steigende Arbeitslosigkeit und die zunehmende Attraktivität der Konzepte der Linken (Kriseninitiative) erzwangen im Herbst 1936 die Abkehr von deflationären Massnahmen (Abwertung 1936) und die Hinwendung zur umfassenden Arbeitsbeschaffung, die sich in Programmen verschiedener Kantone (z.B. Basler Arbeitsrappen) und des Bundes niederschlug. Letztere waren eng mit der Landesverteidigung (Wehranleihe 1936) verbunden. Der Grossteil der Mittel kam erst im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz, als um des Arbeitsfriedens willen Arbeitsbeschaffung hohe Priorität besass. Der 1941 eingesetzte Delegierte für Arbeitsbeschaffung erarbeitete Pläne für die befürchtete Nachkriegskrise, die nie realisiert werden mussten. Wirtschaftsartikel 1947 und Gesetze betreffend Arbeitsbeschaffungsreserven (ABR) 1951 und betreffend Vorbereitung der Krisenbekämpfung 1954 stellten weitere Instrumente bereit. Als dann die Konjunkturdämpfung als wirtschaftspolitisches Ziel in den Vordergrund rückte, wurde der Delegierte für Arbeitsbeschaffung Mitte der 1960er Jahre zum Delegierten für Konjunkturfragen. Obwohl die nächste Krise die Behörden trotz allen Plänen unvorbereitet traf, fanden sie schnell einen Konsens. 1975-1976 wurden drei Investitionsprogramme und ein Investitionsbonus verabschiedet und die ABR freigegeben. Im Zentrum der Massnahmen standen wiederum Bauten; aber auch Rüstungsgüter erhielten beträchtliches Gewicht. Der Artikel 31quinquies der alten Bundesverfassung (aBV) von 1978 (Konjunkturartikel, Artikel 100 BV) bot Grundlage für das Gesetz betreffend ABR von 1985. Obwohl die Arbeitslosigkeit in den 1990er Jahren ein nie gekanntes Ausmass erreichte, war von Arbeitsbeschaffung selten die Rede, und Programme kamen spät und eher bescheiden (Investitionsbonus, Wohnbauförderung). Das lag einerseits am nunmehr alle Arbeitnehmer umfassenden Versicherungsschutz, andererseits bildeten öffentliche Verschuldung (gemessen am Bruttosozialprodukt 1990 tiefer als 1970) und Neoliberalismus starke Hindernisse. In der Praxis ist es oft unmöglich zu unterscheiden, wo tatsächlich zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und wo für ohnehin vorgesehene Projekte neue Finanzquellen erschlossen wurden.

Quellen und Literatur

  • HSVw 1, 81-86
  • Die Arbeitsbeschaffungsprogramme 1975/76, 1980
  • G. Prader, 50 Jahre schweiz. Stabilisierungspolitik, 1981
  • I.P. Baumgartner, Arbeitsbeschaffungsreserven, 1992
  • B. Degen, «Arbeitsbeschaffung, sozialer Frieden und Denkmalpflege», in Traverse, 1996, H. 2, 64-83
  • Arbeite wer kann! Travaille qui peut!, Ausstellungskat. Zürich, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Arbeitsbeschaffung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.11.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013787/2009-11-26/, konsultiert am 28.03.2024.