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Masse und Gewichte

1875 schloss die Schweiz mit 17 anderen Staaten, darunter ihren Nachbarn, die Meterkonvention in Paris und verpflichtete sich auf die internationalen Masseinheiten. Mit dem Bundesgesetz von 1875 erhielt das metrische System in der Schweiz allgemeine Geltung. Definitiv eingeführt wurden Meter, Liter und Gramm auf Januar 1877. Hundert Jahre später schloss sich die Schweiz nach der Revision ihres gesetzlichen Mass- und Gewichtswesens 1977 dem weltweit angewandten SI-Einheitensystem (SI = Système international d'unités) an. Deren Grundeinheiten Meter, Kilogramm, Sekunde, Ampere, Kelvin, Candela und Mol bildeten ab 1978 auch in der Schweiz die Basis der Mengenbestimmung. Dieser Schritt bedeutete den endgültigen Schlusspunkt einer eigenen nationalen Entwicklung auf dem Gebiet des Messwesens.

Historische Entwicklung des Messwesens

Früheste Masse und Gewichte

Beim ursprünglichen Messen und Wägen handelte es sich um ein Vergleichen mit jederzeit zur Verfügung stehenden Grössen, etwa mit Fuss, Schritt, Daumen, Arm, Becher, Krug, Eimer und Sack. Grössen samt Namen gingen später in die Masssysteme aller Länder ein.

Der Gebrauch von Massen und Gewichten im Gebiet der heutigen Schweiz lässt sich mit den Römern ab dem 1. Jahrhundert v.Chr. nachweisen. Diese führten in all ihren Provinzen ihr eigenes Mass- und Gewichtssystem ein, was Bodenfunde auch für die Schweiz belegen. Ab ca. 200 n.Chr. brauchten die Helvetier neben der römischen Meile wieder das gallische Wegmass leuga, das 2,22 km oder 1½ römischen Meilen entsprach. Entlang römischer Verkehrswege stiess man auf Meilen- und Leugensteine (Meilensteine) mit der Angabe der Entfernung vom Zählpunkt (z.B. einer Koloniestadt). Andere keltische Masse hingegen, zum Beispiel ein Fussmass von ca. 31 cm, sind nur schwer fassbar.

Das Ende der Römerzeit und die Landnahme der Alemannen führten zum Niedergang des römischen Masssystems in der Schweiz. Diese blieb jedoch als Teil eines grösseren Kulturraums (Burgunder-, Merowingerreich) bei den Massen und Gewichten in eine grossräumige Entwicklung eingebunden und die römische Tradition bei Längenmassen und Gewichten dauerte auch hier fort: Mit leicht veränderten Grössen überlebten pes (Fuss, pied), uncia (Unze, once, oncia), cubitus (Elle, braccio) und decempeda-pertica (Rute, perche, pertica) sowie beim Gewicht die römische Unterteilung. Ferner zeigen einige wenige Pfunde ihre römische Herkunft, etwa die Tessiner libbretta und das französische poids de marc (1 livre = 1½ libra). Bei Hohlmassen überlebten einzelne Begriffe wie modius, sextarius, hemina, nicht aber die entsprechenden Grössenordnungen. Ein Charakteristikum der nachrömischen Zeit ist das Fehlen einer allgemeinen mathematischen Einordnung der verschiedenen Masse und Gewichte. Jeder Stoff, jede bemessbare Tätigkeit erhielt eigene Masse, die anfangs unter sich nur bedingt korrelierten und zu anderen Massen in keinem Verhältnis standen. Nicht einmal Flüssigkeits- und Getreidemasse, beides Hohlmasse, stimmten überein.

Die römische Juchart und ihre Teilflächen. Schematischer Textholzschnitt in Glareans Abhandlung über die Mass- und Münzeinheiten im Römischen Reich und deren Entsprechungen in der Neuzeit (Liber de asse, & partibus eius), 1. Auflage Basel 1550 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Die römische Juchart und ihre Teilflächen. Schematischer Textholzschnitt in Glareans Abhandlung über die Mass- und Münzeinheiten im Römischen Reich und deren Entsprechungen in der Neuzeit (Liber de asse, & partibus eius), 1. Auflage Basel 1550 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Die Kenntnisse über die historischen Masse und Gewichte beruhen grossenteils auf den Ausmessungen des 19. Jahrhunderts. Was zeitlich weiter zurückliegt, ist aus dem Verwaltungsschriftgut (u.a. Steuerrödel, Zinsurbare) ab dem Mittelalter zwar dem Namen nach, jedoch selten als konkrete Grösse bekannt. Ebensowenig liefern archäologische Funde von früh- und hochmittelalterlichen Gefässen als Masse gesicherte Ergebnisse. Zudem überlieferte das 19. Jahrhundert Angaben, die den Endpunkt einer langen Entwicklung markierten und auf der Grundlage von nur zum Teil bekannten Reformen zustandekamen, mit denen die Obrigkeiten ab dem Spätmittelalter Ordnung in eine fast unübersichtliche Vielfalt zu bringen versucht hatten.

Mass- und Gewichtswesen als Ausdruck von Herrschaft

Masse und Gewichte zu bestimmen und zu beaufsichtigen, gehörte im Mittelalter mit anderen Herrschaftsrechten zu den Rechten der Grund- und Gerichtsherrschaft in Verbindung mit Markt, Gericht und Steuerhoheit. Die Herrschaft (Adel, Klöster, Städte) bestimmte die auf ihrem Territorium und Streubesitz geltenden Masse und Gewichte und liess diese an ihren Marktorten kontrollieren. Als die Städte im Spätmittelalter nach und nach ehemals grundherrliche Institutionen auf Stadtboden erwarben, war das Recht auf Masse und Gewichte auch dabei. Die städtische Mass- und Gewichtshoheit galt in der Regel im Einflussbereich des früheren Stadtherrn und des städtischen Marktes, also meist nur gerade in der Stadt und ihrem unmittelbaren Umland. Seltener waren Rechte in Grossräumen, zum Beispiel jene von Burgdorf, das 1383 von den Grafen von Kyburg das Recht auf Masse und Gewichte im ganzen Oberaargau erwarb. Ab dem 15. Jahrhundert strebten die Stadtorte mit der Durchsetzung ihrer Stadtmasse und -gewichte nach Vereinheitlichung in ihren Territorien. Gewichte, Längen-, Flächen- und Flüssigkeitsmasse liessen sich bis ins 18. Jahrhundert teilweise angleichen, nicht aber die Getreidemasse als alte Zins- und Zehnteinheiten, an denen Orte und Regionen zäh festhielten. So lösten Reformen bei den Getreidemassen – etwa jene Luzerns im 15. Jahrhundert auf seiner Landschaft oder diejenige Berns 1616-1617 in der Waadt – auch wegen der befürchteten Rechtsunsicherheit lokale Widerstände aus.

Gewichtssteine der Zunft zu Schmieden in Basel. Bronze, gegossen, um 1600 (Historisches Museum Basel).
Gewichtssteine der Zunft zu Schmieden in Basel. Bronze, gegossen, um 1600 (Historisches Museum Basel). […]

Die Friedenssicherung des Grundherrn auf seinem Markt verband geregelte Aufsicht über Masse und Gewichte mit dem Marktgericht, das Betrug ahndete. Marktbesucher mussten gegen Gebühr öffentliche Masse und die Waagen des Marktherrn benutzen und private Masse vom grundherrlichen Beamten mit Hilfe eines Eichmasses überprüfen lassen; erlaubt wurden nur ortsübliche Masse. Ab dem 13. und 14. Jahrhundert kontrollierten an den Markttagen städtische oder landschaftliche Beamte oder Zünfte die Masse und Gewichte. Öffentliche Waagen (u.a. Fisch-, Reis-, Butter-, Silberwaagen) unterstanden je nach Ort dem Waag-, Kaufhaus- oder Sustmeister. Trotz allen Kontrollen erwiesen sich die vom Dorfhandwerker aus Holz oder Eisen gefertigten Gebrauchsmasse und -gewichte, die anfällig für Verformung und Rost waren, als mangelhaft. Messen und Wägen erlangten im täglichen Verkehr eine nur annähernde Genauigkeit. Eine grössere Präzision wurde beim Wägen von Feinmetallen und Arzneien erzielt.

Der Einfluss der Wirtschaft auf Masse und Gewichte

Die Verbreitung von Massen und Gewichten hing nicht nur von der politischen Durchsetzungskraft der zuständigen Obrigkeit ab. Eine entscheidendere Rolle spielte die Zugehörigkeit zu wichtigen Wirtschaftsräumen. Die Südschweiz (Tessin und südliche Täler Graubündens) gehörte diesbezüglich zu Oberitalien und die Westschweiz stand unter Einflüssen Savoyens, Frankreichs und der Freigrafschaft Burgund. Die Stadt Basel richtete sich nach dem Elsass aus, seine Landschaft hingegen orientierte sich wie das Mittelland an Süddeutschland. Die Ostschweiz hing traditionell mit dem Raum jenseits des Rheins und Bodensees zusammen, während die Bindung zwischen Graubünden und dem Vorarlberg bzw. Tirol lockerer war.

Alte Masse und Gewichte der Schweiz
Alte Masse und Gewichte der Schweiz […]

Im Güteraustausch mit internationalen Handelszentren kamen fremde Masse und Gewichte in die Schweiz, fassten hier Fuss und verdrängten einheimische Einheiten oder bestanden neben ihnen, etwa deutsche und französische Handelsgewichte (Antorfer oder Kölner Pfund, poids de marc) oder Fuss- und Ellenmasse (pied de roi, aune de roi, braccio di Milano, Nürnberger und rheinischer Fuss). Im Gegensatz zum internationalen Verkehr, in dem man die fremden Masse und Gewichte unverändert beliess, entstanden im regionalen Handel aus ihnen neue lokale Masse, vor allem in den wirtschaftlich starken Kornbauregionen. Bern trug in seinem grossen Territorium viel zur Vereinheitlichung von Massen und Gewichten bei, und Zürichs Handelsverkehr prägte das Land vom Rhein bis in die Bündner Alpen. Die Innerschweiz mit dem Markt Luzern erwies sich als Zwischenregion, die Einflüsse aus dem Norden (Elsass, Rheinland), Osten (Markt Zürich) und Westen (Agrarland Bern) vereinte. Barrieren im Ost-West-Austausch bildeten die Napf-Reuss- bzw. die Reuss-Aare-Linie. Nennenswerte südliche Einflüsse bezüglich Masse und Gewichte nördlich der Alpen bestanden nicht.

Unterschiedlich präsentierte sich die Situation der drei Passregionen in den Alpen. Der Marktort Chur verband entlang seiner Handelswege Masse und Gewichte aus dem Raum Zürich, Vorarlberg und Tirol zu eigenen Systemen, übte aber wenig Einfluss auf das Engadin und die südlichen Täler aus. Im oberen Rhonetal weisen unterschiedliche Masse und Gewichte in den jeweiligen Tälern auf die Eigenständigkeit der Zenden und die Schwäche der Landesbehörde hin. Erst im 18. Jahrhundert öffnete sich das Wallis dem französischen Einfluss. An der Gotthardroute wurden fremde Masse und Gewichte kaum in die lokalen Einheiten integriert. Uri hielt sich an seinen Korn- und Weinmarkt in Luzern, das Tessin an Oberitalien. Eindrücklich stimmten dagegen die Alpenregionen von Ost bis West in den Ertragsmassen ihrer Weidewirtschaft überein (Kuhrecht).

Masse und Gewichte in der alten Eidgenossenschaft

Im Gegensatz zu den mathematisch abgeleiteten Mass- und Gewichtssystemen der Römer mit ihren Schwerpunkten auf der Dezimal- und Duodezimaleinteilung waren die später in der Schweiz üblichen Systeme auf andere Zahlen bezogen, vor allem auf die Vier (Viertel, Vierling, Quartane), Sechs (Sester, Ster), Acht, Zwölf und Sechzehn. Systeme, die auf den Zahlen Fünf, Sieben und Zehn aufbauten, waren nicht üblich. Der dezimale Aufbau von verschiedenen Massen und Gewichten ging auf Reformen des 18. und 19. Jahrhunderts zurück.

In allen Systemen lassen sich verschiedene Kategorien von Massen und Gewichten unterscheiden. Am häufigsten traten Handelsmasse und -gewichte auf, nämlich mittelgrosse, handliche Masse und Gewichte des täglichen, offiziellen und privaten Gebrauchs, wie er unter anderem bei Händlern, Wirten, Müllern und Handwerkern verbreitet war. Zu Letzteren zählten Masseinheiten oder Grundmasse und Gewichte wie Fuss, Elle, Viertel, Mass und Pfund. Beim Getreide und Wein bestanden weitere Kategorien: die Transportmasse im Schiff-, Wagen- und Saumverkehr (Sack, Saum), die kleineren Tragmasse (Eimer, Brente) als Grössen zwischen Verbrauch und Transport und schliesslich die blossen Rechnungseinheiten der Kornhaus-, Keller- und Salzverwalter, übergrosse Einheiten von 250-1000 l Inhalt, für die es keine Gefässe zum Abmessen gab.

Die alte Praxis des Messens und Wägens kannte für die verschiedenen Anwendungszwecke unterschiedliche Masse und Gewichte. Gewisse Einheiten wurden indes auf andere Bereiche angewandt. So benützten Berggebiete ihre Kornmasse (Viertel, Fischel, bichet, mesure, staio, staro) auch zur Bemessung von Ackerflächen.

Längen- und Kubikmasse

Die Römer verwendeten einst Schritt (gradus, passus), Vorderarm (cubitus) und Fuss (pes), Masse, die in ihrer ursprünglichen Länge annähernd erhalten blieben. Gebräuchlichstes Längenmass der West- und Deutschschweiz war der Fuss, ein Handwerkermass zwischen ca. 26 und 36 cm. Ab dem Spätmittelalter dominierten drei Fussmasse: Im Westen der Pariser oder französische Fuss (pied de roi) sowie der Bernfuss, im Osten und Norden der Nürnberger Fuss. Der Bernfuss galt über den bernischen Staat (Kanton Bern, Waadt, Aargau) hinaus auch bei seinen Nachbarn Freiburg, Solothurn, Biel und Neuenburg neben und in Konkurrenz zum pied de roi. Letzterer verdrängte im 18. Jahrhundert in Genf den savoyischen Fuss, im Fürstbistum Basel und im Wallis einheimische Fussmasse. Das Fussmass der Handwerkerstadt Nürnberg konnte sich von der Ostschweiz bis zur Reuss und ins Bündnerland (ohne die südlichen Täler) verbreiten. Der kurze Luzerner Stadtfuss glich dem Feldschuh der Nord- und Westschweiz (Basel, Neuenburg, Waadt). Im Berggebiet (Berner Oberland, Innerschweiz, Engadin, Erguel) überlebten lokale Fussmasse. Da nicht jedes Handwerk dasselbe Fussmass verwendete, galten am selben Ort meist mehrere Fussmasse nebeneinander. So dienten dem Bauhandwerk der Werk- und Steinbrecherschuh, den Holzverarbeitern im Westen der Pariser und Bernfuss sowie im Osten der Nürnberger Fuss und den Feldvermessern der Feldschuh (Feldmessfuss, pied de commissaire).

Das Tuchmass Elle war ungefähr das Zwei- bis Vierfache des Fusses, indes ohne Ableitung vom örtlichen Fuss. In der Deutschschweiz und in Graubünden galten Ellen von etwa zwei Fuss, in der Westschweiz doppelt so lange aunes (deutsch Stab) von vier Fuss Länge. In der Südschweiz, die bis ins 19. Jahrhundert keine Fussmasse kannte, wies das Tuch- und Handwerkermass braccio Ellenlänge auf. Wo die Tuchmanufaktur und der Tuchhandel seit alters eine wichtige Rolle spielten wie in der Ost-, West- und Südschweiz, verwendete man für Leine, Wolle und Seide unterschiedliche Tuchmasse, die zum Teil jenen der Handelspartner entsprachen. So mass die Südschweiz wie die Lombardei mit langer Tuch- (braccio lungo) und kurzer Seidenelle (braccio corto). Die Ostschweizer Ellen glichen denjenigen in Süddeutschland. Über den Tuchhandel mit Frankreich setzte sich ab dem Spätmittelalter in der Westschweiz (bis an die Saane) die französische aune de roi durch, von der sich weitere unterschiedlich grosse lokale Tuchmasse ableiteten. In der Deutschschweiz wurde die aune de roi als sogenannter Pariser Stab für Mousseline und Baumwolle benützt.

Auch die Masse der Landvermessung, nämlich Klafter und Rute sowie das Raummass Kubikklafter (toise cube), beruhten auf dem Fuss, und zwar in der Regel auf den ortsüblichen Fussmassen (mit Ausnahme von Graubünden, St. Gallen und dem Wallis). Im Wallis wiesen verschiedene toises auf alte verschwundene Fussmasse. Klaftermasse brauchte man im Bauhandwerk, Quadratklafter (toise carrée) und Quadratrute (perche carrée) zur Feldvermessung. Von den Kubikklaftern mit gleichen Seitenlängen zum Messen von Heu, Torf und Kohle wich das kleinere Brennholzmass mit kürzerer Scheitlänge ab, das sogenannte Holz- oder Waldklafter (toise pour le bois, moule, corde, im Tessin Spazzo und catasta).

Landmasse (Flächenmasse)

Landmasse leiteten sich meistens nicht von Längenmassen her, sondern beruhten auf der Schätzung von geleisteter Arbeit innerhalb einer bestimmten Zeitdauer. Was in einem Tagewerk gepflügt wurde, hiess Juchart, Tagehri, Mal oder Journal, was gemäht wurde, Mannwerk, Tagwan oder Faux. Die Kornbauzone des Mittellands kannte die grössten Acker- und Wieslandmasse, von denen sich die kleinen der Hügel- und Bergregionen Südbündens, des Wallis, Tessins und Juras abhoben. Masse für Wiesland, die einst teils kleiner (Aargau, Zürich), teils bis doppelt so gross (Neuenburg) als das ortsübliche Ackermass gewesen waren, wurden bis ins 18. Jahrhundert durch obrigkeitliche Eingriffe weitgehend denjenigen für Äcker angepasst. Dagegen blieben die grossen Waldjucharten des Mittellands (Aargau, Zürich, St. Galler Rheintal) bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Im Rebbau galten die Schätzmasse Manngrab, Mannsschnitz oder Ouvrier. In den alten Rebgebieten der West- und Ostschweiz waren diese kleiner als die Ackermasse, in den jüngeren des Mittellandes dagegen ähnlich gross. In Regionen mit Alpwirtschaft, so im höher gelegenen Hügelland, im Jura sowie im voralpinen und alpinen Raum, kamen neben Flächenmassen auch oder sogar ausschliesslich Ertragsmasse zur Anwendung. Da sich der Ertrag einer Alpweide je nach Höhenlage, Sonnenbestrahlung und Qualität des Bodens sowie des Unterhalts stark unterscheidet, machte nur eine Grössenbestimmung nach Ertrag Sinn. Die Ertragsfähigkeit einer Weide wurde deshalb nach Anzahl gesömmerter Kühe geschätzt. Daraus entwickelte sich das Kuhrecht, das sowohl ein Anrecht auf Weide als auch ein Mass für Weidenutzung darstellt und in den Berggebieten noch heute üblich ist.

Getreidemasse

Bis ins 19. Jahrhundert wurden Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Salz nicht gewogen, sondern ausgemessen. Als Messinstrumente dienten Hohlmasse, sogenannte Dürr- oder Trockenmasse. In einigen Gebieten (Aargau, Inner- und Ostschweiz) verwendete man für entspelztes (glattes) und unentspelztes (rauhes) Getreide unterschiedliche Masse. In keinem anderen Bereich blieb die Vielfalt der Masse so gross, denn die Reformen der Obrigkeiten trafen in den Kornbauregionen auf den Widerstand der Landbevölkerung, die von Änderungen eine heimliche Erhöhung der Bodenzins- und Zehntabgaben befürchtete. Eine Vereinheitlichung gelang dagegen in Gebieten, die von städtischen Getreidemärkten abhingen, so im Berner Oberland, in der Innerschweiz und in Graubünden.

Der Markplatz von Greyerz. Fotografie von Charles Morel, Postkartenverleger in Bulle, um 1920 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Der Markplatz von Greyerz. Fotografie von Charles Morel, Postkartenverleger in Bulle, um 1920 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Am meisten verbreitet waren die kleineren Handelsmasse, die je nach Gegend 10-38 l fassten und am Markt nach Ortsbrauch flach gestrichen oder gehäufelt ausgemessen wurden. Sie entsprachen ihrerseits einem Viertel (quarteron, staio, Fischel) oder Sechstel (Sester, staro, Ster) grösserer Transporteinheiten wie Sack und Mütt. Letztere beruhten auf Mannslasten und bestanden ohne Ansehen ihrer Bezeichnung aus handelsüblichen Zwilchsäcken von 65 l bis über 150 l. Grossmasse von bis zu 840 l Inhalt wie Malter, Viernzel, Bichot und der grosse muid bezeichneten Rechnungseinheiten ohne Messform. Wo zwei Masssysteme aufeinander trafen, rechnete man mit beiden. Freiburg etwa fasste am Übergang vom bernischen Mütt-Mäss-System zum Waadtländer sac-quarteron-System beide in ein eigenes System mit muid, sac und bichet (= Mäss).

Beim wichtigen Handelsgut Salz benutzte man Hohlmasse, den Sack (sac) im Westen, das Mäss und den Viertel im Osten. Der Wagen (französisch sommée) galt um 495 kg und war eine Rechnungseinheit der Westschweiz, während in der Ostschweiz das Fass (Röhrli) von 165-270 kg als Transporteinheit zur Anwendung kam. Im 18. Jahrhundert gingen die Obrigkeiten, zum Beispiel Zürich 1772, vom Messen auf das Wägen über. Das französische Salzgewicht von 489,5 g wies die grösste Verbreitung auf.

Flüssigkeitsmasse

Für Flüssigkeiten verwendete man wieder eigene Hohlmasse, wobei sich einige wenige Masssysteme über grössere Gebiete erstreckten, so die Grössen Saum, Eimer (Brente) und Mass in der Deutschschweiz von Fürstenberg bis an die Alpen und von der Saane bis an den Bodensee. Der Westen, einschliesslich Jura und Wallis, kannte das System mit char, setier (brante) und pot, die Südschweiz jenes mit brenta, staio und pinta (boccale). Die wichtigsten Einheiten für Wein und Wasser, nämlich Mass, pot, pinta oder boccale, fassten zwischen ca. 1 l und mehr als 2 l. Städte benützten zum Teil kleinere Masse als ihre ländliche Umgebung, Gebiete mit Milchwirtschaft grössere Einheiten. Vom Fass im Keller zum Karren vor dem Haus trug man den Wein in offenen Holzgefässen, den Tragmassen Eimer, Brente und Zuber (Tinne, Coupe). Als Transportmasse (Saum) dienten Holzfässer von bis zu 180 l Inhalt. Grossmasse wie das Fuder (Bosse) waren blosse Rechnungseinheiten ohne Messform. Spezielle Masse kamen bei Milch, Öl und Honig zum Zug. Im 17. und 18. Jahrhundert gewannen mit dem Obstbau vom Aargau bis in die Ostschweiz die Trübmasse für Most und neu auch Branntweinmasse an Bedeutung.

Gewichte

Die Gewichte standen weit mehr als die Masse untereinander in Beziehung. Sie leiteten sich mehrheitlich vom römischen Gewicht ab; teils wurde das Gewicht selbst, teils nur der Begriff und die Einteilung übernommen. Im Gebiet der heutigen Schweiz hiess die Einheit zwar fast durchwegs Pfund, doch verbargen sich hinter diesem Namen sehr unterschiedliche Gewichte. Sie reichten von den leichten, den römischen verwandten Pfündchen von etwas über 300 g bis zu den schweren Pfunden von über 900 g. Vom römischen Gewicht übernahm man die Unzeneinteilung, wobei Unzen unterschiedlich schwer wogen und ihre Zahl nach Schwere des betreffenden Pfundes variierte. Alle Gewichtssysteme kannten eine starre Gliederung: das deutsche System mit Unze, Lot und Quent, das französische mit once und Denier, das italienische mit oncia und denaro.

Die Verbreitung der verschiedenen Gewichte in der Schweiz unterstreicht, welch grosser Einfluss von benachbarten Wirtschaftsräumen, Handelszentren und internationalen Verkehrswegen ausging. Gewichte von internationalem Rang, wie das französische poids de marc und das Antorfer oder Kölner Pfund, galten als die wichtigsten Handels- und Spezialgewichte. Im Normalfall standen am Ort mindestens zwei Gewichte in Gebrauch, und zwar ein leichtes überregionales Pfund für Handelsgut und Spezereien und ein schweres lokales für Massenware. Die Südschweiz kannte wie die Lombardei im Handel die leichten libbrette, im lokalen Warenaustausch die schweren libbre grosse. Zürich, die Ostschweiz und Graubünden benützten als Handelsgewicht das Antorfer Pfund, in Chur als Ladenpfund bezeichnet, von dem sich die Bündner Krinne ableitete. Die schweren Pfunde glichen denjenigen in Süddeutschland und im Vorarlberg. Im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts setzten Zürich und Luzern auf ihren Märkten das Zurzacher oder alte Zürcher Pfund als Handelsgewicht durch, das bald vom Rhein bis Uri und in Graubünden Geltung bekam. In städtischen Zentren verfügte man ferner über Spezialgewichte für Metalle (Edelmetalle, Eisen, Messing), Medizinal- und Apothekerware sowie Seide.

Wichtigste alte Masseinheiten in der Schweiz vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert

 deutschfranzösischitalienisch
LängeFusspied 
 Elle braccio
 Stabaune 
 
FlächeJuchartposepertica
 Manngrabfossorier, ouvrier 
 Mannwerk, Madseiteur, faux 
 
KubikKlafter (Holzklafter)toise, moule, cordespazzo, catasta
 
GetreideViertel, Sesterquarteron, quartstaio, staro
 Mäss, Fischelbichet, mesure, fichelin, boisseau 
 Mütt, Sackmuid, coupe, sac 
 Malter, Viernzelbichotmoggio
 
SalzSack, Wagensac, sommée 
 
GetränkeMasspotpinta, boccale
 Schoppenpinteboccale
 Eimer, Ohmsetierstaio
 Brente, Zuberbrante, tinnebrenta
 Saum, Lagel soma
 Fuderchar, bosse 
 
GewichtePfund, Krinnelivrelibbra, libretta
 Unzeonceoncia
 Zentner, Ledi  
Wichtigste alte Masseinheiten in der Schweiz vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert -  Anne-Marie Dubler

Der Übergang zu internationalen Systemen im 19. Jahrhundert

In Frankreich entstand im Gefolge der Französischen Revolution zwischen 1790 und 1799 ein neues Mass- und Gewichtssystem, das auf den Einheiten Meter und Gramm und der dezimalen Zählung basierte. 1801 erhielt die Schweiz eine Kopie des Urmeters in Paris. Allerdings wurde das noch 1801 erarbeitete und dekretierte helvetische Mass- und Gewichtsgesetz zur Einführung metrischer Einheiten in der Schweiz nie vollzogen. Ab 1803 ging die Aufsicht über die Masse und Gewichte an die Kantone über, die nun auch die Initiative zur Vereinheitlichung auf nationaler Ebene ergriffen, zumal sich die Tagsatzung nicht auf eine Reform hatte einigen können.

Für den Handelsverkehr mit Frankreich führten die Westschweizer Kantone 1800-1827 ganz oder teilweise metrische Systeme ein, behielten aber für die neuen Einheiten die alten Namen. Der Kanton Tessin übernahm 1826 in einem eigenen System zum Teil alte Mailänder Masse und Gewichte. Ab 1828 erarbeitete eine interkantonale Kommission ein zwar auf dem Meter fussendes, sich jedoch an alte Masse und Gewichte anlehnendes schweizerisches Mass- und Gewichtssystem. Im Konkordat von 1835 schlossen sich zwölf Kantone zu dessen Einführung zusammen, die dann 1838-1839 umgesetzt wurde.

Mit der Schaffung des Bundesstaates 1848 fiel die Regelung der Masse und Gewichte in die Kompetenz des Bundes. Die Aufsicht wurde den Kantonen belassen, diese aber der Oberaufsicht der 1862 gegründeten Eidgenössischen Eichstätte unterstellt. Das Bundesgesetz von 1851 versuchte, der bestehenden Vielfalt ein Ende zu setzen, indem es das teilweise metrische Konkordatssystem von 1835 für alle Kantone für obligatorisch erklärte, doch die West- und Südschweiz wollten ihre neuen Systeme nicht aufgeben, und Uri beharrte auf seinem. Das Nebeneinander verschiedener Systeme dauerte fort, bis 1868 in einem ersten Schritt das metrische System neben dem Konkordatssystem legalisiert wurde. In einem zweiten Schritt trat dann die Schweiz 1875 der Meterkonvention in Paris bei. Auf Januar 1877 kam im metrischen System gesamtschweizerisch die Vereinheitlichung von Massen und Gewichten zustande.

Schweizer Masse und Gewichte 1838-1876

Längenmasse1 Fuss = 10 Zoll = 100 Linien = 1 000 Striche
 1 Klafter = 6 Fuss = 1,8m
 1 Rute = 10 Fuss = 3m
 Masseinheit: 1 Fuss = 30cm
 1 Schweizer Wegstunde = 16 000 Fuss = 4,8km
 
Flächenmasse1 Quadratfuss = 0,09m²
 1 Juchart = 40 000 Quadratfuss = 36a
 
Kubikmasse1 Kubikklafter = 6 x 6 x 6 Fuss = 5,8m³
 1 Holzklafter = 6 x 6 x 3 Fuss = 2,9 Ster
 
Getreidehohlmasse1 Malter = 10 Viertel = 100 Immi oder 40 Vierling
 Masseinheit: 1 Viertel = 15l
 
Flüssigkeitsmasse1 Saum = 4 Viertelsaum (Eimer, Branten) = 100 Mass
 Masseinheit: 1 Mass = 1,5l
 
Gewichte1 Pfund = 32 Lot = 128 Viertellot
 1 Zentner = 100 Pfund
 Masseinheit: 1 Pfund = 500g
Schweizer Masse und Gewichte 1838-1876 -  Anne-Marie Dubler

Grundlagen der Kenntnisse alter Masse und Gewichte

Im Zuge der Einführung neuer Masse zwischen 1800 und 1857 bestimmten die kantonalen Eichmeister im Auftrag ihrer Regierungen die alten ortsüblichen Normalmasse und -gewichte im Vergleich mit den neuen Einheiten. Auf Grund dieser heute in Staatsarchiven und Kantonsbibliotheken aufbewahrten kantonalen Umrechnungstabellen erstellte der Direktor der Eidgenössischen Eichstätte in Bern, Friedrich Ris-Schnell, 1889 als Erster eine Übersicht über die alten Masse und Gewichte in der Schweiz, die er in Alfred Furrers «Volkswirtschafts-Lexikon der Schweiz» (4 Bde., 1889-1892) veröffentlichte. Die kantonalen Tabellen bieten dank neuer technischer Hilfsmittel eine hohe Präzision. Mit Blick auf die systemimmanente Ungenauigkeit alter Mess- und Wägpraxen und der oft fehlerhaften Eichmasse täuschen die Umrechnungstabellen einerseits eine zusätzliche Vielfalt vor, andererseits wurden nur die wichtigsten Masse und Gewichte in die Tabellen aufgenommen, sodass lokale Varianten, darunter zahlreiche Kleinmasse, nicht berücksichtigt wurden. Zu diesen finden sich jedoch in Dialektwörterbüchern wichtige Hinweise.

Quellen und Literatur

  • Idiotikon, 1881-
  • A. Furrer, Volkswirtschafts-Lex. der Schweiz 2, 1889, 363-401
  • S. Fümm, «Über Masse und Gewichte in Graubünden», in Jber. Gewerbl. Fortbildungsschule Davos 10, 1906, 25-40
  • L. Gauchat et al., Glossaire des patois de la Suisse romande, 1924-
  • Dicziunari Rumantsch Grischun, 1939-
  • Vocabolario dei dialetti della Svizzera italiana, 1952-
  • H.-J. von Alberti, Mass und Gewicht, 1957
  • ASV, Tl. 1, 2. Halbbd., 601-655.
  • A.-M. Dubler, Masse und Gewichte im Staat Luzern und in der alten Eidgenossenschaft, 1975
  • R. Tuor, Mass und Gewicht im alten Bern, 1976
  • A. Ineichen, Die gesetzl. Masseinheiten in der Schweiz, 1978 (31995)
  • R.C.A. Rottländer, Antike Längenmasse, 1979
  • A. Mutz, Röm. Waagen und Gewichte aus Augst und Kaiseraugst, 1983
  • A.R. Furger, Römermuseum und Römerhaus Augst, 1987
  • H. Kahnt, Alte Masse, Münzen und Gewichte, 1987
  • F. Schubert, «Metrolog. Unters. zu einem kelt. Längenmass», in Germania 70, 1992, 294-300
  • P.-R. Monbaron, L. Hubler, «Les mesures à grains en pays de Vaud», in Cahiers de métrologie, 11-12, 1993-94, 67-73
  • Les pays romands au Moyen Age, hg. von A. Paravicini Bagliani et al., 1997, 389-392
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Masse und Gewichte", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 31.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013751/2011-03-31/, konsultiert am 29.03.2024.