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Patrozinium

Die frühchristlichen Kirchen wurden üblicherweise nicht nur Christus, sondern um der symbolischen Verbindung von Christus mit der Kirche willen auch den Aposteln, Maria oder Johannes dem Täufer geweiht. Später erfolgte die Übergabe auch an andere Heilige und an einzelne Glaubensgeheimnisse (Heiliges Kreuz, Dreifaltigkeit). Seit Bischof Ambrosius von Mailand bezeichnet das Patrozinium das Schutzverhältnis eines Heiligen, der helfend seiner Kirche, seinem Bistum, seiner Stadt, einer Gruppe oder Person zur Seite steht. Die Patrozinienforschung kann mit Hilfe der sogenannten Heiligentopografie, zum Beispiel die Ausstrahlung eines Kultorts oder Patrozinienübertragungen und Patrozinienwechsel, Rückschlüsse auf die Kirchenorganisation und Missionsgeschichte ziehen.

Im Mittelalter galt der Heilige einer Kirche als Rechtssubjekt, als wahrer Eigentümer der Kirche, deren Vermögen ihm anvertraut ist. So nannte Bischof Tello von Chur im Testament von 765 zur Situierung vielfach den Heiligen einer Kirche als Anstösser. Schenkungen an die Kirche wurden bis ins 13. Jahrhundert als Übergabe an den Träger des Patroziniums selbst vollzogen. Wegen ihrer wichtigen Rolle in sakraler und rechtsgeschichtlicher Hinsicht wurden Patrozinien nicht einfach gewechselt (Kirchenjahr). In den Alpengebieten blieben die Titelheiligen in der Regel relativ konstant, zum Beispiel wurde für das Bistumsgebiet von Sitten nur etwa ein Dutzend Wechsel des Patroziniums gezählt. Häufigere Wechsel scheinen im Mittelland (so im Zürichgau) stattgefunden zu haben. Eine Änderung des Patroziniums war meist mit einem Besitzerwechsel verbunden. So setzte das Kloster Disentis in der von Otto I. geschenkten Remigiuskirche in Pfäffikon (ZH) seinen Klosterpatron Martin durch. Auch Reliquienbesitz konnte zu einem Wechsel des Patroziniums führen, zum Beispiel erhielt St. Thyrsus in Lausanne Ende des 6. Jahrhunderts als Grabkirche von Bischof Marius den neuen Namen.

Die Wahl des Patroziniums lässt im Frühmittelalter auch Rückschlüsse auf die Strukturen der Königs- und Adelsherrschaft zu. Bei den Franken dienten der Petrus- und Apostelkult sowie der Kult des heiligen Martin von Tours der Legitimität des Herrschertums. Doch ist bei solchen Zuordnungen die Inkonstanz der Kulte, das Auf- und Absteigen der verschiedenen Heiligen zu berücksichtigen. So gab es beim Patrozinium des heiligen Petrus die erste, spätrömisch-fränkische Kultwelle. Ihr folgte im 10.-12. Jahrhundert in der Kloster- und Kirchenreform eine zweite Blüte der Petrusverehrung. Beim Patrozinium der heiligen Maria folgte auf die frühmittelalterliche Periode, der die Bischofskirchen von Chur, Konstanz und Lausanne oder die alten Klosterkirchen von Pfäfers, Reichenau und St. Gallen zuzurechnen sind, im Hochmittelalter ein breiter, allgemeiner Marienkult, gefördert durch die Cluniazenser und vor allem durch die Zisterzienser mit Bernhard von Clairvaux.

Fresko mit dem heiligen Ambrosius zu Pferd, Kirche Sant'Ambrogio Vecchio (heute San Carlo) in Prugiasco-Negrentino (Bleniotal), aus der Werkstatt des Antonio da Tradate, um 1510 (Ufficio dei beni culturali, Bellinzona).
Fresko mit dem heiligen Ambrosius zu Pferd, Kirche Sant'Ambrogio Vecchio (heute San Carlo) in Prugiasco-Negrentino (Bleniotal), aus der Werkstatt des Antonio da Tradate, um 1510 (Ufficio dei beni culturali, Bellinzona). […]

Fast jeder Kult hat seine Zentren und seine Ausstrahlung (Heiligenverehrung). Das Patrozinium von Mauritius weist auf die alte Abtei am Grab des Heiligen in Saint-Maurice hin, in den Tälern des Tessins zeigt das Patrozinium von Ambrosius die Verbindung zu Mailand, das Patrozinium von Niklaus verbreitete sich im 11. Jahrhundert vom Grossen St. Bernhard aus an den nördlichen Zufahrtswegen, Gallus und Otmar markieren den geistlichen Einfluss des Klosters St. Gallen, Laurentius und Mauritius wurden nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955 zu Reichsheiligen der Ottonen.

Im Hochmittelalter festigte der Adel seinen Führungsanspruch durch die Ausbildung von sogenannten Adelsheiligen. Die adligen Stifter, die Eigenklöster mit Reliquien ausstatteten oder den Grundstein zu neuen Kultstätten schufen, mehrten ihren Ruhm. Der betreffende Heilige konnte gewissermassen zum Hausheiligen einer Familie oder Sippe werden, ebenso wie sein Patrozinium zum herrschaftlich-politischen Faktum wurde. Vom 12./13. Jahrhundert an wurden Heilige zu Stadt- und Landespatronen wie zum Beispiel Vinzenz in Bern, Felix und Regula in Zürich, Michael in Zug oder Fridolin in Glarus. Das Patrozinium der Heiligen repräsentierte die sich herausbildende Staatlichkeit, sichtbar in der bildlichen Wiedergabe und in Emblemen auf Wappen, Flaggen, Siegeln und Münzen. Der Feiertag des Schutzheiligen wurde für das Wirtschafts- und Rechtsleben im Spätmittelalter von Bedeutung, indem jährlich wiederkehrende Termine wie etwa Gerichts- und Schwörtage oder die Fälligkeit von Abgaben auf diesen Tag gelegt wurden.

Nach der Reformation, welche die Heiligenverehrung verwarf, begrenzte die katholische Reform die Dynamik der Volksfrömmigkeit, förderte aber neue Kulte und Kultorte wie die Loretokapellen (z.B. Kloster Muri) oder Sebastiansbruderschaften. Besonders verbreitet waren ab dem 17. Jahrhundert Karl Borromäus, der 1610 heiliggesprochene Erzbischof von Mailand, Franz von Sales, der Bischof von Genf und Schutzpatron der Schriftsteller und Journalisten, dann der heilige Josef, im 20. Jahrhundert Therese von Lisieux und Bruder Klaus, der nach der Heiligsprechung 1947 zum volkstümlichsten Heiligen und Schutzpatron der Schweiz wurde.

Quellen und Literatur

  • I. Müller, «Die Altar-Tituli des Klosterplanes», in Stud. zum St. Galler Klosterplan, hg. von J. Duft, 1962, 129-176
  • H. Büttner, I. Müller, Frühes Christentum im schweiz. Alpenraum, 1967, 58-62
  • HRG 3, 1564-68
  • LexMA 6, 1806 f.
  • A. Angenendt, Heilige und Reliquien, 1994
  • TRE 26, 114-118
  • P. Mariani, V. Pasche, «Les dédicaces des églises: Lausanne et Sion», in Les pays romands au Moyen Age, hg. von A. Paravicini Bagliani et al., 1997, 239-246
  • P. Oberholzer, Vom Eigenkirchenwesen zum Patronatsrecht, 2002
Weblinks

Zitiervorschlag

Ernst Tremp: "Patrozinium", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011520/2009-12-01/, konsultiert am 29.03.2024.