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Pieve

Das Wort Pieve stammt vom lateinischen plebs (Volk) ab und meint das gläubige Volk (populus fidelium) bzw. im erweiterten Sinn dessen Territorium. Ab dem 6.-7. Jahrhundert verstand man darunter ein Gebiet von Dörfern, die alle der gleichen Taufkirche unterstanden. Die für Nord- und Mittelitalien typische kirchliche Pieve hielt sich bis zur tridentinischen Reform, obwohl sie ab dem 13.-14. Jahrhundert in den Berggebieten und ab dem 15. Jahrhundert überall verschiedene Zersplitterungs- oder gar Auflösungstendenzen zeigte. Auf dem Gebiet des heutigen Kantons Tessin bildeten sich die Pieven Agno, Balerna, Bellinzona, Biasca, Locarno, Lugano, Riva San Vitale, Capriasca und vielleicht auch eine mit Zentrum in Olivone. Die ursprünglich ambrosianischen Pieven Agno, Locarno und Bellinzona schlossen sich bis zum 11. Jahrhundert der Diözese Como an.

Insbesondere im Sottoceneri bekam der Begriff Pieve auch eine zivile Bedeutung, vor allem nach dem Ende der Herrschaft der Stadt Como, deren Regierung direkt mit den Gemeinden verhandelt hatte. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts bildete sich die Talschaft Lugano, welche die schon im 13. Jahrhundert verbundenen Pieven Agno, Capriasca und Lugano sowie Riva San Vitale umfasste und gegen Mitte des 15. Jahrhunderts ein eigenes Notarskollegium und eigene Statuten bekam; ab dem 16. Jahrhundert wurde sie unter eidgenössischer Herrschaft zur Vogtei Lugano. Den Gemeinden gegenüber, die häufig auch in anderer Form, als Kastlanei oder Concilium (Nachbarschaft) untereinander verbunden waren, besass die Pieve keine übergeordneten Befugnisse. Sie hatte auch keine Befehlsgewalt über die privilegierten oder abgesonderten Gemeinden. Als Verwaltungseinheit für die Behandlung gemeinsamer Geschäfte (Steuern, Strassen- und Brückenunterhalt, Salzversorgung, Gesuche an die Obrigkeit) war ihr wichtigstes Organ die Versammlung mit mindestens einem Abgeordneten pro Gemeinde, die über den Gemeinden vorher schriftlich übermittelte Themen entschied. Jeder Gemeindevertreter drückte seine Meinung in einer häufig geheimen Abstimmung aus (Ballotage). Die Pieve verfügte über gewählte Beamte: zwei Räte, den Säckelmeister, den Proviantrichter, den Notar, die Verantwortlichen für Brücken und Strassen, den Waagemeister und die Abgeordneten für die Güterschätzung zu Steuerzwecken. In der Talschaft Lugano hatten die Räte Sitz in dem aus Vertretern der Gemeinde gebildeten Talschaftsrat, der sich Ende Jahr zur Bestätigung der bereits in den Versammlungen der Pieven gewählten Beamten traf. Die Talschaft hatte die gleichen Beamten wie die Pieve, aber grössere rechtlichen Befugnisse; sie kümmerte sich auch um den Getreidevorrat, während ab dem 16. Jahrhundert jede Pieve selbstständig für den Salzeinkauf sorgte.

Quellen und Literatur

  • L. Moroni Stampa, «Gli statuti dei dazi e delle vettovaglie della comunità di Lugano del secolo XV», in BSSI, 1949, 72-91, 119-129, 187-203; 1950, 105-134
  • Schaefer, Sottocenere
  • O. Camponovo, «Terre con franchigie nel Sottoceneri», in AST, 1962, Nr. 9-10, 439-454, 487-504, 528-544
  • HS II/1
  • P. Ostinelli, Il governo delle anime, 1998
  • A. Moretti, Da feudo a baliaggio: la comunità delle pievi della Val Lugano nel XV e XVI sec., 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Antonietta Moretti: "Pieve", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.02.2010, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010360/2010-02-17/, konsultiert am 29.03.2024.