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Berner Oberland

Region des Kantons Bern. Zum Berner Oberland zählt der bernische Voralpen- und Alpenraum mit dem oberen Aaretal, den Seitentälern Hasli-, Lütschinen-, Kander-, Simmen- und Saanetal sowie Thuner- und Brienzersee. Es ist durch die Voralpenkette (Stockhornkette, Sigriswilgrat, Hohgant, Brienzergrat) vom Unterland getrennt. Politisch ist das Berner Oberland in die Amtsbezirke Thun, Nieder- und Obersimmental, Saanen, Frutigen, Interlaken und Oberhasli unterteilt.

Bereits in prähistorischer Zeit war das Berner Oberland begangen, in römischer Zeit längs der Aare und der Seen besiedelt. Zugang boten von Norden und Osten her Brünig- und Sustenpass (mit römischer mansio), vom Süden her Grimsel-, Lötschen-, Gemmi-, Rawil-, Sanetschpass und Col du Pillon. Die meisten Oberländer Kirchen, die zu Talzentren grossräumiger Pfarreien wurden, entstanden im Früh- und Hochmittelalter (7./8.-11. Jh.). Die Aare bildete die Grenze zwischen den Bistümern Konstanz und Lausanne. Das Berner Oberland gehörte im Mittelalter zunächst zum hochburgundischen Königreich (Königshöfe Wimmis, Matten), von zähringischer Zeit an zum Reich (Reichsvogtei Brienz, Reichsland Hasli) und wurde danach von einheimischen Freiherren (u.a. von Oberhofen, Strättligen, Ringgenberg-Brienz, Wädenswil, Weissenburg), zeitweise von Walliser Freiherren (Raron, vom Turn), das Saanenland von den Grafen von Greyerz grund- und gerichtsherrlich verwaltet. Pässe und Alpen waren zum Teil bis ins 19. Jahrhundert in der Hand des Bischofs von Sitten. Die Passpolitik führte die Stadt Bern ins Berner Oberland: Durch Eroberung, Kauf, Burgrechte oder Pfandschaften in der Nachfolge der verschuldeten Freiherren erlangte Bern zwischen 1323 und 1400 die Herrschaft über den Grossteil des Oberlandes, dies zum Teil im Wettbewerb mit den über den Brünigpass ins Oberhasli und Wallis zielenden Interessen Unterwaldens. Bern übernahm im Berner Oberland fünf Talschaften, die über eigenes Landrecht und weitreichende Selbstverwaltung in Bäuerten (Gütergemeinden) und Landsgemeinden (Talverbänden) verfügten. Vom Spätmittelalter an erhob sich das Berner Oberland als Ganzes oder nur in Teilen wiederholt gegen Bern, um seine korporative "Freiheit" gegen Berns obrigkeitliche Verfügungen durchzusetzen (u.a. Böser Bund im Berner Oberland 1445, Widerstand gegen die Reformation 1528, Thuner Aufstand 1641). Wie im übrigen Staat war Bern auch im Berner Oberland an frühere herrschaftliche Einheiten, Rechte und Titel gebunden. Die bernische Verwaltung umfasste somit im Ancien Régime neun Bezirke: die Schultheissenämter Thun und Unterseen, die Landvogteien Interlaken, Oberhofen und (Landschaft) Saanen, die Kastlaneien Frutigen, Nieder- und Obersimmental sowie die Landschaft Hasli. Ausser in der Landschaft Hasli mit einem einheimischen Landammann an der Spitze standen Bernburger als Oberamtleute (Landvögte) vor. Von kurzer Dauer war der helvetische Kanton Oberland (1798-1803) mit der Hauptstadt Thun. Die politische Einteilung des Kantons Bern nach 1803 griff mit den sieben Oberämtern (1831 Amtsbezirke) im Wesentlichen auf die altbernischen Verwaltungsbezirke zurück.

Ansicht der Tellenburg, Kastlanei Frutigen. Kolorierte Radierung von Abraham Samuel Fischer, 1797 (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
Ansicht der Tellenburg, Kastlanei Frutigen. Kolorierte Radierung von Abraham Samuel Fischer, 1797 (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen). […]

Typisch für die Alpenrandlage war die mittelalterliche Siedlungsstruktur der Klein- und Burgstädtchen mit Märkten im Seengebiet (Thun, Unterseen, Spiez, Wimmis), der Marktdörfer (Frutigen, Saanen) in Talböden bis auf 1100 m und der Streusiedlungen mit Einzelhöfen auf Terrassen und an Talhängen bis auf 1600 m Höhe. Die Einbindung in den bernischen Staat mit sicheren Kornmärkten im Unterland (Thun, Bern, Burgdorf) erlaubte den höher gelegenen Gebieten im 14. bis 16. Jahrhundert, auf die Selbstversorgung mit Getreide zu verzichten und auf Viehwirtschaft im Tal-, Vorsass- und Alpbetrieb umzustellen. Der Viehexport ging über die Pässe nach Italien bzw. ins Unterland. Nach 1500 entstanden neben den sieben mittelalterlichen Märkten talaufwärts bis nach Gsteig und Adelboden elf neue für Viehkäufer. Mehrere Dörfer am Thunersee waren auf Rebbau spezialisiert. Das neuzeitliche Bevölkerungswachstum erforderte zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten neben dem traditionellen Solddienst, unter anderem Wolltuchweberei und Schieferabbau im Frutigland, nach 1800 Holzschnitzerei in Brienz, Spanschachtelmalerei und nach 1850 Zündholzindustrie in Frutigen. Wegen der verbreiteten Armut des 19. Jahrhunderts wanderten vor allem Bewohner des Simmentals und des Amts Interlaken nach Nordamerika, Deutschland oder Russland aus.

Plakat des Frutiger Fotografen Albert Steiner, 1939 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat des Frutiger Fotografen Albert Steiner, 1939 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Albrecht von Hallers "Alpen" (1729), Reiseberichte und Alpenmalerei warben seit dem 18. Jahrhundert für den Tourismus, der sich im Oberland nach 1800 zuerst am Thuner- und Brienzersee (Thun, Bödeli-Interlaken), später in den Seitentälern (Lauterbrunnen, Grindelwald) ausbreitete und besonders englische Gäste anzog. Der neue Erwerbszweig begann sich im späten 19. Jahrhundert in grösserem Stil auf die oberländische Volkswirtschaft auszuwirken, zumal mit ihm der Ausbau der Verkehrswege verbunden war: Tal- und Passstrassen (Grimsel 1894, Susten 1944), Schifffahrt (ab 1835) und Eisenbahn (ab 1859, Transversalen Montreux-Berner Oberland-Bahn 1905, Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn 1913). Vor dem Zweiten Weltkrieg prägte die Hotellerie der Kurorte den Tourismus, bis um 1900 mehrteils als Sommer-, danach zunehmend als Wintertourismus. Der Zusammenbruch der Hotellerie in beiden Weltkriegen erzwang eine Diversifikation der Oberländer Wirtschaft durch Förderung von Kleingewerbe und Heimarbeit, nach 1950 durch Ansiedlung von Industrie, wie sie sich heute vielfältig vor allem im Grossraum Thun, aber auch in den Tälern (z.B. Zweisimmen, Frutigen) präsentiert. Hinzu kam die Nutzung der Wasserkraft durch die Elektrizitätswirtschaft: Dem ersten privaten Kraftwerk Reichenbach/Oberhasli (1899-1909) folgten unabhängig voneinander, aber mit Beteiligung der Bernischen Kraftwerke, 1925-1954 die Kraftwerke im Raum Grimsel und 1952-1972 Gadmen-/Gental der Kraftwerke Oberhasli, 1944-1963 die verschiedenen Simmentaler Kraftwerke und 1959-1966 das Sanetschkraftwerk. Nach 1950 setzte auch eine neue Welle im Bau von Hotels und vor allem von Ferienhäusern und Ferienwohnungen ein, was in einzelnen Gebieten zu verdichteter Besiedlung führte (Interlaken, Adelboden, Grindelwald, Saanen-Gstaad). Die ab den 1930er Jahren und vermehrt nach 1950 erstellten Zahnrad-, Standseil- und Luftseilbahnen, Ski- und Sessellifte bieten heute auch dem Ausflugstourismus zahlreiche Möglichkeiten. Beliebte Wintersportzentren entstanden in den schneesicheren Tälern mit Terrassen oberhalb von 1000 m (Saanenland, Adelboden, Lenk, Kandersteg, Wengen, Grindelwald, Mürren, Hasliberg).

Quellen und Literatur

  • A. Schaer-Ris, Das Berner Oberland, 1952
  • Kt. Bern – hist. Planungsgrundlagen, 1973
  • A.A. Häsler, Berner Oberland, 1986
  • C. Pfister, «Bevölkerung, Wirtschaft und Ernährung in den Berg- und Talgebieten des Kt. Bern 1760-1860», in Wirtschaft und Gesellschaft in Berggebieten, hg. von M. Mattmüller, 1986, 361-391
  • P. Bierbrauer, Freiheit und Gem. im Berner Oberland, 1300-1700, 1991
  • Pfister, Bern
  • E. Schläppi, Vom Freiheitstraum zum Glaubensstreit, 2000
  • C. Clavadetscher, Der Wirtschaftsraum Thun/Berner Oberland, 2001
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Berner Oberland", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.05.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010296/2009-05-20/, konsultiert am 29.03.2024.