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Reichsunmittelbarkeit

Nach spätmittelalterlichem und frühneuzeitlichem Verständnis waren sogenannt reichsunmittelbare Personen und Güter König und Reich (Heiliges Römisches Reich) unmittelbar unterworfen und unterstanden somit keinem Landesherrn. Die Kriterien der Reichsunmittelbarkeit variierten allerdings, und Zuordnungen sind vor allem für das Mittelalter schwierig. Verhältnismässig klar ist die Situation bei den Städten: Reichsstädte unterstanden direkt der königlichen Gerichts- und Steuerherrschaft; eine erste Auflistung findet sich im Reichssteuerverzeichnis von 1241. Die Reichsdörfer in Franken, Schwaben und im Elsass dagegen, deren Freiheiten unterschiedlichen Ursprungs waren, entziehen sich einer genauen Zuordnung. Beim Adel wurden die Belehnung mit einem Reichslehen und persönlich hochadelige Herkunft als entscheidende Kriterien der Reichsunmittelbarkeit angesehen; allerdings galten gegen Ende des Mittelalters die Grafen allgemein als reichsunmittelbar, obwohl sie ihre Lehen oft von benachbarten Fürsten hatten (Fürstentümer). Die Reichsunmittelbarkeit der geistlichen Fürsten beruhte auf den königlichen Immunitätsprivilegien (Reichsprivilegien), doch ergaben sich auch hier Unschärfen, da nicht alle als reichsunmittelbar geltenden Prälaten direkt vom König belehnt wurden. Insgesamt gilt für das Mittelalter, dass den Privilegien stets nur relative Bedeutung zukam; entscheidend war deren konkrete Behauptung und Durchsetzung gegen konkurrierende Ansprüche.

Aus der bevorzugten Rechtsstellung der Reichsunmittelbarkeit folgte die Verpflichtung, dem König mit «Rat und Tat» zur Seite zu stehen. Diese Pflicht wurde in der Neuzeit institutionalisiert im Besuch der Reichstage und der Zahlung von Reichssteuern. Für beides bildeten die Reichsmatrikeln die Grundlage, welche die reichsunmittelbaren Stände (Reichsstände) und Städte (Reichsstädte) verzeichneten; nicht aufgeführt waren in den Reichsmatrikeln die ebenfalls reichsunmittelbaren Reichsritter. In der frühen Neuzeit war die Reichsmatrikel von 1521 entscheidend. Diese führte allerdings die eidgenössischen Orte mit Ausnahme von Basel und Schaffhausen nicht mehr auf, obwohl deren Reichszugehörigkeit und Reichsunmittelbarkeit feststand.

Die Wappen von Lausanne mit dem Reichsadler. Ausschnitt aus dem Plan von Lausanne, den David Buttet für den Rathaussaal gestaltet hat, 1638 (Musée historique de Lausanne).
Die Wappen von Lausanne mit dem Reichsadler. Ausschnitt aus dem Plan von Lausanne, den David Buttet für den Rathaussaal gestaltet hat, 1638 (Musée historique de Lausanne). […]

Von den schweizerischen Städten waren Bern, Zürich, Basel, Schaffhausen (später wieder österreichisch, ab 1415 erneut reichsunmittelbar), St. Gallen und Rheinfelden früh reichsunmittelbar und im Reichssteuerverzeichnis von 1241 aufgeführt. In der Liste fehlt Solothurn, obwohl die Reichsunmittelbarkeit der Stadt ab 1218 feststand. Luzern gelang nicht zuletzt durch das Bündnis mit den drei Waldstätten die Emanzipation von der habsburgischen Landesherrschaft. Freiburg erreichte die Reichsunmittelbarkeit erst 1477. Rheinfelden verlor seine Reichsunmittelbarkeit 1330, Diessenhofen besass sie nur vorübergehend 1415-1442. Von den Ländern hatten zuerst Uri (1231) und Schwyz (1240) die Reichsunmittelbarkeit erlangt, Unterwalden profitierte diesbezüglich vom Bund mit den beiden reichsrechtlich besser gestellten Orten (1309). Dies gilt auch für die späteren Bundesgenossen Zug und Glarus. Die summarische Privilegienbestätigung König Sigismunds von 1415 nivellierte die reichsrechtliche Stellung der acht alten Orte, deren Reichsunmittelbarkeit nunmehr feststand. Appenzell erlangte die Reichsunmittelbarkeit erst kurz vor dem Beitritt zur Eidgenossenschaft (1507). Die von Beginn des 16. Jahrhunderts an mit den eidgenössischen Orten verbündeten Städte Mülhausen und Rottweil waren ebenfalls reichsunmittelbar.

Der reichsunmittelbare Adel im Gebiet der Schweiz starb im Laufe des Spätmittelalters bzw. zu Beginn der Neuzeit aus, so 1436 die Grafen von Toggenburg, 1519 die Grafen von Thierstein und 1534 die Grafen von Werdenberg. Die Habsburger hatten, abgesehen vom vorderösterreichischen Fricktal, mit dem Thurgau 1460 ihre letzte Herrschaft auf schweizerischem Gebiet verloren. An reichsunmittelbaren geistlichen Fürsten verzeichnete die Reichsmatrikel von 1521 die Bischöfe von Basel, Chur, Sitten, Genf und Lausanne, zudem die Äbte von St. Gallen, Einsiedeln, Kreuzlingen, Stein am Rhein, Allerheiligen in Schaffhausen, St. Johann im Thurtal, Disentis und Pfäfers. Der Bischof von Basel verstand sich dezidiert als Reichsfürst und trat erst 1579 in direkte Verbindung mit der (katholischen) Eidgenossenschaft. Auch der Bischof von Chur hielt an seinem Reichsfürstentum stets fest. Die Äbte von St. Gallen, Einsiedeln und Pfäfers liessen sich bis zum Ende des Alten Reichs vom Kaiser belehnen, der Abt von Disentis bis ins 17. Jahhundert. Das Hochstift Genf sowie die Klöster Kreuzlingen, Stein und Allerheiligen hörten in der Reformationszeit auf zu existieren. Die Äbtissin des Zürcher Fraumünsters, die ab 1234 als Reichsfürstin bezeugt ist, behielt diesen Rang bis zur Auflösung des Klosters 1524. Die Bischöfe von Sitten und Lausanne wirkten bis 1803 als Titularfürsten, St. Johann im Thurtal wurde ins Kloster St. Gallen inkorporiert.

Quellen und Literatur

  • LexMA 7, 646
  • HRG 4, 799-801
Weblinks

Zitiervorschlag

Bettina Braun: "Reichsunmittelbarkeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.06.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009832/2012-06-25/, konsultiert am 16.04.2024.