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Privatrecht

Das Privatrecht bildet zusammen mit dem öffentlichen Recht die grundlegende Kategorie des kontinentaleuropäischen Rechtssystems. Zum Privatrecht gehören die Belange des privaten wirtschaftlichen und gesellschaftlihen Lebens, zum öffentlichen Recht jene des staatlichen. Das Privatrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es eine weitgehende Privatautonomie in der Rechtsanwendung und in der Gestaltung der Rechtsbeziehungen gestattet. Das gerichtliche Urteil erfolgt erst nach Anrufung der ordentlichen Gerichte von privater Seite. Demgegenüber ist das öffentliche Recht von Amtes wegen anzuwenden: Streitigkeiten werden von ordentlichen Gerichten in besonderen Verfahren oder von verwaltungsinternen Rechtsschutzinstanzen und Verwaltungsgerichten beurteilt.

Klassische Gegenstände des Privatrechts sind Personenrecht, Familienrecht, Erbrecht, Sachenrecht, Obligationenrecht (OR) inklusive Handelsrecht und Wechselrecht. Ebenfalls dem Privatrecht zuzurechnen sind Urheber-, Marken-, Patent-, Wettbewerbs-, Versicherungsrecht, Internationales Privatrecht und bäuerliches Pacht- und Bodenrecht. In einem weiteren Rahmen gehören schliesslich Schuldbetreibung, Konkurs und Datenschutz (Persönlichkeitsschutz) zum Bereich des Privatrechts.

Entwicklung des Privatrechts

Die Zweiteilung des Rechts in öffentliches und privates geht zurück auf das römische Recht. In der römischen Antike, im Frühmittelalter und während der folgenden Jahrhunderte kam dieser Unterscheidung allerdings kaum Bedeutung zu. Solange die Staatsmacht durch komplexe feudale Herrschaftsstrukturen geprägt war, mangelte es dem Begriffspaar «privat» und «öffentlich» an rechtlicher Relevanz. Erst die Ausbildung des modernen territorialen Staats und die Konzentration der staatlichen Eingriffe auf die Bereiche Sicherheit und Ordnung gaben dieser Unterscheidung mehr Gewicht.

Die Eingrenzung des öffentlichen Rechts auf staatliche Belange förderte die Entwicklung und Ausdehnung des Privatrechts im liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts: Wirtschaft und Gesellschaft sollten sich mittels Privatrecht selbst regulieren. Die Wirtschaftskrise der 1870er Jahre führte aber klar vor Augen, dass damit weder ein minimaler sozialer Ausgleich noch eine Existenzsicherung der unteren Schichten garantiert war (Sozialpolitik). Dieser Belange hatte sich der Staat regulierend anzunehmen. In der Folge wurden vermehrt zwingende Normen zum Schutz der schwächeren Vertragsparteien oder allgemeiner Interessen in das Privatrecht aufgenommen.

Privatrecht der Kantone

Während der Helvetik scheiterte ein erster Versuch, ein eidgenössisches Privatrecht nach dem Vorbild des französischen Code civil zu normieren (Code Napoléon). Selbst nach der Gründung des Bundesstaats von 1848 blieb das Privatrecht Sache der Kantone (Kantonales Recht).

Erster Entwurf des Zürcher Privatrechtlichen Gesetzbuches von Johann Caspar Bluntschli, 1851 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Erster Entwurf des Zürcher Privatrechtlichen Gesetzbuches von Johann Caspar Bluntschli, 1851 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).

Diese wiesen zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch innerkantonal oft ein stark zersplittertes Recht auf. Wenn überhaupt, war das Privatrecht nur partiell geregelt. Daneben galten lokale Statuten, Satzungen und das Gewohnheitsrecht. Um diese Rechtsvielfalt zu vereinheitlichen, erliessen die meisten Kantone eigene Kodifikationen des Privatrechts. Vorbilder für die privatrechtlichen Gesetzbücher der Kantone waren zunächst der Code civil von 1804 und das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1812. Dem Code civil verpflichtet waren die Kodifikationen der Westschweizer Kantone (Genf, Waadt, Wallis, Freiburg, Neuenburg sowie Bern für den Jura). Ebenfalls dieser Gruppe zuzurechnen ist der Kanton Tessin, dessen Zivilgesetzbuch sich an einer italienischen Umbildung des Code civil orientierte. Das ABGB diente der sogenannten bernischen Gruppe als Vorlage (Bern, Solothurn, Aargau, Luzern). Eine dritte Gruppe lässt sich auf das zürcherische Privatrechtliche Gesetzbuch (PBG, 1855) von Johann Caspar Bluntschli zurückführen (Zürich, Schaffhausen, Zug, Nidwalden, Glarus, Graubünden, Appenzell Ausserrhoden). Eine Zwischenstellung nahmen die Kantone Thurgau und St. Gallen ein, deren Kodifikationen sich sowohl auf den Code civil als auch auf das PBG abstützten. Einige wenige Kantone blieben – aus unterschiedlichen Gründen – ohne privatrechtliche Kodifikation (Obwalden, Uri, Schwyz, Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft). Dort ergingen jedoch privatrechtliche Einzelerlasse.

Nebst dieser innerkantonalen ist auch eine interkantonale Vereinheitlichung des Privatrechts zu konstatieren: 1856 kam ein Konkordat über den Schutz des schriftstellerischen und künstlerischen Eigentums zustande, dem sich 15 Kantone anschlossen. Einige Kantone (Aargau, Solothurn, Bern, Luzern, Schaffhausen, Basel-Stadt) führten in den Jahren 1857-1863 identische Wechselgesetze ein, denen das deutsche Wechselrecht als Vorlage diente. 1862 beauftragte der Bundesrat Walther Munzinger, den Entwurf eines Handelsgesetzbuchs auszuarbeiten, das in den Kantonen mittels Konkordat hätte Gesetzeskraft erlangen sollen. In der Vernehmlassung setzten die Kantone 1868 die Ausdehnung des Entwurfs auf das ganze Obligationenrecht und die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs zu Betreibungsverfahren und Konkursrecht durch. Diese regen Konkordatsbestrebungen wurden durch die Revision der Bundesverfassung (BV) von 1874 und das damit kodifizierte teilweise privatrechtliche Gesetzgebungsrecht des Bundes obsolet. Als man dieses 1898 grundsätzlich ausweitete und die entsprechenden Bundesgesetze schuf, wurde dadurch der Regelungsbereich der Kantone eingeschränkt.

Privatrecht des Bundes

Als Wegbereiter eines vereinheitlichten schweizerischen Privatrechts sind die Zeitschrift für schweizerisches Recht (ZSR), die 1852 von Johann Schnell, Friedrich von Wyss und Johann Rudolf Rahn gegründet wurde, und der Schweizerische Juristenverein (1861) zu nennen. Die ZSR war in der Schweiz das erste überkantonale, juristische Organ, dessen erklärtes Ziel es war, im Sinne der historischen Rechtsschule das Landesrecht zu ergründen und diesem klare Grundlagen zu geben. Die ZSR war in drei Hauptbereiche gegliedert: wissenschaftliche Darstellung der einheimischen Rechtseinrichtungen, Veröffentlichung historischer Rechtsquellen und Darstellung der aktuellen Gesetzgebung, Praxis und Statistik.

1862 kamen der Vorstand des Schweizerischen Juristenvereins und die Redaktoren der ZSR überein, diese zum offiziellen Publikationsorgan des Vereins zu erklären. Letzterer hatte sich von Anfang an für die Notwendigkeit einheitlicher Gesetze im Bundesstaat ausgesprochen. 1868 forderte er mittels Petition eine Revision der BV, wobei vorerst nur die Vereinheitlichung von Teilen des Privatrechts und des Zivilprozesses verlangt wurde. Bereits 1870 stimmte das Parlament einem entsprechenden Kompetenzartikel in der BV zu, der aber in der Volksabstimmung vor allem wegen der angestrebten Vereinheitlichung des Verfahrensrechts abgelehnt wurde. Die wieder aufgenommenen Arbeiten an einer neuen Verfassungsvorlage führten 1874 zu einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes für wirtschaftlich als dringend erachtete Bereiche, nämlich Obligationenrecht inklusive Handels- und Wechselrecht, persönlicher Handlungsfähigkeit, Urheberrecht sowie Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (Artikel 64 Absatz 1 BV 1874). Die Gesetzgebungsarbeiten zu den entsprechenden Bundesgesetzen wurden sofort an die Hand genommen. Überdies erliess der Bund 1874 ein Gesetz zur Feststellung und Beurkundung von Zivilstand und Ehe. 1887 dehnte der Souverän die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf den Patentschutz aus und ermächtigte diesen 1898 «zur Gesetzgebung in den übrigen Gebieten des Zivilrechts» (Artikel 64 Absatz 2 BV 1874).

Das Zivilgesetzbuch (ZGB) trat 1912 in Kraft, wurde aber wie das OR von 1881 aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die zu weiteren privatrechtlichen Spezialgesetzen führten und noch führen werden, mehrmals revidiert. Von zunehmender Bedeutung für das nationale Privatrecht sind auch inter- und supranationale Normen wie zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die Wiener Konvention oder das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), welche zu einer Angleichung zwischen den verschiedenen nationalen Privatrechten führen.

Quellen und Literatur

  • E. Huber, System und Gesch. des Schweiz. Privatrechts, 4 Bde., 1886-93
  • F. Elsener, Schweiz. Privatrecht 1, 1969
  • P. Caroni, "Privatrecht", 21999
  • G. De Biasio, Introduzione ai codici di diritto privato svizzero, 1999
  • P. Tuor, Das Schweiz. Zivilgesetzbuch, 122002
Weblinks

Zitiervorschlag

Eva Petrig Schuler: "Privatrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.10.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009607/2010-10-19/, konsultiert am 18.04.2024.