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Urbare

Als Urbare werden Güter- und Einkünfteverzeichnisse bezeichnet, die der Wirtschaftsführung, der Verwaltung, der Rechts- und der Besitzstandssicherung der Grundherrschaft dienten; sie waren Verwaltungsschriftgut (Akten) und Rechtsmittel (Rechtsquellen) zugleich. Der Begriff entstand aus dem althochdeutschen Wort urberan bzw. dem mittelhochdeutschen erbern (hervorbringen, Ertrag bringen bzw. ertragbringendes Grundstück) am Ende des 14. Jahrhunderts; er wurde ursprünglich in Verbindung mit «-buch» (urbarbuoch) oder latinisiert (urbarium) verwendet und erscheint erst vom 17. Jahrhundert an in der heutigen Form.

Urbare im Mittelalter

Die frühesten Urbare der heutigen Schweiz betrafen vorzüglich geistlichen Besitz wie das Verzeichnis von Kirchen, Gütern, Rechten und Hörigen des Klosters St. Gallen aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und das Churrätische Reichsgutsurbar, das wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Teilung von Verdun 843 erstellt wurde und das Reichsgut sowie Güter der Abtei Pfäfers aufführt. Die Urbare vom 8. bis ins 11. Jahrhundert waren erstmalige schriftliche Dokumentationen (lateinisch descriptiones) des Besitzstandes und der Einkünfte der mittelalterlichen Herrschaften in der Form meist einfacher Listen mit Orts- und Zinsangaben und sind oft nur als Notizen auf leeren Blättern von liturgischen Handschriften, in Nekrologen, Jahrzeitbüchern und Chartularen überliefert. Ab dem 12. Jahrhundert wurden sie ausführlicher und genauer, was insbesondere die Besitzaufnahme des Klosters Muri in den Acta Murensia (kurz nach 1140) oder das Lausanner Chartular (1200-1242), die zentrale Quelle zur Bistumsgeschichte, illustrieren. Im Wandel von der Betriebs- zur Rentengrundherrschaft im 12. und 13. Jahrhundert wurden Urbare als Hilfsmittel der Gutsverwaltung unumgänglich; sprunghaft wuchs ihre Zahl bei geistlichen Herrschaften, während sie beim Adel noch selten waren. Das älteste Urbar einer Adelsherrschaft im schweizerischen Raum, das fragmentarisch erhaltene kyburgische (1261-1264), war ein einfaches Einkünfteverzeichnis, ähnlich dem ersten tradierten Urbar des Herzogtums Bayern (um 1240), während das nur wenig jüngere Urbar für Österreich (1265-1267) schon Massstäbe für die Aufnahme setzte. Vier Jahrzehnte später wurden diese im Habsburgischen Urbar (1303-1307) der österreichischen Landesverwaltung in den Vorlanden, der Schweiz und in Österreich konsequent eingehalten. Vom 13. Jahrhundert an zeugen sogenannte Revokationsrödel, urbarähnliche Register der entfremdeten Güter und Leute, vom Kampf der Grundherren um die Erhaltung ihres Besitzes.

Inhalt und Form

Vom 14. Jahrhundert an waren Urbare neben Urkunden die wichtigsten Instrumente der Güterverwaltung. Zum Gebrauch der herrschaftlichen Amtleute (Vögte) verzeichneten sie den Besitz an Gütern und Herrschaftsrechten, insbesondere Gerichts-, Gewerbe-, Zoll- und Zehntrechte, die Einkünfte und den Rechtsstatus (Eigen oder Lehen). Die Forderung, vielfältige Information kurz formuliert, übersichtlich angeordnet und leicht auffindbar darzubieten, bestimmte die Darstellung: Urbare waren geografisch nach Orten und am Ort nach Zinsgütern, zum Teil auch nach Materie (z.B. Zehnten, Zölle) geordnet; sie wurden ab dem 16. Jahrhundert durch Orts-, Hof-, im 17. Jahrhundert auch Personenregister, erschlossen. Der einzelne Eintrag enthielt Angaben zum Zinsgut (Gebäude, Hofstatt, Land mit Anstössern), zum Zinser, zu Leiheformen (z.B. Erbleihe) und Leihelasten (Fall, Ehrschatz), zum Zinseinkommen (Natural-, Produkte-, Geldzins) sowie zu Frondiensten. Ausführliche Urbare verzeichnen die Herkunft und Besitzgeschichte von Gütern und Rechten, zum Teil auch die Nutzungsform. Oft begleiten Abschriften von Kauf-, Tausch- und Schenkungsurkunden und Gerichtsurteilen bei Streit den Eintrag. Die Sprache war Latein, vom 14. Jahrhundert an zunehmend die landesübliche Sprache.

Urbare des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Staatsarchiv Bern (Staatsarchiv Bern).
Urbare des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Staatsarchiv Bern (Staatsarchiv Bern). […]

Urbare sind in verschiedenen Formen überliefert – als meterlange Schriftrollen von aneinandergenähten Pergamentblättern, Rödel (mittellateinisch rotulus) genannt, als Einzelblätter, Pergamenthefte oder Pergamentbücher, vom 15. Jahrhundert an zunehmend auf Papier statt Pergament. Zu unterscheiden sind Originale (Konzept, Ausfertigung) und Abschriften. Die Urbaraufnahme geschah vor Ort: Unter Eid gaben Zinspflichtige Auskunft über ihr Zinsgut, ein Schreiber protokollierte. Gestützt auf diese Notizen wurden die Urbare dann in der Schreibstube in Reinschrift ausgefertigt, wobei sie vom 16. Jahrhundert an der notariellen Beglaubigung bedurften, um als Rechtsmittel zu gelten. Ausgefertigt wurden oft zwei gleichlautende Urbare, das Schlaf- oder Archivurbar und das beim Verwalter liegende Doppel, in das dieser Änderungen am Zinsgut (z.B. Zinserwechsel) eintrug. Von der Anlagehand unterscheiden sich oft mehrere Nachtragshände.

Das 17. und 18. Jahrhundert brachten die Blütezeit einer kostspieligen Urbarkultur, deren Merkmale umfangreiche, kalligrafisch beschriebene Folianten mit Pergament- oder Lederdeckeln und kunstvollen Metallschliessen waren. Nicht zuletzt zwangen Güterteilungen zur periodischen Neufassung der Urbare – daher die ebenfalls geläufige Bezeichnung Güterbereine –, meist im Abstand von 40 Jahren. Neben den Urbaren wurden auch einfache Zinsregister in Heft- oder Buchform geführt. Mit der Abschaffung der Herrschaftsrechte und dem Zerfall der grundherrlichen Gutsverwaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Urbare obsolet. Während dieser Zeit etablierten sich die den Urbaren verwandten öffentlichen Grundbücher als Verzeichnisse der dinglichen und persönlichen Rechte an Grundstücken (Vermessung).

Editionen

Die frühen Urbare, teilweise nur dank Aegidius Tschudis Abschriften überliefert, sind oft die einzigen Quellen zur mittelalterlichen Verfassungs-, Siedlungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte sowie zur mittelalterlichen Genealogie und Ortsnamenforschung. Wie in den Nachbarländern kam auch in der Schweiz ab den 1860er Jahren die Edition früher Urbare in Gang, anfänglich im Rahmen von Urkundeneditionen, später auch in eigenen Editionsreihen (Philologie), zum Beispiel in den Quellen zur Schweizer Geschichte und im Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. In der Urbarforschung standen genealogische neben verfassungs- und wirtschaftshistorischen Themen im Vordergrund. Die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen edierte neben den mittelalterlichen auch jüngere Urbare als wichtige Quellen zur frühen Neuzeit.

Quellen und Literatur

  • Schweizer, Paul: «Beschreibung, Geschichte und Bedeutung der habsburgischen Urbaraufzeichnungen», in: Maag, Rudolf; Glättli, Walter; Schweizer, Paul (Hg.): Das habsburgische Urbar, Teilbd. 2, 1904, S. 329-680.
  • Fossier, Robert: Polyptyques et censiers, 1978.
  • Hägermann, Dieter: «Urbar», in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, 1997, Spalten 1286-1289.
  • Rösener, Werner: «Urbar», in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, 1998, Spalten 558-562.
  • Sablonier, Roger: «Verschriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbariales Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch», in: Meier, Christel; Honemann, Volker et al. (Hg.): Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur, 2002, S. 91-120.
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Urbare", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.10.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008953/2023-10-09/, konsultiert am 29.03.2024.