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Savoyerhandel

Die Ursprünge des Savoyerhandels von 1860 liegen in der Absprache zwischen Kaiser Napoleon III. und Camillo Cavour als Vertreter des Königreichs Sardinien-Piemont, die 1858 vereinbart hatten, dass Frankreich als Gegenleistung für seine Hilfe für Sardinien-Piemont im italienischen Einigungskrieg von 1859 die Provinzen Nizza und Savoyen erhalten werde. Die Schweiz protestierte gegen diese Pläne, da sie die Aufhebung der nordsavoyischen Neutralität befürchtete, die in den Wiener Verträgen und im Zweiten Pariser Frieden (beide 1815) sowie im Turiner Vertrag (1816) festgehalten worden war und vor allem für das exponierte Genf eine Sicherheit darstellte. Mit der nordsavoyischen Neutralität war das Recht der Schweiz verbunden, Nordsavoyen im Kriegsfall militärisch zu besetzen.

General Guillaume-Henri Dufour und Kaiser Napoleon III. Karikatur von E. Affolter aus dem Jahr 1860, veröffentlicht als Lithografie in der Zeitschrift Panthéon genevois, 1864 (Schweizerisches Nationalmuseum).
General Guillaume-Henri Dufour und Kaiser Napoleon III. Karikatur von E. Affolter aus dem Jahr 1860, veröffentlicht als Lithografie in der Zeitschrift Panthéon genevois, 1864 (Schweizerisches Nationalmuseum). […]

Die Schweizer Behörden spekulierten aufgrund der unklaren Rechtslage und ihrer Interpretation der nordsavoyischen Neutralität darauf, dass Frankreich das Chablais und das Faucigny an die Schweiz abtreten werde. In Nordsavoyen und in Genf formierte sich eine proschweizerische Bewegung, die mit 13'651 Unterschriften von Savoyarden den Anschluss der nordsavoyischen Gebiete an die Schweiz verlangte und von den radikalen Kreisen um Bundesrat Jakob Stämpfli sowie von der Studentenverbindung Helvetia unterstützt wurde. Kaiser Napoleon III. beendete diese Spekulationen jedoch mit seiner Thronrede vom 1. März 1860, in der er Savoyen und Nizza für Frankreich reklamierte, ohne das Chablais und das Faucigny explizit zu nennen. Der Bundesrat wandte sich am 19. März 1860 mit einer Protestnote an die Signatarmächte der Wiener Verträge. Er war überzeugt, dass Frankreich die Neutralität Nordsavoyens nicht respektieren würde, und verlangte einen internationalen Kongress. England und die übrigen Mächte traten jedoch nicht auf den schweizerischen Aufruf ein, und auch Guillaume-Henri Dufour erreichte bei Kaiser Napoleon III. keine territorialen Zugeständnisse. Am 24. März 1860 ratifizierten das Parlament in Turin und der französische Senat den Abtretungsvertrag. Radikale Kreise forderten daraufhin die militärische Besetzung Nordsavoyens durch die Schweiz. In der Nacht vom 29. auf den 30. März 1860 bemächtigten sich etwa 30 bewaffnete Genfer unter der Führung des radikalen Genfer Grossrats John Perrier eines Dampfschiffs und steuerten Thonon und Evian an, wo sie erfolglos einen proschweizerischen Aufstand unterstützen wollten (Aktion Perrier). Am 22. April 1860 stimmte eine überwältigende Mehrheit der Savoyarden für den Anschluss an Frankreich. Vergeblich versuchte die Schweiz in der Folge, Grenzverbesserungen zu erwirken.

Den Höhepunkt der stark emotionalisierten medialen Debatte, die sich immer mehr mit der innenpolitischen Dimension des Savoyerhandels beschäftigte, markierte 1860 der Disput um die Artikelserie «Die tiefern Differenzen in der Savoyerfrage» des Zürcher Ständerats Jakob Dubs in der NZZ, in der dieser die unklare Rechtslage für die Auseinandersetzung verantwortlich machte. Die Berichterstattung war geprägt vom Neuenburgerhandel von 1856-1857, der in der Schweiz als aussenpolitischer Erfolg wahrgenommen wurde, während der Savoyerhandel als Misserfolg in die Annalen einging.

Quellen und Literatur

  • Denkschr. über die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem neutralisirten Savoyen, 1859
  • J. Bard, Le Chablais et le Faucigny ou La Savoie neutralisée, 1860
  • DDS 1
  • L. Monnier, L'annexion de la Savoie à la France et la politique suisse 1860, 1932
  • P. Guichonnet, Histoire de l'annexion de la Savoie à la France, 1998 (Neuaufl. 2003)
  • R. Stöckli, Der Savoyerhandel von 1860, 2008
  • La Savoie et l'Europe, 1860-2010, hg. von C. Sorrel, P. Guichonnet, 2009
Weblinks

Zitiervorschlag

Rita Stöckli: "Savoyerhandel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.02.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008924/2011-02-18/, konsultiert am 28.03.2024.