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Nachrichtendienste

Nachrichtendienste sind staatliche, selten private Organisationen zur Beschaffung und Auswertung politischer, militärischer und wirtschaftlicher Informationen im In- und Ausland. Sie arbeiten offen oder bedienen sich verdeckter Mittel und Methoden.

Bereits die Orte der Alten Eidgenossenschaft sammelten Nachrichten mittels Vertrauenspersonen mit Beziehungen zum Ausland, stehenden oder reisenden Agenten, militärischer Kundschafterdienst, Beobachtung über die Landesgrenze und der Einvernahme von Grenzgängern, Flüchtlingen und Deserteuren. Die "Anleitung für den Generalstab" (1847) enthielt erstmals Angaben zur Organisation des Nachrichtendienstes auf den Stufen eidgenössischer Stab und Division. Beide verfügten über einen Kredit zur Entschädigung von Agenten, und beide führten ein Nachrichtenheft. Nach 1848 forderte auch der Bundesrat fallweise diplomatische Vertretungen im Ausland, die PTT, Eisenbahnen, Zollorgane oder Grenzpolizei auf, ihm Informationen bereitzustellen. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Nachrichtensektion im Generalstab so schwach dotiert, dass andere Sektionen bei der Beschaffung von Informationen einsprangen. Die Obersten-Affäre 1916, in der hohe Offiziere Informationen an die Zentralmächte weitergaben, führte zum Versiegen verschiedener Nachrichtenquellen. Nach dem Ersten Weltkrieg leitete der Chef der 5. Sektion der Generalstabsabteilung den nach wie vor mager ausgestatteten Nachrichtendienst. Informationen über fremde Heere lieferten in erster Linie Offiziere, die ins Ausland abkommandiert waren oder sich dort privat aufhielten.

Gegen Ende 1936 trat Roger Masson an die Spitze der Nachrichtensektion. Er erhielt 1938 unter anderem die Weisung, zur Vorbeugung eines überraschenden strategischen Überfalls ein Gebiet von 300 km jenseits der Landesgrenze zu überwachen. Im gleichen Jahr bezogen die ersten Militärattachés ihre Posten in Paris, Rom und Berlin. Anlässlich der Kriegsmobilmachung 1939 verfügte Masson über zehn Mitarbeiter. Ihre Zahl stieg im Verlauf des Aktivdiensts auf 120, denn die militärische Lage in Europa machte die Schweiz zu einer Drehscheibe der Nachrichtendienste. Alfred Ernst leitete das besonders wichtige Büro Deutschland. Er arbeitete mit Max Waibel zusammen, der die Nachrichtenbeschaffung von der Sammelstelle Rigi aus betrieb und 1945 bei den Geheimgesprächen in der Schweiz zwischen Allen W. Dulles und SS-General Karl Wolff im Vorfeld der deutschen Teilkapitulation in Oberitalien eine wichtige Rolle spielte (Operation Sunrise). Hans Hausamann, der in den Vorkriegsjahren von Teufen (AR) aus ein privates Netz aufgebaut hatte, wurde Waibel zugewiesen und verschob sein Büro, nun Pilatus genannt, in die Zentralschweiz. Den schweizerischen Nachrichtendiensten gelang es, Verbindungen wie die sogenannte Wikinglinie aufzubauen, die bis ins Führerhauptquartier und ins Reichskriegsministerium reichten. Masson selbst zog die umstrittene Nachrichtenlinie zum SS-General Walter Schellenberg auf. Der ebenfalls bestehende Truppennachrichtendienst, der auf die Zwischenkriegsjahre zurückgeht, steckte lange in den Kinderschuhen. Die 1947 gegründete Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere versuchte, durch eigene Arbeitsanleitungen die Ausbildung voranzutreiben, das erste Reglement über den Truppennachrichtendienst erschien jedoch erst 1962.

Empfangsstation der Schweizer Armee im bernischen Zimmerwald. Fotografie vom Januar 2006 © KEYSTONE / Yoshiko Kusano.
Empfangsstation der Schweizer Armee im bernischen Zimmerwald. Fotografie vom Januar 2006 © KEYSTONE / Yoshiko Kusano. […]

Nach dem Zweiten Weltkrieg prägten der Kalte Krieg und der Antikommunismus die Arbeit der Nachrichtendienste, so auch im Fall der Zusammenarbeit mit Südafrika. Die Einbettung der militärischen Landesverteidigung in eine umfassende Gesamtverteidigung erforderte eine Synthese der strategischen Nachrichten aller Departemente. Zu diesem Zweck wurde 1969 auf Antrag des Generalstabschefs die sogenannte Lagekonferenz geschaffen, die 1975 in den sogenannten Sonderstab Bundesrat eingegliedert wurde. 1977 wurde im Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) für das Sammeln von "Informationen mit erhöhtem Risiko" ein ausserordentlicher Nachrichtendienst errichtet, der verdeckt arbeitete und unter der Leitung des Obersten Albert Bachmann stand. Nachdem dessen Agent Kurt Schilling 1979 in Österreich aufgeflogen war, kam eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zum Schluss, dass die Errichtung eines ausserordentlichen Nachrichtendiensts gerechtfertigt sei, verlangte aber dessen Überführung in eine private Organisation. Unter dem Decknamen P-27 wurde das Projekt eines geheimen Nachrichtendiensts fortgeführt. Als im Zug der Fichenaffäre die Öffentlichkeit davon Kenntnis erhielt, kritisierte 1990 die Parlamentarische Untersuchungskommission EMD die fehlende gesetzliche Abstützung und politische Kontrolle. Die P-27 wurde aufgelöst. Nach verschiedenen Reorganisationen beschloss der Bundesrat 2000, den Strategischen Nachrichtendienst aus dem Generalstab zu lösen und ihn in eine zivile Organisationseinheit des VBS umzuwandeln. Als Nachfolger des Auslandnachrichtendiensts kümmert er sich um die Auslandaufklärung und beschafft der politischen und militärischen Führung die für die Sicherheit der Eidgenossenschaft bedeutsamen Informationen. Ihm zur Seite gestellt sind die im Führungsstab der Armee verbliebene Organisation des Militärischen Nachrichtendiensts (ehemaliger Armeenachrichtendienst) und des Luftwaffennachrichtendiensts (für die militärische Nutzung des Luftraums zuständig).

Das Gegenstück zur Tätigkeit der Nachrichtendienste bildet die Abwehr fremder Spionage und Sabotage (Staatsschutz), die im Zweiten Weltkrieg bis zur Vollstreckung von Todesurteilen ging (Landesverrat). Statt Hand in Hand arbeiteten die Bundespolizei, die Bundesanwaltschaft und die Nachrichtendienste der Armee im Kalten Krieg oft gegeneinander. Um die Regelung der Zuständigkeiten zu vereinfachen, ernannte der Bundesrat 1969 den Chef Bundespolizei in Personalunion zum Chef Abwehr der Gruppe für Generalstabsdienste. 1971 ging die Oberaufsicht an den Bundesanwalt. Diese Lösung wurde nach der Fichenaffäre 1990 rückgängig gemacht. Nach verschiedenen Reorganisationen übernahm ab 2001 der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) den Inlandnachrichtendienst. 2009 wechselte der DAP wieder ins VBS und wurde dort 2010 mit dem Strategischen Nachrichtendienst im neu geschaffenen Nachrichtendienst des Bundes zusammengeführt.

Quellen und Literatur

  • Vorkommnisse im EMD: Ber. der Parlamentar. Untersuchungskomm. (PUK EMD) vom 17. Nov. 1990
  • P.-T. Braunschweig, Geheimer Draht nach Berlin: die Nachrichtenlinie Masson-Schellenberg und der schweiz. Nachrichtendienst im Zweiten Weltkrieg, 1989
  • G. Kreis, Die Schweiz und Südafrika 1948-1994, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans Senn: "Nachrichtendienste", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.11.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008680/2011-11-10/, konsultiert am 28.03.2024.