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Spiez

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Amtsbezirk Niedersimmental, Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental, am linken Thunerseeufer gelegen, umfasst das Dorf Spiez und die Aussenbezirke Einigen, Faulensee, Spiezwiler sowie Hondrich. 761-762 Spiets 1764 1059 Einwohner; 1850 2115; 1888 2045; 1900 3031; 1950 6536; 2000 12'027.

Vorrömische Zeit

Auf dem Geländerücken zwischen der Kander und dem Thunersee kamen vorgeschichtliche Funde in ungewöhnlicher Zahl und Qualität zum Vorschein. Mehrere frühbronzezeitliche Gräber von drei verschiedenen Fundstellen lieferten bronzene Gewandnadeln, Beile und Dolche. Sie gehören etwa in die Zeit von 1750-1500 v.Chr. Nur wenig jünger sind einzelne auf der Erhebung Bürg geborgene Objekte (Dolche, Geschossspitzen, eine Lanzenspitze, der beinerne Knebel einer Pferdetrense und ein Rasiermesser). Auf diesem markanten, über den See ragenden Geländesporn wurden in Ausgrabungen zwischen 1935 und 1967 die Spuren einer Siedlung freigelegt.

Ein anderer Hügelrücken, das Eggli, kann – soweit alte Aufsammlungen und jüngere Grabungen eine sichere Interpretation zulassen – als Kultplatz mit langer Tradition gedeutet werden. In dessen Mittelpunkt stand wohl ein Granitblock. Kohle und Ascheschichten sowie zehntausende kleinstteilige Keramikfragmente zeugen von Opferpraktiken der Bronze- und frühen Eisenzeit (ca. 1500-500 v.Chr.). Der mittleren Bronzezeit sind auch drei Sicheln und eine vielleicht ebenfalls von hier stammende zusammengebogene, ungewöhnlich lange Nadel mit eingehängten Ringen (angeblicher Fundort Obergut) zuzuordnen.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden mehrere Gräber aus dem Zeitraum vom 4. bis 2. Jahrhundert v.Chr. von verschiedenen Fundstellen. Ausser bemerkenswerten Einzelstücken aus Gold, Bernstein und Glas fällt in den Frauengräbern der höchst qualitätvolle Bronzeschmuck in keltischem Stil auf. Er lässt auf überregionale Verbindungen nach Süden und Norden schliessen. Von Faulensee stammt ein seltenes Brandgrab mit Keramik aus dem 1. Jahrhundert v.Chr.

Von der Römer- bis in die Neuzeit

Römische Münzen sowie römische oder frühmittelalterliche Skelette wurden in Faulensee, ein frühmittelalterliches Gräberfeld in der Sodmatt, Streitäxte in der Einigenallmend und vielleicht frühmittelalterliche Skelettgräber unterhalb des Strättligturms entdeckt. Nach Elogius Kiburger, Pfarrer von Einigen und Verfasser der Strättliger Chronik, soll der burgundische König Rudolf II. 933 die Burg Spiez erbaut haben; später hätten die Freiherren von Strättligen ihren Sitz in den Goldenen Hof nach Spiez verlegt. Denkbar ist, dass Spiez ähnlich wie der nahe Königshof Wimmis burgundisches Königsgut war. Der Ort ist 1280 urkundlich als Reichslehen bezeugt: Am Fuss der hochmittelalterlichen Burganlage Spiez (Hauptturmfragmente und Schildmauer aus dem 12. Jahrhundert) hatte sich im 13. Jahrhundert das Städtchen Spiez mit Mauer und Tor gebildet, dem König Rudolf I. von Habsburg 1280 einen Wochenmarkt zugestand; Inhaber des Lehens Spiez war Reichsvogt Richard von Corbières. 1289 waren die Freiherren von Strättligen Mitinhaber der Burg neben anderem Adel (von Kyburg, von Eschenbach, von Kien). Bei seiner Blutrache nach der Ermordung König Albrechts I. bei Windisch 1308 zog Habsburg-Österreich das Reichslehen Spiez an sich, entsetzte den Leheninhaber Thüring von Brandis und belehnte Freiherr Johannes von Strättligen. 1338 verkaufte dieser nach früheren Verpfändungen Burg, Stadt und Dorf Spiez mit dem Kirchensatz von Einigen und den Dörfern Einigen, Faulensee, Hondrich, Wiler sowie Gesigen an Johann II. von Bubenberg, den Schultheissen von Bern.

Die Herrschaft Spiez umfasste damit das Gebiet der heutigen Gemeinde Spiez; in ihr verfügten die von Bubenberg über alle Gerichte (Hochgerichtsstätte bei Spiezmoos-Sagiwald), über den Heerbann, die Kirchensätze, Jagd und Fischfang, ferner über Reichslehen (u.a. Mannenberg, Schadau), die mit Spiez verbunden waren. Die von Bubenberg unterstanden ab 1340 Habsburgs Lehenspflicht, bis Spiez nach der Niederlage der Habsburger bei Sempach 1386 mit der Landgrafschaft links der Aare 1388 unter bernische Landesherrschaft kam. Nach 1400 wurde Spiez als Freiherrschaft der Kastlanei Frutigen unterstellt. Infolge des Aussterbens der von Bubenberg gelangte Spiez 1506 an Ludwig von Diesbach, dann 1516 an Ludwig von Erlach. Die von Erlach übten bis 1798 die "volle Herrschaft" aus, wobei sich Bern die im Twingherrenstreit 1470 errungenen Mannschafts-, Tellsteuer- und Appellationsrechte vorbehielt.

Ansicht des Schlosses, vom Thunersee aus Richtung Südwesten mit der Stockhornkette im Hintergrund. Aquarell von Albrecht Kauw, um 1672 (Bernisches Historisches Museum).
Ansicht des Schlosses, vom Thunersee aus Richtung Südwesten mit der Stockhornkette im Hintergrund. Aquarell von Albrecht Kauw, um 1672 (Bernisches Historisches Museum).

Die in der 1406 bezeugten gemeind von Spiez organisierten Herrschaftsleute unterstanden einem eigenen, 1541 kodifizierten Landrecht (Zusätze bis 1760; 1836 abgeschafft). Im Städtchen Spiez galt gemäss dem Landrecht älteres Stadtrecht. 1312 sind erstmals burgenses (Bürger) belegt; der Schultheiss war zugleich Statthalter der Herrschaft. In bernischer Zeit verlor das Kümmerstädtchen als befestigter Umschlag- und Stapelplatz an Bedeutung; um 1600 vernichtete ein Brand letzte bauliche Reste der Befestigung. Für das "Städtli" galt nun gleiches Recht wie für die übrigen Dörfer der Herrschaft. 1798 fielen die Herrschaftsrechte der Familie von Erlach an den Staat, 1839 durch Dekret auch die Kirchensätze. 1803 teilte Bern Spiez dem Oberamt bzw. Amtsbezirk Niedersimmental zu.

Die Familie von Erlach blieb bis 1875 Eigentümerin des Schlossareals. Die ehemalige Burganlage war in Etappen zum Schloss erweitert worden, im Spätmittelalter und um 1600 um den Palas und den Nordbau, im 17. und 18. Jahrhundert um das neue Schloss (Südseite) und das Wirtshaus (heute Le Roselier). Das Areal umfasste Gärten, Rebberge und Wald. Nach verschiedenen Besitzerwechseln erwarb die Stiftung Schloss Spiez 1929 die Anlage mit der seit 1907 dazugehörigen Schlosskirche. Gärten und Schloss wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dienen heute als Tagungsort und Kulturzentrum (Ausstellungen, Schlosskonzerte und seit 1959 Freilichtspiele).

Das Gemeindegebiet umfasst die fünf ehemaligen Bäuerten Spiez, Spiezwiler, Einigen, Faulensee und Hondrich; als grösste zählte Spiez 2009 7650 Einwohner (ca. 61% der Gemeindebevölkerung). Die Bäuerten waren – mit Ausnahme Einigens, das bis 1761 eine eigene Kirchgemeinde bildete – alle nach Spiez pfarrgenössig. Die ehemalige Laurentiuskirche neben dem Schloss wird 761-762 anlässlich der Schenkung des Kirchensatzes ans Kloster Ettenheim (Breisgau) erstmals erwähnt; sie zählt zu den "zwölf Thunerseekirchen" der Strättliger Chronik. Der heute noch bestehenden, frühromanischen Pfeilerbasilika mit drei Apsiden und Krypta (um 1000) ging eine Kirche voraus, die aus dem 7. oder 8. Jahrhundert datiert. Inner- und ausserhalb dieses Baus wurden zahlreiche Gräber entdeckt (u.a. Reitergrab an südwestlicher Ecke). Der Kirchensatz war mit Ausnahme der Zeit zwischen 1336 und 1427 mit der Herrschaft verbunden. Der Pfarrkirche Spiez unterstand die Kapelle Faulensee. Die Reformation von 1528 änderte am Status der Pfarrkirche nichts; erst mit dem Kirchenbau im Dorf Spiez (1905-1907) wurde sie zur Schlosskirche. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestand die reformierte Kirchgemeinde Spiez aus drei Pfarrkreisen. Die katholische Kirche Bruder Klaus wurde 1898, das katholische Kirchenzentrum 1974 errichtet.

Erwerbszweige der Bäuerten am See waren Reb- und Obstbau sowie Fischerei und Schiffsdienst; die übrigen Bäuerten betrieben vor allem Feldgrasbau. Die Bäuerten verfügten über Allmenden (Weiden, Wälder), an denen jeder Herrschaftsmann (Burger) teil hatte. Nach 1800 wurden diese teils als Pflanzland genutzt und 1872 parzellenweise an Burger zur Finanzierung von Gemeindeaufgaben verkauft. Trotz guter Lage der 1338 erstmals erwähnten Weinberge führten Rebkrankheiten um 1900 zur Aufgabe des Rebbaus; ab 1927 versuchten Winzer am Spiezberg und in Faulensee einen Neuanfang. Die Kander war Grenzfluss gegen Südwesten; vor ihren Wildwassern schützten sich die Bäuerten durch Wehrbauten – der älteste Schwellenvertrag datiert von 1474 – und Auwälder. Die Kander wurde 1711-1713 in den Thunersee umgeleitet; sie floss zunächst durch einen Stollen und nach dessen Einbruch durch die heutige Schlucht in den See; das stetig wachsende Delta zählt zum Spiezer Gemeindeboden.

1834 konstituierte sich die Einwohnergemeinde Spiez im Umfang der Kirchgemeinde; die Bäuerten nahmen aber noch bis ins 20. Jahrhundert hinein kommunale Aufgaben wie Strassenwesen, Uferschutz und Feuerwehr wahr. Auch das Schulwesen wurde erst 1934 Sache der Einwohnergemeinde, die ausser den Schulen in Spiez, darunter seit 1906 die Sekundarschule, sieben weitere Schulhäuser in den Aussenbezirken führt. Die alte Landstrasse von Thun ins Oberland, welche die Bäuerten bis ins 20. Jahrhundert gemeinsam zu unterhalten hatten, verlief mehrheitlich über Gebiet der Nachbargemeinden. Im 19. Jahrhundert setzte Spiez deshalb alles daran, den Verkehr wegen der damit verbundenen Erwerbsmöglichkeiten in die Gemeinde zu ziehen; dies gelang mit der Anlage der linksufrigen Thunerseestrasse (1844) sowie der Eröffnung neuer Dampfschiff- (Stationen Spiez 1835, Faulensee 1876, Einigen 1926) und Zugverbindungen. Spiez entwickelte sich – obwohl diese Rolle um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch Wimmis zugedacht worden war – zum Eisenbahnknoten, an dem die Strecken Thun-Spiez-Interlaken (1893), Spiez-Zweisimmen-Montreux (1897-1905), Spiez-Frutigen-Lötschberg-Simplon (1901-1913) aufeinandertreffen. Der Bahnbau löste in Spiez ab 1893 eine hektische Bautätigkeit aus, mit der sich das Siedlungsschwergewicht zum Bahnhof (Post, Hotel, Gewerbe, Läden) und an den Spiezberg verschob.

Dank mildem Klima wurde Spiez im 19. Jahrhundert als Luftkurort beliebt; ab 1856 entstanden Pensionen und Hotels (u.a. Schonegg, Spiezerhof, Faulensee-Bad). Der Verkehrsverein wurde 1896 gegründet, der Strandweg 1913-1914 und das Strandbad 1927 angelegt. Nach Konjunktureinbrüchen setzte 1950 ein Aufschwung in der Parahotellerie (Chalets, Ferienwohnungen) ein und der Ausflugstourismus nahm stetig zu. Ähnlich entwickelten sich die touristischen Seeorte Einigen und Faulensee (beide mit Bahn- und Schiffsstationen), während Hondrich landwirtschaftlich geprägt blieb. In Spiezwiler setzte die Bautätigkeit mit dem Anschluss an das Autobahnnetz (A6, A8) in den 1980er Jahren ein; der 1990 eröffnete Umfahrungstunnel ins Kandertal, der vom Verkehrslärm befreite, machte Spiezwiler als Wohnort noch attraktiver. 2009 stützte sich Spiez wirtschaftlich auf ein vielfältiges Kleingewerbe, einige Industrieunternehmen (BLS-Werkstätten, Kanderkies AG, Betonelement- sowie Kunststoffwerk, Isoliertechnik) und zahlreiche Dienstleistungsbetriebe ab.

Spiez verfügt über ein breites Aus- und Weiterbildungsangebot, zu welchem das Private Schulzentrum NOSS (früher Oberländische Schule Spiez für Berufslehren), die kantonale Berufsschule Schlossbergschule, das Ausbildungszentrum für die Schweizerische Fleischwirtschaft ABZ (früher Schweizerische Metzgerfachschule) und das Inforama Berner Oberland (früher Kantonale Bergbauern- und Haushaltungsschule Hondrich) beitragen. Zum ABC-Zentrum Spiez des Bundes, dem schweizerischen Fachinstitut für den Schutz vor atomarer, biologischer und chemischer Bedrohung, gehört auch das Labor Spiez, das 1925 in Wimmis eingerichtet und 1981 nach Spiez verlegt worden ist. Das Lehrerseminar Spiez bestand 1972-2002. Die 1930 gegründete Heimstätte für die reformierte Jugend wandelte sich zum Tagungsort Gwatt-Zentrum. In einem ehemaligen Weinbauernhaus von 1728 wurde 1986 das Rebbau- und Heimatmuseum eingerichtet. Die stilistisch der Neurenaissance verpflichtete Villa Sonnenfels beherbergt heute die Gemeindeverwaltung.

Quellen und Literatur

  • O. Tschumi, Urgesch. des Kt. Bern (alter Kantonstl.), 1953
  • F. Oswald et al., Vorroman. Kirchenbauten 1, 1966, 318 f.
  • F. Maurer, Spiez, 1970
  • H.R. Hubler, Spiez 650 Jahre bernisch, 1988
  • A. Stettler, Gmeynd Spietz, 1991
  • R. Gubler, «Spiez-Einigen, Holleeweg 3», in Archäologie Bern, 2010, 147-173
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Felix Müller (Bern); Anne-Marie Dubler: "Spiez", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008454/2013-01-08/, konsultiert am 28.03.2024.