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Langobarden

Westgermanischer Stamm, der 5 n.Chr. in Zusammenhang mit dem Germanienfeldzug des Tiberius in das Elbegebiet erstmals ins Blickfeld antiker Schriftsteller gerät. Die wichtigste Quelle über dieses Volk stellt die Ende des 8. Jahrhunderts verfasste "Historia Langobardorum" des Paulus Diaconus dar. Die Südschweiz gehörte ab dem Ende des 6. Jahrhunderts zum Langobardenreich in Italien, das bis ins 8. Jahrhundert Bestand hatte.

Ursprünge, Wanderungen bis 568

Am Beginn der Geschichte der Langobarden steht der Topos der Überbevölkerung, der das ursprünglich Winniler ("Kämpfer") genannte Volk zum Wegzug von der "Insel Skandinavien" (Schonen?) gezwungen habe. Dem sagenhaften Auszug über die Südküste der Ostsee ("Scoringa") und die Seenlandschaft im westlichen Mecklenburg ("Mauringa") in die Lüneburger Heide ("Golaida") hat die Archäologie nur eine vage Kulturgruppe zur Seite zu stellen (Gräber mit Waffen- und Schmuckbeigaben), die sich von der Spätbronzezeit bis ins 1. Jahrhundert v.Chr. an der südlichen Niederelbe und im südwestlichen Mecklenburg entwickelte. 167 wurde eine langobardische Schar an der Donau von Marc Aurel im Markomannenkrieg zurückgeschlagen. Vom 2. bis ins 4. Jahrhundert verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt der Langobarden allmählich in die Altmark (Sachsen-Anhalt) und im 5. Jahrhundert von der Elbe in den Donauraum. Um 488 folgte ein Vorstoss ins Rugiland (Niederösterreich), was zu ersten intensiveren Kontakten mit der römischen Kultur führte. Um 510 dehnten die Langobarden ihr Herrschaftsgebiet auf Kosten der Heruler nach Pannonien (Mähren bis Westungarn) aus, wo wohl viele Stammesangehörige zum arianischen Christentum konvertierten (Arianismus). Die Integration diverser ethnischer Gruppen, eine gezielte Heiratspolitik der Königsfamilien mit anderen germanischen Dynastien (Merowinger, Gepiden usw.) und militärische Bündnisse unter anderem mit Byzanz machten das Königreich schliesslich zum wichtigen Machtfaktor im Donauraum.

Das Langobardenreich in Italien (568-774)

568 räumten die Langobarden Pannonien und drangen zusammen mit anderen ethnischen Gruppen (z.B. Sachsen, Gepiden, auch Romanen) in Norditalien ein. 569 fiel Mailand, 572 Pavia, die Toskana wurde erobert. Die Verbreitung der Gräber der Einwanderergeneration, deren Beigaben (Fibelschmuck, Keramik mit Stempeldekor) mannigfache Verbindungen zu den Herkunftsgebieten in Niederösterreich, Südmähren und Westungarn aufzeigen, machen das Ausmass der ersten Eroberungswelle deutlich; diese erfasste bereits alle wesentlichen Gebiete des späteren Langobardenreichs, wobei eine verkehrsgeografisch-strategische Ausrichtung unverkennbar ist. Die enge Nachbarschaft langobardischer Gräber zu denen der Einheimischen und gemeinsam genutzte Friedhöfe deuten darauf hin, dass die Langobarden sich innerhalb oder in unmittelbarer Nähe der bestehenden Siedlungen der Romanen niederliessen. Auch in Städten sind Langobarden früh archäologisch nachweisbar.

Der Vorstoss nach Italien führte dort in kultureller oder wirtschaftlicher Hinsicht zu keinem Kontinuitätsbruch. Wie das gesamte römische Westreich hatte auch Italien vom 4. Jahrhundert an mit wirtschaftlicher Rezession und einem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen, zählte aber nach wie vor zu den massgebenden Zentren der Spätantike. Die zahlenmässig weit unterlegenen Neuankömmlinge passten sich schnell an. Schon die zweite Generation wohlhabender Langobardinnen legte die germanische Vierfibeltracht ab und übernahm die romanische Tunika, deren Mantel oder Umhang mit einer einzelnen Scheibenfibel verschlossen wurde. Auch die langobardischen Männer unterschieden sich bald weniger durch ihre Ausrüstung – Gürtel, Wehrgehänge und Waffen letztlich italisch-byzantinischer Art – von ihren romanischen Zeitgenossen als durch die reichhaltige Grabausstattung. Ein Kennzeichen langobardischen Grabbrauchs sind wohl auf Leichentücher aufgenähte, eigens für den Totenbrauch hergestellte Folienkreuze vorwiegend aus Goldblech, sogenannte Goldblattkreuze. Bis ins mittlere 7. Jahrhundert gaben nach romanischem Vorbild zuerst die Frauen, später auch die Männer die Grabbeigabensitte auf. Damit verschwindet eine der wichtigsten archäologischen Quellen über die Langobarden, durch die allerdings ohnehin nur die zahlenmässig kleine Oberschicht zu fassen ist.

Die Organisation in eng definierten Personenverbänden (farae) und mehr oder weniger unabhängigen Herzogtümern sowie die immer wieder auf Konfrontation mit den Einheimischen und dem Papsttum ausgerichtete Politik verzögerte die Konsolidierung des langobardischen Königtums. Hinzu kamen häufige äussere Bedrohungen durch die über die Alpenpässe expandierenden Franken und Rückeroberungsversuche der oströmischen Kaiser. 591 wurde nach einem Friedensschluss im Prinzip eine fränkische Oberhoheit akzeptiert. König Agilulf (591-616) und seine katholische Gemahlin Theodelinde förderten die römische Kirche, suchten die Aussöhnung mit den Romanen und die Integration der langobardischen Oberschicht in der Schicht der Grundherren. Immer mehr Langobarden wandten sich dem Katholizismus zu. Das unter Rothari (636-652) revidierte langobardische Recht stärkte den sozialen Frieden und machte den König zu seinem höchsten Garanten; schrittweise formte sich aus einem räuberischen Kriegerverband ein frühmittelalterliches Staatsvolk. Unter Liutprand (712-744) und Aistulf (749-756) erreichte das Langobardenreich seine grösste Ausdehnung. Während Byzanz praktisch ausgeschaltet werden konnte, scheiterte die langobardische Eroberungspolitik schliesslich am Eingreifen der Franken (ab 754) zu Gunsten des Papsttums. 774 eroberte Karl der Grosse Pavia und unterwarf König Desiderius, die langobardische Königswürde ging an die Karolinger. Die süditalienischen Herzogtümer hingegen blieben bis ins 10. Jahrhundert selbstständig.

Langobardische Einflüsse im Gebiet der Schweiz

In einer Nekropole in Stabio gefundenes Goldblattkreuz aus gepresster Goldfolie, erste Hälfte 7. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
In einer Nekropole in Stabio gefundenes Goldblattkreuz aus gepresster Goldfolie, erste Hälfte 7. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

573/574 scheiterte ein langobardischer Expansionsversuch ins Wallis am fränkischen Widerstand. Die Südschweiz dürfte 588 zusammen mit weiteren Tälern des Alpensüdfusses an das langobardische Reich gekommen sein, nachdem Byzanz einen Stützpunkt auf der sogenannten Isola comacina aufgegeben hatte. Um 590 befand sich die Festung Bilitio (Bellinzona) gemäss Gregor von Tours in langobardischer Hand. Der dürftige Quellenstand – insbesondere wurden bis heute keine Gräber der Einwanderungsgeneration entdeckt – erlaubt kaum Schlüsse auf die langobardische Besiedlung des Tessins. Auszugehen ist von einer romanischen Kontinuität der in der Römerzeit dicht besiedelten Täler südlich Bellinzonas. Die Weiternutzung eines römischen Gutshofs in Bioggio ist nachgewiesen. Die meisten langobardenzeitlichen Funde in der südalpinen Schweiz sind aber allgemein italisch-byzantinisch (Gürtelgarnituren, Kreuzfibeln usw.) und deshalb keine Beweise für eine langobardische Präsenz. Auch die wenigen "echten" Langobardengräber zeichnen sich in Folge der fortgeschrittenen Akkulturation nicht durch spezifisch langobardisches Fundgut, sondern nur durch reichere Beigaben aus (Waffengräber des mittleren 7. Jahrhunderts in Castione, Gorduno, Bellinzona und Stabio). Einzelne langobardische Familien sind durch schriftliche Quellen belegt, wie die Totoniden in Campione, die im 8. Jahrhundert mehrere Rechtsgeschäfte tätigten. Von den germanisch geprägten Ortsnamen auf -engo (-ingen) dürften nur diejenigen im Südtessin (Sorengo, Barbengo) auf langobardische Wurzeln zurückgehen, während die marginal gelegenen, zumeist bescheidenen -engo-Orte der oberen Leventina wie Mairengo und Lurengo eher nordalpin beeinflusst sind.

Vier Goldblattkreuze sind aus Stabio bekannt. Zwei weitere schweizerische Belege stammen aus Beringen und Stein am Rhein. Zusammen mit anderem italischem Fundgut sind sie Zeugnisse eines intensiven, auch immateriellen Austauschs zwischen dem Langobardenreich und der (vorwiegend rechtsrheinischen) Alamannia im späteren 6. und früheren 7. Jahrhundert. Auch im übrigen Gebiet der nordalpinen Schweiz finden sich verschiedentlich Objekte aus dem langobardenzeitlichen Italien, insbesondere Trachtbestandteile (Gürtelbeschläge, Fibeln, Glas- und Amethystperlen). Sie bezeugen in der Regel nicht die Präsenz von Personen aus dem langobardischen Raum, sondern sind auf den allgemeinen transalpinen Güterverkehr zurückzuführen. Eine Ausnahme bildet vielleicht das sogenannte Reitergrab neben der Pfarrkirche von Spiez aus der Zeit um 700; die dort geübte Beigabensitte – Mitgabe von Kurzschwert und Sporn – könnte auf einen langobardischen Kirchenherrn verweisen.

Nachleben

Eine eigenständige archäologisch erkennbare Sachkultur schufen die Langobarden erst im pannonischen Raum. Sie zeigt sich vor allem an Schmuckelementen der Frauentracht. Diese gemeingermanische, dem sogenannten östlichen Reihengräberkreis verhaftete Mode ging in Italien rasch verloren. Auch spezifische handwerkliche Erzeugnisse wie Keramik mit Stempeldekor wurden in Italien nur noch kurze Zeit produziert. Der sogenannte langobardische Kunststil des 7. und 8. Jahrhunderts wiederum, der Tierstilelemente mit mediterraner Pflanzenornamentik vermischt, ist letztlich romanisch, wenngleich er selbstverständlich auch an langobardischen Herrschaftssitzen gepflegt wurde.

Auch die Sprache der Langobarden hielt sich in Italien nicht lange. Aus Rechts- und Geschichtsquellen ("Edictum Rothari", "Historia Langobardorum") sind etwa 100 Einzelwörter überliefert. Hinzu kommen Personennamen in lateinischen Urkunden und Inschriften, germanisch geprägte Orts- und Flurnamen sowie Lehnwörter in modernen italienischen Dialekten. Hervorzuheben ist ferner ein noch heute erstaunlich aktiver Namenswortschatz. Die wenigen Sprachzeugnisse sind stark latinisiert, die Sprache daher kaum rekonstruierbar. Lange wurde sie genetisch im oberdeutschen Sprachraum angesiedelt. In jüngerer Zeit wird diskutiert, ob sie nicht eher vom Gotischen abstammt.

Familien langobardischen Geschlechts sind noch über Jahrhunderte nachweisbar, beispielsweise das wichtige Adelsgeschlecht der Torriani in Mendrisio. Der angeblich von Liutprand persönlich privilegierte Borgo Mendrisio bildete offenbar noch lange ein langobardisches Machtzentrum, in Konkurrenz zum älteren, auch kirchlichen Zentrum Balerna.

Die Geschichte der Langobarden blieb nicht ohne weit reichende Wirkung. Insbesondere die Trennung Italiens in einen "langobardischen" Norden und einen mediterran-"byzantinischen" Süden ist bis heute aktuell.

Quellen und Literatur

  • Paulus Diaconus, Pauli historia Langobardorum, hg. von L. Bethmann, G. Waitz, 1878 (Nachdr. 1988)
  • Schaefer, Sottocenere
  • J. Jarnut, Gesch. der Langobarden, 1982
  • HS II/1
  • J. Tischler, «Zum Langobardischen», in Germ. Rest- und Trümmersprachen, hg. von H. Beck, 1989, 195-209
  • I Longobardi, Ausstellungskat. Mailand, 1990
  • LexMA 5, 1688-1702
  • G. Foletti, «Archeologia altomedievale nel Canton Ticino», in Archeologia della Regio Insubrica, 1997, 113-180
  • P.M. De Marchi, «L'altomedioevo in Ticino. I ritrovamenti di Età longobarda», in Archeologia della Regio Insubrica, 1997, 283-329
  • L'Italia centro-settentrionale in età longobarda, hg. von L. Paroli, 1997
  • Il futuro dei Longobardi, Ausstellungskat. Brescia, 2000
  • G. Graenert, «Langobardinnen in Alamannien», in Germania 78, 2000, 417-447
  • Reallex. der Germ. Altertumskunde 18, 22001, 50-93
  • SPM 5-6
  • Die Langobarden: Herrschaft und Identität, hg. von W. Pohl et al., 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Reto Marti: "Langobarden", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008029/2010-09-17/, konsultiert am 28.03.2024.