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Haushalt

Als Haushalt wird eine Gruppe von verwandten oder nicht verwandten Personen bezeichnet, die zusammen leben und wirtschaften (Wohnen). Der Begriff deckt ein breites Bedeutungsfeld ab; es reicht vom Einpersonenhaushalt über die Kern- bzw. erweiterte Familie einschliesslich ihres Gesindes bis zum Grosshaushalt in Gestalt einer religiösen Kommunität, also eines Klosters, einer Beginen- oder Begardengemeinschaft oder eines Hospitals. Das deutsche Wort Haushalt leitet sich vom Verb "haushalten" ab und entstand im 17. Jahrhundert. "Gemeinsam haushalten" bedeutete die gemeinsame Sorge der Eheleute als Arbeitspaar für die Erziehung der Kinder, den Unterhalt der Familie und den Erhalt bzw. die Mehrung des Vermögens (Ehe, Hausrecht). Die französische Bezeichnung für Haushalt, ménage, leitet sich vom nicht mehr gebräuchlichen Verb manoir (wohnen) ab. Im Italienischen wird für Haushalt je nach Kontext nucleo familiare, casa, economia domestica (im volkswirtschaftlichen Sinn) oder einfach famiglia verwendet. Jüngere Formen des Zusammenlebens haben auch in der Haushaltstypologie der Statistiker Niederschlag gefunden: So werden die Konsensualpaare (Konkubinat) seit 1980 zu den Familienhaushalten gezählt.

Quantitative Angaben zu den Haushalten entstammen Erhebungen, welche ab dem 15. Jahrhundert im schweizerischen Raum aus steuerlichen, gerichtlichen oder administrativen Gründen durchgeführt wurden und gewöhnlich die Feuerstätte (französisch feu, italienisch fuoco) als Zähleinheit verwenden. Feuerstätte bezeichnet je nach Zweck der obrigkeitlichen Zählung diejenigen Personen, die sich eine gemeinsame Feuerstelle (Kamin, Herd) teilen, eine Familie, einen Privathaushalt in der modernen Bedeutung oder eine umfassendere Hausgemeinschaft. Wegen der begrifflichen Unschärfe ist Vorsicht angebracht, wenn auf vergleichender Basis die durchschnittliche Feuerstätten- bzw. Haushaltsgrösse berechnet wird.

Besonders für das Mittelalter bietet die Bestimmung von Haushaltsgrösse und -typen methodische Schwierigkeiten. Die Urbare führen in der Regel lediglich die Leihenehmer einer bestimmten Herrschaft auf, die obrigkeitlichen Steuerlisten geben die Zahl der Feuerstätten, nicht aber deren Zusammensetzung an. Den Kopfsteuerrödeln lässt sich das Zahlenverhältnis der Geschlechter in der erwachsenen Bevölkerung entnehmen, während die Kinder fehlen (etwa beim Gemeinen Pfennig in Basel 1497). Vor dem 18. Jahrhundert gibt es nur wenige Quellen, welche alle Haushaltsmitglieder inklusive Kleinkinder (in den kirchlichen status animarum oft weggelassen), Gesinde und Kostgänger aufführen und angeben, ob auch die vorübergehend abwesenden Personen mitgezählt wurden oder nicht. Auflistungen der einzelnen Individuen entstanden nur ausnahmsweise, im Spätmittelalter etwa in der Stadt Zürich und ihrer Landschaft (1467) sowie teilweise im Basler Territorium (Amt Waldenburg 1460). In der Frühneuzeit wurden zwischen 1634 und etwa 1720 auf der Zürcher Landschaft Bevölkerungsverzeichnisse mit Altersangaben geführt, 1764 zählte die Berner Obrigkeit ihre Bevölkerung, die lediglich nach Geschlechtern und drei Altersgruppen unterschieden wurde, während für die Stadt Bern sehr detaillierte Angaben vorliegen. Gesamtschweizerisch wurden die Haushalte erst in der zweiten Volkszählung von 1860 erfasst.

Mittelalter

Im Mittelalter variierten Grösse und Zusammensetzung der Haushalte in Stadt und Land je nach Stand, Beruf, sozialer Lage und Phase im Familienzyklus. Längst hat die Forschung die im 19. Jahrhundert geprägte Vorstellung der mittelalterlichen Grossfamilie aufgegeben. In der Stadt war das Prinzip der Neolokalität vorherrschend: Die Kinder gründeten nach ihrer Verheiratung an neuem Ort ihren eigenen Haushalt. Im Mittelwallis hingegen nahmen die Eheleute im Spätmittelalter oft Wohnsitz im elterlichen Haushalt des Ehegatten (Patrilokalität).

Auch auf dem Land waren grosse Haushalte in der Form der Dreigenerationenfamilie unter einem Dach zumindest ab der Krise des Spätmittelalters selten. Denn weite Teile der Schweiz gehörten zum Realteilungsgebiet (Erbrecht); die Wirtschaftsflächen der Hofstätten waren zu klein, um einer aus zahlreichen Personen bestehenden erweiterten Familie Nahrung zu bieten. Vielmehr dominierte die Kernfamilie mit Ehepaar und Kindern, allenfalls mit einer Magd oder einem Knecht. Als Folge der häufigen Kriege und Fehden und der wirtschaftlichen Krisen kam es bei den Bauerngütern ab dem 14. Jahrhundert oft zu Handänderungen, und es ist mit einer in den Quellen schwer fassbaren Schicht Besitzarmer und Besitzloser zu rechnen. Für diese stellte die einmalige oder zeitweilige Migration (Binnenwanderung, Auswanderung) einen Ausweg aus der begrenzten Ertragsfähigkeit der Hofstätten ihrer Eltern dar und sie bildeten einen Teil der Lohnarbeiter und Taglöhner beiderlei Geschlechts.

Haushalte auf dem Land

Vermutlich waren die ländlichen Haushalte im Durchschnitt generell etwas grösser als die städtischen, und Einpersonenhaushalte waren seltener. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass es auf der Landschaft (Freiburger, Zürcher und Basler Untertanengebiet) einen Männerüberhang gab. Im Zürichbiet kamen 1467 auf 100 Männer nur 82 Frauen, ähnlich wie in der Freiburger Landschaft um 1447-1448. 1485 stellten in Gelterkinden, dem grössten Dorf des Basler Amts Farnsburg, 11 von 50 Steuereinheiten (wohl Haushalte) Frauenhaushalte dar. In den Steuerlisten des bischöflich-baslerischen Amts Birseck lag der Anteil der Frauen an den 1462-1469 registrierten Steuerzahlern zwischen 7% und 25%, neben Witwen (Witwenschaft) befanden sich darunter auch verheiratete Frauen, die ihren (abwesenden) Ehemann vertraten. Grosse Haushalte mit mehr als vier Personen über 15 Jahren waren eine Seltenheit. Gut die Hälfte der in Basler Dörfern nachgewiesenen Haushalte entfiel auf Zweipersonenhaushalte. Nur selten sind Seitenverwandte wie Schwestern oder Brüder (Verwandtschaft) als Hausgenossen nachweisbar. Im heutigen Baselbiet waren Knechte oder Mägde in maximal einem Viertel der Haushalte beschäftigt, im Freiburgischen dienten in 17% der Haushalte Knechte. Ausnahmsweise verzeichnet ein von der Basler Obrigkeit angefertigter Rodel die Bevölkerung im Amt Waldenburg einschliesslich der Kinder, welche die Hälfte der 604 Personen ausmachten und zu denen wohl auch die noch unverheirateten mündigen Söhne und Töchter gezählt wurden. Von den als Kinder registrierten Personen waren 55% männlich, 45% weiblich. Vorherrschend war auch hier die Zweigenerationenfamilie, wobei in 13,6% der Fälle die Kinder nur mit einem Elternteil wohnten.

Haushalte in der Stadt

In den Städten bestand – gerade umgekehrt zur Situation auf dem Land – ein Frauenüberhang. Auf 100 Männer entfielen in der Stadt Zürich (1467) 127 Frauen, in Freiburg (um 1447-1448) 120. Diese Tatsache ist mit den vom Land zugewanderten Mägden allein nicht zu erklären, sondern auch auf die grosse Zahl jener Haushalte, denen Frauen vorstanden, zurückzuführen. In den Frauenhaushalten, die 32% aller Haushalte ausmachten, lebten zehnmal mehr Frauen als Männer; diese Frauen dürften teilweise zugewandert sein und waren vorwiegend in den niederen Vermögenskategorien zu finden. Ihre Haushalte waren mit nur 1,4 Erwachsenen generell kleiner; sie vollzogen ebenso viele Wohnortswechsel wie die Haushalte, denen Männer vorstanden. In St. Gallen wurde im 15. Jahrhundert rund ein Viertel aller Haushalte von Frauen geführt. In Freiburg lag die durchschnittliche Haushaltsgrösse um 1447-1448 bei 3,8 Personen in der Stadt und bei 4,5 auf der Landschaft. In Zürich ergibt sich ein ähnliches Bild: 1467 wurden 2,2 Erwachsene pro Haushalt in der Stadt und 3,3 auf dem Land gezählt. Auch in der Stadt verfügte nur eine Minderheit der Haushalte über Mägde oder Knechte; in den 945 bewohnten Häusern in Zürich lebten 1467 bloss 266 Dienstboten. Mitunter arbeiteten verheiratete Frauen mit eigenem Haushalt als Dienstmägde oder Handwerkerinnen in einem fremden Haushalt. In der mittelalterlichen Stadt war die Einheit von Wohnen und Arbeiten (wie sie in Otto Brunners Modell des Ganzen Hauses postuliert wird) für diverse Berufsgruppen nicht mehr gegeben, so im Garten- und Weinbau, im Baugewerbe und bei zahlreichen Störhandwerkern wie zum Beispiel den Schneidern. Ein Charakteristikum der mittelalterlichen Haushalte haben sozialtopografische Studien herausgearbeitet: die Instabilität des Wohnorts der Haushalte, besonders jener der in Untermiete lebenden ärmeren und mittleren Bevölkerungsschichten, die öfter umzogen. Zwischen Armut und Migration bestand ein ursächlicher Zusammenhang. In Kriegszeiten haben die Städte zeitweilig Flüchtlingen aus dem Umland Aufnahme geboten, so Basel beim Aufmarsch der Armagnaken 1444. Verschiedene Faktoren, vor allem Zu- und Abwanderung von Bevölkerungsteilen, führten in kurzer Zeit zu einer Umschichtung der städtischen Bevölkerung. In den St. Galler Stadtquartieren waren zu Beginn des 15. Jahrhunderts nach Ablauf von zehn Jahren nur noch die Hälfte bis zwei Fünftel der Bewohner in den Steuerbüchern nachweisbar, nach 20 Jahren bloss noch ein Viertel.

Frühe Neuzeit

Frühneuzeitliche Zählungen geben meistens Aufschluss über die Anzahl Feuerstätten und Personen. Obwohl sie Mängel aufweisen, lässt sich daraus die Grösse, seltener auch die Struktur der Haushalte ableiten.

Haushaltsgrösse

Die ermittelte Haushaltsgrösse schwankte generell zwischen 4,5 und 5,5 Personen. Im Tessin betrug sie Ende des 16. Jahrhunderts gemäss den status animarum zwischen 4,2 und 5,2 Personen. Im 17. Jahrhundert umfasste ein Haushalt im zürcherischen Territorium durchschnittlich 5,5 Personen, wie sich aufgrund der in rund 15 Pfarreien durchgeführten Visitationen ergibt; im Thurgau lag der Durchschnitt 1634-1710 in 28 Pfarreien bei 5,1, in der Herrschaft Bürglen bei 4,6 Personen. Gemäss der bernischen Volkszählung von 1764 betrug die durchschnittliche Grösse im Alten Kantonsteil 4,5, im Waadtland 4,3 und im Aargau 4,6 Personen. Schon diese Beispiele zeigen, dass in der Schweiz, ähnlich wie in weiten Teilen Europas, ab dem Mittelalter eher kleine Haushalte vorherrschten. Dennoch bestanden teilweise erhebliche Unterschiede in der wirtschaftlichen, institutionellen und sozialen Struktur der Haushalte.

Die Familie des Vogtes von Greifensee am Tisch. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, 1643 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Die Familie des Vogtes von Greifensee am Tisch. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, 1643 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

In Gebieten mit mittel- und grossbäuerlichen Betrieben waren die Haushalte wegen der benötigten auswärtigen oder familieneigenen Arbeitskräfte stets relativ umfangreich: 5,2 Personen im bernischen Langnau in den 1760er Jahren gegenüber nur 3,6 im ebenfalls bernischen Diemtigtal. Im Nordtessin betrug der Durchschnitt Anfang des 19. Jahrhunderts nur 4,1-4,3 Personen. Weiter im Süden, im Sottoceneri, lag er bei 5,6 und im südlichsten Kantonsteil, wo mittlere und grosse Landwirtschaftsbetriebe stark verbreitet waren, sogar bei 6,3. Zudem waren die landwirtschaftlichen Haushalte grösser als die protoindustriellen: 1762 umfasste ein Haushalt in der Zürcher Gemeinde Hausen am Albis bei den Bauern durchschnittlich 5,5, bei den Textilarbeitern 4,4 Personen. Städtische Haushalte waren wie im Mittelalter kleiner als ländliche: In der Stadt Genf lag der Durchschnitt 1798 bei 3,9, in den Vororten bei 4,6 und auf dem Land bei 5,6 Personen. Unterschiede ergaben sich auch aufgrund der Vermögensverhältnisse. Während 1709 im zürcherischen Rümlang bei wohlhabenden Bauern 7,7 Personen zu einer Feuerstätte gehörten, waren es bei den nahezu landlosen Taunern nur 4. In Genf verzeichnete die patrizische Oberstadt 1720 doppelt so viele umfangreiche Haushalte mit mindestens 8 Personen (15,7%) wie die von Handwerk und Gewerbe geprägte Unterstadt (7,6%), wobei die Durchschnittsgrösse in den beiden Stadtteilen 4,9 bzw. 3,7 Personen betrug. In Zürich umfassten bürgerliche Haushalte Mitte des 18. Jahrhunderts durchschnittlich 5,1, nicht bürgerliche 3,1 Personen.

Haushaltsstruktur

Die geringe durchschnittliche Haushaltsgrösse ist auf das Vorherrschen der Kernfamilie zurückzuführen, zu der rund 60% der Haushalte gehörten. Diese bestand aus einem Paar mit oder ohne Kind oder einem verwitweten Elternteil mit Kind(ern). Daneben gab es aber auch Haushalte mit komplexerer Struktur (sogenannte komplexe Familien, hier als Oberbegriff für alle über die Kernfamilie hinausgehenden Familientypen). Erweiterte Familien, die Verwandte in aufsteigender, absteigender oder seitlicher Linie umfassten, machten 10-20% der Haushalte aus. Stammfamilien (familles-souche), die mindestens zwei Familien unterschiedlicher Generation in sich vereinigten (Mehrgenerationenhaushalt), waren eher selten, weil auf dem Land die Gründung einer Familie meistens eine eigene Wohnung voraussetzte. Im Zürichbiet, wo die Häuser häufig zwei Wohnungen umfassten, war diese Form des Zusammenlebens nur in 4-9% der Haushalte anzutreffen. Dennoch wohnten Eltern und verheiratete Kinder nicht selten unter einem Dach, insbesondere in Gebieten mit Anerbenrecht. Dies beschränkte sich jedoch auf eine kurze Phase des Familienzyklus, während der die alten Eltern noch die Heirat ihrer Kinder miterlebten und einem von ihnen den Hof übergeben konnten. In Herrliberg am Zürichsee stieg der Anteil der Stammfamilien von 5%, wenn der Haushaltsvorstand weniger als 53 Jahre alt war, auf 29%, wenn er über 62 war; der Anteil der erweiterten Familie stieg bei den beiden Altersgruppen von 12% auf 39%. 1822 machten Stammfamilien in der Genfer Gemeinde Jussy gemäss denselben Kriterien 1% bzw. 14% aus, die erweiterten Familien 14% bzw. 30%.

Aufgrund der geografischen und kulturellen Situation bildeten im Tessin komplexe Familien, insbesondere Stammfamilien, die Grundlage der Familienorganisation. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählten etwa 20-30% der Haushalte zum Typ der komplexen Familien. Dessen Anteil war Ende des 19. Jahrhunderts in den Walliser Alpen wahrscheinlich ähnlich hoch. In der Gemeinde Bagnes machten die komplexen Familien 1880 über ein Drittel aller Haushalte aus (22% erweiterte Familien, 13% Stammfamilien). Es bestanden selbst innerhalb desselben Kantons vielfältige Formen der Familienorganisation, die von den Erbsitten, den Produktionsstrukturen, den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen sowie den Familienbräuchen abhingen.

Regionaler Vergleich der Haushaltsstrukturen (in Prozent)

HaushaltstypVallorbe 1764Genf-Stadt 1720Landschaft Genf 1798Herrliberg (ZH) 1739Stammheim (ZH) 1764Arzo (TI) 1829Cevio und Aquila (TI) um 1830
Einzelhaushalt5,4%9,0%8,9%3,8%4,7%5,5%12,7%
Haushalt ohne Familienstruktur2,5%8,2%4,3%-1,8%5,5%4,2%
Kernfamilie66,9%70,7%67,8%66,6%82,1%60,9%56,8%
Erweiterte Familie13,3%9,0%11,9%16,4%9,1%13,6%17,5%
Mehrgenerationenhaushalt (Stammfamilie)9,4%1,2%6,2%13,2%2,3%14,5%6,5%
Haushalt unbestimmter Struktur2,5%1,9%0,9%---2,3%
Durchschnittliche Haushaltsgrösse4,434,345,6--5,14,95
Regionaler Vergleich der Haushaltsstrukturen (in Prozent) -  Zusammenstellung basierend auf den Arbeiten von Lucienne Hubler, Alfred Perrenoud, Dominique Zumkeller, Ulrich Pfister und Luigi Lorenzetti

Familienorganisation und Erbrecht

Die jeweilige Erbregelung bestimmte die Haushaltsstruktur massgebend, indem sie entweder das Zusammenwohnen oder das Auseinanderfallen der Familie förderte. Dass ein Vater und ein verheirateter Sohn unter einem Dach wohnten, konnte sich aus dem Anerbenrecht ergeben, das einem Erben den Vorrang gab und der Vermögenserhaltung diente. In Gesellschaften, in denen die Erben, unabhängig von ihrem Geschlecht, als völlig gleichberechtigt galten (Realteilung), war es dagegen üblich, nach der Heirat die Eltern zu verlassen. Allerdings standen den Rechtsvorschriften häufig die örtlichen Wirtschaftsstrukturen, die Konjunktur und die demografischen Bedingungen entgegen. Diese Kluft zwischen Norm und Praxis zeigt sich im Alpengebiet besonders deutlich. In Bagnes gab es im 19. Jahrhundert trotz der geltenden Realteilung relativ viele komplexe Familien, während im Oberwalliser Dorf Törbel, in dem dieselbe Regelung bestand, die Kernfamilien mit 75% (gegenüber 15% komplexen Familien) überwogen. Das Tessin, in dem die männliche Erbfolge galt, wies ein breites Spektrum von Familienformen auf. Das Anerbenrecht brachte nur dann Stammfamilien hervor, wenn die Heiratsvorschriften dem Sohn erlaubten, zu Lebzeiten der Eltern eine Ehe einzugehen – was beim Jüngstenrecht selten vorkam –, und wenn die Wohnverhältnisse das Zusammenleben gestatteten.

Der protoindustrielle Haushalt

Haushalte, die nur von ihrer protoindustriellen Tätigkeit lebten, waren in der Regel einfach strukturiert und klein. Dies gilt jedoch nicht für Haushalte, die Landwirtschaft und Heimarbeit kombinierten. Im bereits erwähnten Hausen am Albis wies dieser Haushaltstyp im Durchschnitt 6,5 Personen (davon 3,8 anwesende Kinder) auf, 43% der Haushalte dieses Typs waren komplexe Familien; bei den Textilarbeitern betrug der Anteil komplexer Familien 17,8% und die durchschnittliche Kinderzahl 2,5; bei den rein bäuerlichen Haushalten lagen die entsprechenden Werte bei 18,8% bzw. 3,2 Kindern. Dasselbe Bild zeigt sich zur gleichen Zeit in Oetwil am See, einer anderen Zürcher Gemeinde, wo die Produktion vielfältiger und Land relativ leicht zugänglich war. Dank der gut bezahlten protoindustriellen Arbeit konnten Mädchen früher heiraten. Die weniger zahlreichen anwesenden Kinder (2,4 bei den Bauern, 1,4 bei den Textilarbeitern) wurden verdrängt durch Gesinde und Untermieter, mehrheitlich Textilarbeiter, die im System des Rastgebens (Rast war das Arbeitspensum, das für den Kostgeber als Entschädigung für den Unterhalt erfüllt werden musste) beschäftigt wurden, um den Bedarf an protoindustriellen Arbeitskräften zu decken.

19. und 20. Jahrhundert

Haushalte und Wohnbevölkerung 1860-2000
Haushalte und Wohnbevölkerung 1860-2000 […]

Die statistischen Erhebungen über die Schweizer Haushalte reichen bis 1860 zurück (die Zählung der Helvetischen Republik von 1798 ist nicht auswertbar). Von 1860 bis 2000 stieg in der Schweiz die Zahl der Haushalte von 0,5 auf 3,1 Millionen. Gleichzeitig nahm die durchschnittliche Grösse von 4,8 auf 2,2 Personen ab. Dieser Schrumpfungsprozess vollzog sich vorwiegend im 20. Jahrhundert: 1910 betrug die Durchschnittsgrösse der Haushalte noch 4,5 Personen, 1950 3,6. Grund dafür waren das fast vollständige Verschwinden von kinderreichen Familien und komplexen Haushalten sowie die rasche Zunahme von Einpersonenhaushalten.

Einpersonenhaushalte

Privathaushalte nach Personenzahl 1900-2000
Privathaushalte nach Personenzahl 1900-2000 […]

Die wachsende Zahl allein lebender Personen ist ein wesentlicher Aspekt der jüngeren Geschichte der Schweizer Haushalte. 2000 lebte in rund 36% der Privathaushalte nur eine Person (1920 2%) und wohnte somit etwa jeder sechste Einwohner (15,3%) allein. Ungefähr ein Drittel dieser Haushalte entfiel auf Personen ab 65 Jahren (davon rund 80% Frauen), ein Fünftel auf die 20- bis 29-Jährigen (davon 54% Männer). Somit leben vor allem Frauen allein, wobei ihr Anteil allmählich abnimmt: 1960 kamen auf 100 Frauen 40 Männer, 2000 77 Männer. 40% der allein lebenden Frauen waren ledig, 36% verwitwet (ab 65 Jahren 70,6%) und 17,5% geschieden (1960 10%); die übrigen waren von ihrem Ehegatten getrennt oder lebten, obwohl verheiratet, nicht mit einem Partner zusammen. Bei den allein lebenden Männern waren 58,2% ledig, 8,9% verwitwet und 18,7% geschieden (1960 13,3%). Der Anteil der Einpersonenhaushalte wächst nahezu linear mit der Grösse der Siedlungen. In den grossen Städten lebten gemäss Volkszählung 2000 25,9% der Einwohner allein, in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern ("ländliche Gebiete") nur jede neunte Person.

Familienhaushalte

1930 waren 85% der privaten Haushalte Familienhaushalte. 2000 waren es nur noch 62%, obwohl unverheiratete Paare, die früher als Nichtfamilienhaushalte gegolten hatten, seit 1980 zu den Familienhaushalten zählen. 2000 machten die rund 189'000 unverheirateten Paare (1980 58'000) 9,8% der Familienhaushalte aus. Die kinderlosen Familienhaushalte haben sich seit 1960 fast verdoppelt, was auf die unverheirateten Paare zurückzuführen ist, deren Zahl sich von 1980 bis 2000 mehr als verdreifacht hat. 2000 wurde jeder vierte Privathaushalt (27,2%) von einem kinderlosen Paar gebildet, wovon etwa ein Fünftel nicht verheiratet war. Alter und Bildungsniveau sind für die Wahl dieser Lebensform entscheidend. Über die Hälfte der kinderlosen Paare unter 30 Jahren lebt im Konkubinat, während dieser Anteil bei den Rentnern nur 2,2% beträgt. Im Mittelstand ist diese neue Lebensform besonders verbreitet.

Haushaltstypen 1930-2000
Haushaltstypen 1930-2000 […]

1930 umfassten 63% der Privathaushalte Kinder, 1960 53,5% und 2000 nur noch 34%. Allerdings wird unter diesem Blickwinkel die Bedeutung, die Familien mit Kind(ern) im Alltag zukommt, deutlich unterschätzt, denn 2000 lebten 57% der Mitglieder von Privathaushalten in einem Familienhaushalt mit Kind(ern). Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie sank zwischen 1930 und 1960 von 2,4 auf 2,1 und betrug 2000 noch 1,9. 1930 zählte jede zehnte Familie über vier Kinder, 1960 noch jede zwanzigste, und 2000 waren es nur noch 0,5%. 2000 lag der Anteil der Haushalte mit zwei Kindern unter 18 Jahren (42,8%) noch leicht über dem Anteil der Haushalte mit nur einem Kind (40,1%; 1930 35,1%). In Gemeinden ab 100'000 Einwohnern herrschten Letztere vor (49,9% mit einem Kind, 38,1% mit zwei Kindern).

Die Zahl der Einelternhaushalte stieg zwischen 1960 und 2000 um 64%. 2000 machten sie 15,2% der Familien mit Kindern unter 18 Jahren aus, wobei Familien mit allein erziehender, meist geschiedener Mutter deutlich überwogen.

Infolge der Alterung der Bevölkerung hat der Anteil der allein Lebenden ab 65 Jahren innerhalb von vierzig Jahren stark zugenommen. 2000 waren es 31,5% (41,6% der Frauen, 16,7% der Männer). Von den Menschen ab 65 Jahren, die einem Privathaushalt angehörten, lebten noch 55,2% mit einem Partner zusammen (75,2% der Männer, 41,6% der Frauen). Von den 80-Jährigen und Älteren lebten 40,6% allein (23,6% der Männer, 48,8% der Frauen) und 31,5% mit einem Partner (58,9% der Männer, 18,1% der Frauen). Der grössere Anteil allein lebender Frauen ist auf ihre höhere Lebenserwartung und ihre geringeren Wiederverheiratungschancen zurückzuführen. Die Zunahme der Scheidungen könnte die Zahl der allein lebenden älteren Menschen weiter steigen lassen. Die Kollektivhaushalte, in diesem Fall die Alters- und Pflegeheime, beherbergten 2000 7,2% der Personen ab 65 Jahren (2,5% der Altersklasse 65-79, 20% der Altersklasse ab 80); 1960 betrug dieser Anteil 7,4%. Der Haushalt, einst eine Steuereinheit, hat sich zu einem statistischen Instrument entwickelt, das in Politik und Wirtschaft dazu dient, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu ermitteln.

Quellen und Literatur

Mittelalter
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Frühe Neuzeit, 19. und 20. Jahrhundert
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Weblinks

Zitiervorschlag

HLS DHS DSS; Dorothee Rippmann; Alfred Perrenoud: "Haushalt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.02.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007985/2010-02-23/, konsultiert am 28.03.2024.