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Grenzen

Grenzen trennen zwei Objekte materieller oder geistiger Natur bzw. zwei unterschiedlich strukturierte Räume voneinander. Sie sind vom Menschen nach bestimmten Kriterien und für bestimmte Zwecke geschaffene Konstrukte. Sie spiegeln die Raumvorstellungen verschiedener Epochen (Landschaft, Raumplanung), aber auch Auffassungen von Eigentum und Nutzungsrechten, Identitäten (Bindung an bestimmte Räume, Heimatgefühl) und Machtansprüche politischer Kreise. Als Perimeter von Territorien sind Grenzen aus allen Kulturen und Zeitepochen bekannt. In traditionellen Gesellschaften definierten sie das Schweifgebiet (den Lebensraum) einzelner Gruppen und wurden oft mittels Symbolen (Zeichen auf Bäumen und Felsen) markiert. Damit erhielten sie einen sakralen Charakter. Dieser fand seinen deutlichsten Ausdruck im römischen Gott Terminus.

Grenzräume und Funktionen von Grenzen

Grenzen können linear oder zonal aufgefasst werden. Die beiden Konzepte haben zunächst nebeneinander existiert, doch scheint sich die lineare Auffassung unter anderem auf der Basis von Gemarkungsgrenzen bis zum 17. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt zu haben. Geometrisch-lineare Grenzen sind vereinzelt seit dem Frühmittelalter bekannt; sie wurden mehr oder weniger genau beschrieben und vereinzelt auch markiert. Als zonale Grenzen können die Markgrafschaften begriffen werden, die dem Kernland des Deutschen Reiches vorgelagert waren und es schützten (Mark). Für die Eidgenossenschaft galt analog das Vormauerprizip; im Zürcher Bund von 1351 wird ein derartiger Perimeter erstmals erwähnt. Als Vormauern können die zugewandten Orte und die Untertanenlande betrachtet werden sowie weitere periphere Territorien, die zum Teil von den Eidgenossen als Glacis betrachtet wurden und deren Schutzfunktionen manchmal auch vertraglich abgesichert waren (z.B. Burgrechtsverträge Berns mit den Grafschaften Neuenburg 1406 und Valangin 1427, 1815-1860 Besetzungsrecht Savoyens).

Grenzen umschliessen unterschiedlich definierte Territorien. Daraus leiten sich verschiedene Arten von Grenzen ab, namentlich politische Grenzen wie solche zwischen Gemeinden, Kantonen oder Staaten; administrative Grenzen zwischen Gerichtskreisen (Gerichtswesen) oder Zollgebieten; kirchliche Grenzen zwischen Pfarreien, Dekanaten oder Bistümern; kulturelle Grenzen wie etwa Sprachgrenzen (Mehrsprachigkeit, Region); Wirtschaftsgrenzen, zum Beispiel zwischen Marktgebieten oder zwischen Grundbesitz (Güterteilung, Melioration), sowie psychologische Grenzen, die den bekannten, erlebten Raum oder die Heimat definieren.

Politische Grenzen haben verschiedene Funktionen – unter anderem rechtliche, fiskalisch-ökonomische, ideologische und militärische –, die je nach Epoche unterschiedliche Trennwirkung aufweisen. Diesen Funktionen entsprechend gestalten sich grenzüberschreitende Beziehungen (Einkaufsströme, Grenzgänger, Schmuggel), aber auch Abwehrsysteme (Zölle, Grenzwachtkorps, Passkontrolle, militärische Sperrzonen). Legale Funktionen, die Zuständigkeitsbereiche von Behörden bestimmen, kommen Grenzen auch noch Anfang des 21. Jahrhunderts zu. Die übrigen Funktionen werden laufend abgebaut: Grenzen werden defunktionalisiert. Dieser Prozess äussert sich etwa in der Erleichterung des Grenzübertritts, in internationalen Handelsabkommen oder der internationalen Vereinheitlichung des Rechts. Die Ordnungsfunktion der Grenzen blieb trotz ihrer Defunktionalisierung (z.B. in der Europäischen Union) erhalten. Der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens sowie die Teilung der Tschechoslowakei haben zu einer Verstärkung interner Grenzen geführt. Das Grenzkonzept erweist sich allen Auflösungsversuchen gegenüber als resistent.

Grenzverlauf und Grenzzeichen

Der Grenzverlauf wurde zwischen zwei Nachbarn oft in gegenseitiger Absprache fixiert, gelegentlich auch in einem Schiedsverfahren wie etwa im Marchenstreit zwischen Uri und Engelberg. Lokale oder regionale Machtverhältnisse sowie Landnutzungsansprüche waren ausschlaggebend. Für die eindeutige rechtliche Bestimmung des Grenzverlaufs sind Grenzbeschreibungen wichtig. Im Mittelalter besassen diese oft nur hinweisenden Charakter. Heute ergänzen grossmassstäbliche Karten oder Pläne (Kartografie) die Beschreibungen.

Zeichnung der Grenze zwischen Bern und Wallis von Samuel Bodmer, 1705 (Staatsarchiv Bern, Atlanten 2, Nr. 262).
Zeichnung der Grenze zwischen Bern und Wallis von Samuel Bodmer, 1705 (Staatsarchiv Bern, Atlanten 2, Nr. 262). […]

Grenzen orientieren sich oft an natürlichen Leitlinien, die von Fall zu Fall definiert werden, ohne dass daraus ein Zwang zu natürlichen Grenzen abgeleitet werden könnte. Solche klar erkennbaren Fixpunkte und Verbindungslinien sind zum Beispiel auffällige Einzelbäume wie Eichen oder kleine Gehölze, Berg- oder Hügelspitzen, Findlinge oder Felsen, Schluchten, Bach- oder Flussläufe, Berggrate oder Geländekanten, Hecken oder Wälder. In Einzelfällen wurden schon im Mittelalter spezielle Markierungen wie Kerben an Bäumen, Eisenstücke oder -klammern verwendet. Mit der vom 16. Jahrhundert an praktizierten Vermessung ersetzten immer mehr Grenzsteine die traditionellen Merkpunkte, schliesslich kamen geometrische Fixpunkte hinzu wie Höhenkoten, Triangulationspunkte und durch geografische oder Kilometer-Koordinaten bestimmte Punkte. Gelegentlich wurden Grenzen auch durch bauliche Eingriffe sichtbar gemacht (Burgenreihe, Limes, Letzi).

Für Grenzen in Fliessgewässern gelten spezifische Abmachungen (Flüsse). Grundsätzlich können hier Grenzen an einem oder an beiden Ufern, in der Flussmitte oder entlang dem Talweg (tiefste Rinne) verlaufen. In ländlichen Gebieten haben Flüsse meist eine trennende Funktion eingenommen, während Städte wie Rheinfelden, Laufenburg und Ponte Tresa Brückenköpfe am jenseitigen Ufer beanspruchten. Im Rhein ist die Landesgrenze im Kanton Basel-Stadt eine künstliche polygonale Linie, in den Kantonen Basel-Landschaft und Aargau der Talweg (tiefste Rinne), in den Kantonen Zürich und Thurgau die Mittellinie. Komplizierter ist der Fall des Doubs: Die Grenze zwischen Neuenburg und Frankreich verläuft in der Flussmitte, im Jura bildet ab Biaufond das rechte Ufer die Landesgrenze bis oberhalb des Clos du Doubs, ab Ocourt bis zum endgültigen Eintritt nach Frankreich ist es das linke Ufer.

Bei den beiden grossen Seen sind die Grenzverhältnisse unterschiedlich. Im Genfersee wurde 1564 die Mittellinie definitiv festgelegt, während beim Bodensee eine chaotische Situation herrscht: Im Untersee gilt seit 1554 und in der Konstanzer Bucht seit 1665 die Mittellinie, während sich in Bezug auf das übrige Seebecken drei verschiedene Ansichten gegenüberstehen: Die Schweiz wünscht die Mittellinie, Deutschland betrachtet den See als gemeinsames Territorium, Österreich dagegen als Niemandsland.

Der genaue Grenzverlauf wird durch Grenzsteine markiert. Um unzulässigen Verschiebungen derselben vorzubeugen, werden die Steine zusätzlich durch in einer bestimmten Tiefe vergrabene Lohen oder Zeugen gesichert.

Der Verlauf der Schweizer Grenze

Grenzbereinigung gemäss dem italienisch-schweizerischen Abkommen vom 25. November 1952, das nach dem Bau des Staudamms im Valle di Lei zustande kam (Bundesamt für Landestopografie, Dossier Grenzen).
Grenzbereinigung gemäss dem italienisch-schweizerischen Abkommen vom 25. November 1952, das nach dem Bau des Staudamms im Valle di Lei zustande kam (Bundesamt für Landestopografie, Dossier Grenzen). […]

Der aktuelle Verlauf der Schweizer Grenze geht auf den Wiener Kongress von 1815 zurück, spiegelt aber ältere Grenzverhältnisse, die zum Teil weit zurückreichen. Einzelne Abschnitte der heutigen Südgrenze datieren aus dem 16. Jahrhundert und wurden im Vertrag von Varese 1752 genau definiert. Grenzkorrekturen mussten jedoch vor allem im Zusammenhang mit dem Strassenbau, mit Gewässerkorrektionen oder der Nutzung der Wasserkräfte, aber auch wegen natürlichen Verschiebungen von Grenzsteinen, etwa durch Bodenfliessen oder Erdrutsche, immer wieder vorgenommen werden. Seit Bestehen des Bundesstaates hat die Schweiz zahlreiche Grenzverträge mit den Nachbarstaaten abgeschlossen, die jeweils kleinere oder grössere Korrekturen des Grenzverlaufs sowie die Sicherstellung der Grenzmarkierung betrafen. Es kam zu Abkommen und Verträgen, die sich auf Veränderungen der Souveränitäts- oder Territoriumsgrenze, nicht aber auf die privaten Grundeigentumsverhältnisse bezogen. Die bedeutendsten Veränderungen nach 1815 betrafen 1862 das Dappental (Grenze zwischen Waadt und Frankreich, ca. 7,5 km2), 1952 das Valle di Lei (Grenze zwischen Graubünden und Italien, 0,45 km2), 1955 das Ellhorn, das die Schweiz aus militärischen Gründen vom Fürstentum Liechtenstein forderte (Grenze zwischen Graubünden und Liechtenstein), und 1967 Verenahof (Schaffhausen, deutsche Exklave). Dazu traten zolltechnisch bedingte Abweichungen der Zollgrenze: Samnaun beispielsweise wurde 1892 zum zollfreien Gebiet erklärt, das Fürstentum Liechtenstein 1923 und die deutsche Exklave Büsingen 1964 ins schweizerische Zollgebiet einbezogen. Die Schweiz hat folgende Grenzlängen mit ihren Nachbarstaaten: mit Deutschland 347 km, mit Frankreich 585 km, mit Italien 782 km, mit Österreich 180 km und mit Liechtenstein 41 km. Als Folge des europäischen Integrationsprozesses ist die Schweizer Grenze gegen Ende des 20. Jahrhunderts zur EU-Aussengrenze geworden. Der Abschluss bilateraler Verträge (1999, 2004) erlaubte, die starke Trennwirkung etwas zu mildern.

Quellen und Literatur

  • A. Heitz, Grenzen und Grenzzeichen der Kt. Baselstadt und Baselland, 1964
  • H. Stohler, Die Basler Grenze, 1964
  • P. Guichonnet, C. Raffestin, Géographie des frontières, 1974
  • H.C. Peyer, Gewässer, Grenzen und Märkte in der Schweizergesch., 1979
  • W. Leimgruber, Il confine e la gente, 1987
  • M. Furter, «Gemeindegrenzen im Kt. Basel-Landschaft», in Basler Beitr. zur Geographie 42, 1993
  • Grenzen und Raumvorstellungen (11.-20. Jh.), hg. von G.P. Marchal, 1996
  • W. Leimgruber, «Border effects and the cultural landscape: the changing impact of boundaries on regional development in Switzerland», in Nationalising and Denationalising European Border Regions, 1800-2000, hg. von H. Knippenberg, J. Markusse, 1999, 199-221
Weblinks

Zitiervorschlag

Walter Leimgruber (Villars-sur-Glâne): "Grenzen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.12.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007841/2017-12-14/, konsultiert am 16.04.2024.