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Erdbeben

Erdbeben sind Erschütterungen des Erdbodens, die durch Bruchvorgänge in der Erdkruste hervorgerufen werden. Die Schweiz liegt im Spannungsfeld zwischen dem adriatischen Sporn (Erdkrustenblock zwischen Italien und Jugoslawien) und der Tektonik des südlichen Rheingrabens (Basel-Elsass), womit sie einerseits dem Einfluss der plattentektonischen Vorgänge im Mittelmeerraum, anderseits den Auswirkungen des rheinischen Grabenbruchs ausgesetzt ist. Besonders erdbebengefährdete Regionen sind das Wallis, das im 19. und 20. Jahrhundert die meisten starken Erdbeben in der Schweiz verzeichnete, Graubünden (Engadin), das St. Galler Rheintal, Basel und der Jura-Südfuss um Orbe-Yverdon.

Erdbeben vom 1. Juni 1372, nach einer Abbildung aus der Schweizer Chronik (1576) von Christoph Silberysen (Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 347; e-codices).
Erdbeben vom 1. Juni 1372, nach einer Abbildung aus der Schweizer Chronik (1576) von Christoph Silberysen (Aargauer Kantonsbibliothek, Aarau, MsWettF 16: 1, S. 347; e-codices). […]

Im schweizerischen Raum waren in historischer Zeit fünf Erdbeben von besonders grosser Wirkung. Das stärkste bekannte in Zentraleuropa zerstörte am 18. Oktober 1356 in Basel die Steinbauten, die Holzhäuser fielen den folgenden Bränden zum Opfer. Die Zahl von 300 Toten ist unsicher. In weitem Umkreis um Basel bis Solothurn wurden über 60 Burgen und Wasserhäuser vernichtet. Das Erdbeben wirkte sich unter anderem in Lausanne, Strassburg und bis Mittelfranken aus.

Das aus «ganz Europa» überlieferte Erdbeben vom 18. September 1601 mit Epizentrum vermutlich in den Westurner und Unterwaldner Alpen forderte in Unterwalden angeblich acht Tote, verursachte Gebäudeschäden bis Zürich und änderte vorübergehend den Reusslauf bei Luzern. Erschütterungen waren in der ganzen Schweiz und nördlich bis Frankfurt, Augsburg und München zu spüren.

Das Erdbeben im Wallis vom 9. Dezember 1755 richtete grössere Schäden an den Kirchen von Brig, Visp und Naters an. Erdspalten und Bodenrisse bewirkten veränderte Quellschüttungen (Höhle von Raron). Erschütterungen wurden in Frankreich, Savoyen und Oberitalien und vom Elsass bis Stuttgart und Ingolstadt verzeichnet. Dieses Erdbeben steht nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem grossen Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755.

Dem wohl stärksten Erdbeben im Wallis vom 25. Juli 1855 mit Epizentrum im Vispertal folgten zahlreiche Nachbeben. Sie richteten grosse Gebäudeschäden unter anderem an Kirchen an, lösten einen Bergsturz nahe von St. Niklaus aus und veränderten das Quellvorkommen bei Visperterminen. Das Erdbeben erschütterte die ganze Schweiz und wurde in Savoyen, Oberitalien, im Tirol und in Süddeutschland deutlich wahrgenommen.

Das Erdbeben vom 25. Januar 1946 mit Epizentrum am Wildhorn richtete grössere Schäden im Rhonetal zwischen Sitten und Leuk an, unterbrach den Bahnverkehr, veränderte die Wasserführung von Nebenflüssen der Rhone, liess neue Quellen bei Saint-Léonard aufbrechen und verbreitete allgemeine Panik. Es wurde in der ganzen Schweiz deutlich gespürt und darüber hinaus im Tirol, in Oberitalien, Savoyen, Elsass und Württemberg bemerkt. Das Nachbeben vom 30. Mai löste den Bergsturz am Rawilhorn aus.

Der St. Galler Geologe Albert Heim erkannte 1879 den Zusammenhang zwischen Gebirgsbildung und seitlichem Druck sowie dadurch verursachter Schollenbewegungen entlang tief gehender Bruchzonen. Zusammen unter anderem mit François-Alphonse Forel gründete er 1878 die Schweizerische Erdbebenkommission. Damit verfügte die Schweiz noch vor Italien und Japan über eine Erdbebenbehörde. Diese übernahm ab 1879 die Sammlung und Veröffentlichung aller Erdbebenereignisse in der Schweiz und führte damit frühere Aufzeichnungen privater Gelehrter wie jene von Conradus Lycosthenes in Basel (1557), Johann Jakob Scheuchzer in Zürich (1706) und Elie Bertrand in Bern (1757) wissenschaftlich-systematisch fort.

Die Nachfolgeorganisation der Schweizerischen Erdbebenkommission, der Schweizerische Erdbebendienst, wurde 1913 der Meteorologischen Zentralanstalt in Zürich und 1956 der ETH Zürich unterstellt. Die durch das Bundesamt für Zivilschutz angeregte Studie «Katastrophen und Notlagen in der Schweiz» (Katanos) hat 1995 ergeben, dass das Erdbebenrisiko als grösstes Naturgefahren-Risiko in der Schweiz unterschätzt wird. In der Folge forderten Fachleute, Versicherer und Politiker (Motion Epiney/Mariétan 1998) eine verbesserte Erdbebensicherung von Bauwerken und Anlagen.

Quellen und Literatur

  • D.I. Mayer, Verz. von Erdbeben und vulkan. Ausbrüchen besonders mit Bezug auf Erdbeben in der Schweiz, Ms., 1859 (KBSG)
  • Jber. des Schweiz. Erdbebendienstes, 1881-1974
  • J. Candreia, Zur Chronik der Erdbeben in Graubünden bis zum Jahre 1879, 1906
  • M. Weidmann, Erdbeben in der Schweiz, 2002
  • Nachbeben: eine Gesch. der Erdbeben in der Schweiz, hg. von M. Gisler et al., 2008
Weblinks

Zitiervorschlag

Dieter Mayer-Rosa: "Erdbeben", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.02.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007782/2015-02-12/, konsultiert am 28.03.2024.