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MailandHerzogtum

Unter der Herrschaft der Visconti bildete sich in den 1330er und 1340er Jahren ein regionaler lombardischer Staat. Formal entstand das Herzogtum Mailand, dessen Territorium sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder veränderte, 1395, als Kaiser Wenzel Gian Galeazzo Visconti den Herzogstitel verlieh. In der Geschichte des Herzogtums, das 1797 in die Cisalpinische Republik eingegliedert wurde und damit zu existieren aufhörte, lassen sich vier Hauptphasen unterscheiden: die Zeit der Visconti und Sforza (1395-1499), die turbulenten Jahre der Mailänderkriege, die spanische (1535-1706) und schliesslich die österreichische Fremdherrschaft (1714-1797).

Das Tessin unter Mailänder Verwaltung

Im 14. Jahrhundert dehnte Mailand seine Herrschaft über alle bis dahin Como unterstellten Gebiete sowie über die im heutigen Kanton Tessin gelegenen ambrosianischen Enklaven aus. Zu seinem grossen Machtbereich, dessen Zentrum die Stadt und Region Mailand war, gehörte der ganze Raum zwischen dem Hinterland Comos und der Wasserscheide der Zentralalpen. Diese Gebiete waren nicht nur wirtschaftlich bedeutend wegen der Handelswege über die Tessiner Pässe, die Teil eines komplexen, vom Simplon bis zum Stilfserjoch reichenden Verkehrssystems waren, sondern auch militärisch und strategisch, weil sie die Verteidigung und Kontrolle des Territoriums sicherten. Die Tessiner Gebiete exportierten die eigenen Erzeugnisse (Milchprodukte, Handwerksware sowie ab dem späten 15. Jahrhundert v.a. Vieh und Holz) ins Herzogtum, aus dem sie ihrerseits lebensnotwendige Güter (v.a. Korn und Salz) importierten. Mailand zog überdies Auswanderer aus dem Gebiet der heutigen italienischen Schweiz an; mehrere herausragende Persönlichkeiten machten am Hof des Herzogs politisch oder militärisch Karriere, andere spielten als Künstler oder Kunsthandwerker eine wichtige Rolle (Maestranze).

Das Territorium des Herzogtums veränderte sich mehrfach wegen politischer Entwicklungen, Verwaltungsmassnahmen oder Kriegen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde das heutige Sottoceneri aus der Abhängigkeit der Stadt Como gelöst und verwaltungsmässig in die Land- und Talschaft Lugano, die Landschaft Mendrisio und die Pieve Balerna unterteilt, die sich in der Folge mehrmals vereinten und wieder trennten. Nachdem Uri die Herrschaft über die Leventina 1439/1441 erlangt hatte, bildeten sich auch in der Riviera neben den schon lange bestehenden (Biasca, Claro, Osogna und Cresciano) neue Verwaltungseinheiten (Vikariate von Lodrino und Iragna). Zeitlich beschränkte Abspaltungen und Wiedereingliederungen erfolgten ebenfalls im Locarnese sowie im Verzasca-, Maggia- und Lavizzaratal. Die einzelnen Herrschaftsgebiete der Visconti und der Sforza unterschieden sich bezüglich der Verwaltungsorganisation. In Bellinzona und in der Leventina (bis 1439) regierten immer einheimische Vertreter der Herzöge, während andere Herrschaften für mehr oder weniger lange Zeitspannen als Lehen vergeben wurden: Das Locarnese unterstand mit dem Maggia- und dem Verzascatal 1439-1513 bis auf einige kurze Unterbrechungen den Grafen Rusca, das Luganese, Mendrisio und Balerna wurden von den Familien Rusca und Sanseverino sowie von Ascanio Maria und Ottaviano Maria Sforza, Verwandten des Herzogs, kontrolliert. Die Geschicke des Bleniotals und Biascas lagen 1356-1402 in den Händen von Giovanni Pepoli und dessen Söhnen aus Bologna. Einigen Dorfgemeinschaften gewährten die Herzöge weitreichende steuerliche und gerichtliche Privilegien, so zum Beispiel den Orten Sonvico, Morcote und Carona, die deswegen als abgesonderte Gemeinden (terre separate) bezeichnet wurden.

Mit ihren Angelegenheiten konnten sich die Landschaften an die Vertreter der Herzöge oder der Lehensträger wenden, die in den diversen borghi oder den lokalen Hauptorten residierten (podestà, commissari, capitani, vicari, conestabili usw.). Diese präsidierten die lokalen Gemeinde- und Ratsversammlungen, hatten umfangreiche Verwaltungskompetenzen, übten richterliche Funktionen aus und überwachten die Abgabe von Steuern und Gebühren an die herrschaftliche Finanzverwaltung. Sie nahmen auch Aufgaben im Rahmen der geistlichen Herrschaft wahr und kontrollierten insbesondere die Zuteilung von Pfründen, wobei sie aber die Rechte der Gemeinden gegenüber dem örtlichen Klerus respektierten. In den Beziehungen zur Herrschaft konnten die Landschaften zudem auf die Protektion durch einflussreiche Förderer in der herzoglichen Verwaltung und am Mailänder Hof zählen. Die Kastlane, welche die Garnisonen der Festungen von Bellinzona, Locarno, Lugano, Sonvico, Morcote und Capolago befehligten, waren dagegen direkt dem Herzog unterstellt und aus dem lokalen administrativen Klüngel gelöst.

Die Beziehungen zwischen dem Zentrum Mailand und dessen verschiedenen Randgebieten waren unterschiedlich eng. Deren Intensität hing von dem Autonomiegrad der jeweiligen Landschaft, von der fiskalischen Belastung und der Möglichkeit des Zugangs zu den lombardischen Märkten sowie der aktuellen diplomatischen und militärischen Konstellation ab. Die Zugehörigkeit zum Herzogtum, welche die Bevölkerung des Sottoceneri bis in die letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts nie in Frage gestellt hatte, wurde auch von der Stadt Bellinzona 1500, also kurz vor der Unterstellung unter die eidgenössische Herrschaft, noch einmal bestätigt. Die drei Ambrosianischen Täler hingegen, die dem eidgenössischen Expansionsdrang ausgesetzt waren und in engem Kontakt zu den Gebieten nördlich der Alpen standen, forderten von Mailand wiederholt eine bevorzugte Behandlung; sie verlangten insbesondere auch die Zollprivilegien, welche die eidgenössischen Orte in Mailand genossen. Die Grafen Rusca schliesslich, die ihre Ansprüche auf die Stadt Como nie aufgegeben hatten, lavierten zwischen Mailand und den Eidgenossen. Die Krise des Herzogtums im ausgehenden 15. Jahrhundert brachte das Ende der Mailänder Herrschaft über das Tessin.

Die mailändisch-eidgenössischen Beziehungen

Beziehungen zur Eidgenossenschaft

Im 14. und im frühen 15. Jahrhundert standen Probleme des Handels und der Transitachsen in den Beziehungen zwischen dem Herzogtum und der Eidgenossenschaft zunächst im Vordergrund, dann bewogen das Interesse am Gotthardverkehr und das nach dem Tod Gian Galeazzo Viscontis 1402 entstandene Machtvakuum Uri und Obwalden, ihren Einfluss auf die Gebiete südlich der Alpen auszudehnen. Dazu setzten sie teils auf diplomatische (Mailänder Kapitulate), teils auf militärische Mittel (Ennetbirgische Feldzüge). Das Herzogtum geriet gegenüber diesen Bestrebungen zunehmend in die Defensive, was die Erweiterungen und Verstärkungen der Befestigungen in Bellinzona zeigen. Während der Mailänderkriege erreichten die militärischen Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt; 1512 setzten die Schweizer den jungen Massimiliano Sforza als Herzog in Mailand ein. Mit dem Ewigen Frieden und der Errichtung der ennetbirgischen Vogteien, durch welche die Tessiner Gebiete vor 1521 endgültig unter eidgenössische Hoheit gelangten, fand die Südexpansion der Eidgenossenschaft ihren Abschluss.

Gastmahl des Mailänder Statthalters Ferdinand von Habsburg, des Spanischen Infanten (auch Kardinal-lnfant genannt), zu Ehren der Schweizer, 1633. Radierung von M. Gerardini (Biblioteca Ambrosiana, Mailand).
Gastmahl des Mailänder Statthalters Ferdinand von Habsburg, des Spanischen Infanten (auch Kardinal-lnfant genannt), zu Ehren der Schweizer, 1633. Radierung von M. Gerardini (Biblioteca Ambrosiana, Mailand). […]

Während der spanischen Herrschaft in Mailand (1535-1706) spielten Handels- und Zollprobleme in den Beziehungen zwischen Mailand und der Eidgenossenschaft eine gewisse Rolle; das 1552 erneuerte Kapitulat mit Mailand garantierte weiterhin die Versorgung der Eidgenossenschaft und insbesondere der Tessiner Vogteien mit Getreide und Salz aus der Lombardei. Zentral für die Beziehungen war aber die Regelung der militärischen und sicherheitspolitischen Aspekte; der entsprechende Bündnisvertrag, den die katholischen Orte 1587 mit Spanien geschlossen hatten, wurde mehrfach verlängert. Die Vereinbarungen beinhalteten das gegenseitige Recht auf freien Truppendurchzug, das den Spaniern den im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts häufig benützten Camino de Suizos von Mailand durch die katholische Innerschweiz nach Basel in Richtung Niederlande oder Vorderösterreich öffnete, Hilfeleistungen im Falle eines Angriffs mit Truppen und Geld, die Anwerbung von Söldnern durch Spanien sowie die grossen, an die Führungsschichten der eidgenössischen Orte zu entrichtenden Pensionsgelder. Weitere Abmachungen zwischen den Kantonen und den mailändischen Behörden betrafen die Eindämmung der Pest (1585) sowie die gemeinsame Bekämpfung des Räuberunwesens im Grenzgebiet (1587/1598, 1614 und 1635).

Zur Zeit der österreichischen Herrschaft (1714-1797) lockerten sich die Beziehungen Mailands zur Eidgenossenschaft, da die strategische Bedeutung der Kantone für das Herzogtum im Vergleich zu jener der Drei Bünde und deren südlichen Herrschaftsgebiete abgenommen hatte. Die Erstellung des theresianischen Katasters, eines amtlichen Verzeichnisses aller Grundstücke, machte auch eine genauere Festlegung der Territoriumsgrenzen notwendig; die Ergebnisse dieser Bereinigung wurden im Vertrag von Varese 1752 festgehalten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts versuchte die österreichische Regierung des Herzogtums, die Handels- und Zollprivilegien der eidgenössischen Orte abzuschaffen.

Beziehungen zum Wallis

Schon im 12. Jahrhundert hatten Walser höher gelegene Zonen des Val d'Ossola kolonisiert, das 1381 unter mailändische Herrschaft fiel. Schwierigkeiten im Handelsverkehr und Expansionsdrang führten ab 1410 zu mehreren Feldzügen der Eidgenossen und der Walliser ins Val d'Ossola, die – auch wegen der Niederlage von Arbedo 1422 – schliesslich 1426 mit einem Misserfolg endeten. Einen weiteren Eroberungsversuch des Sittener Bischofs Jost von Silenen vereitelten 1487 die herzoglichen Truppen. Die Eidgenossen konnten zwar das Tal 1512 einnehmen und auch bis 1515 behaupten; ihr Herrschaftsanspruch wurde aber, im Unterschied zu demjenigen auf das Tessin und dem bündnerischen auf das Veltlin, vom französischen König Franz I. nicht anerkannt, weil Frankreich dem Val d'Ossola grosse strategische Bedeutung zumass. Danach unterblieben weitere Versuche der Eidgenossenschaft und des Wallis, das Tal zu erobern. Im Vertrag von Worms 1743 trat das Herzogtum Mailand das Val d'Ossola an das Königreich Sardinien ab. Als Handelsstrasse spielte die Simplonroute eine wichtige Rolle. Dank der Privilegien, die Kaspar Stockalper vom Thurm 1634 mit Mailand ausgehandelt hatte, erfuhr der Transithandel während des Dreissigjährigen Kriegs und der folgenden Jahrzehnte eine beträchtliche Ausweitung.

Beziehungen zu den Drei Bünden

Das Grenzgebiet am Comersee und am Lago di Mezzola zwischen dem Herzogtum Mailand und Graubünden. Handgezeichnete Karte aus der Sammlung des Ingenieurs Johann Ardüser, um 1640 (Zentralbibliothek Zürich).
Das Grenzgebiet am Comersee und am Lago di Mezzola zwischen dem Herzogtum Mailand und Graubünden. Handgezeichnete Karte aus der Sammlung des Ingenieurs Johann Ardüser, um 1640 (Zentralbibliothek Zürich). […]

Die wichtigsten Bündner Pässe (Julier-Maloja, Septimer, Splügen) führten nach Chiavenna, das vor dem 16. Jahrhundert mailändisches Gebiet war. Die Kontrolle dieser Pässe bzw. des Handelsverkehrs war ein ständiges Thema in den Beziehungen zwischen Mailand und den Drei Bünden. Chiavenna, Bormio und das Veltlin waren ab dem späten 15. Jahrhundert Ziele der bündnerischen Expansionspolitik und wurden trotz der Festungsanlagen, die Ludovico Sforza (il Moro) zur Verteidigung errichtet hatte, 1512 unterworfen. Mailand akzeptierte diese territoriale Veränderung erst 1532 nach dem Ende der Müsserkriege, in denen es die Drei Pleven am Nordende des Comersees wieder eingenommen hatte. Mailand bemühte sich während des 16. Jahrhunderts mit wenig Erfolg in den diplomatisch zu Frankreich und Venedig neigenden Drei Bünden um mehr Einfluss. In der ersten Phase des Dreissigjährigen Kriegs, nach dem Veltliner Mord von 1620, besetzten spanische Truppen das Veltlin, um die Reformation zu unterdrücken und die Strassenverbindungen von Mailand ins Tirol bzw. ins habsburgische Österreich zu sichern. Die Drei Bünde erlangten die Kontrolle über ihr Untertanengebiet erst nach den Bündner Wirren durch das Erste Mailänder Kapitulat von 1639 zurück, das Mailand ein Interventionsrecht in die bündnerische Verwaltung im Veltlin vorbehielt und die Ausübung des reformierten Kultus dort untersagte. Nachdem das Herzogtum an Österreich übergegangen war, wurde 1726 ein Zweites Kapitulat abgeschlossen, das im Wesentlichen die Bestimmungen von 1639 bestätigte. Die Forderungen der Bünde nach der Zulassung des reformierten Kultus im Veltlin und der Aufhebung der von Österreich neu eingeführten Zölle blieben unerfüllt. Etwas vorteilhafter fiel das Dritte Mailänder Kapitulat aus, das 1763 zustande kam, als sich eine bündnerisch-venezianische Annäherung abzeichnete. Österreich machte den Drei Bünden geringfügige territoriale Konzessionen und gewährte einige Handelserleichterungen. Zudem wurden die Pensionen erhöht und die Studienfreiplätze am Collegium Helveticum vermehrt. Im Gegenzug gaben die Bünde das Projekt eines Ausbaus der Marcusstrasse von Bergamo nach Morbegno auf, an dem vor allem Venedig gelegen war.

Quellen und Literatur

  • Storia di Milano 5-12, 1955-1959
  • Handbuch der Schweizer Geschichte, 2 Bde., 21980, Bd. 1, v.a. 285-292, 324 f., 348-358, 604-633; Bd. 2, 685, 703
  • R. Bolzern, Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft, 1982
  • D. Blumenthal, Die Drei Bünde 1535 bis 1565: unter besonderer Berücksichtigung der Bündnisverhandlungen mit Frankreich und Mailand, Dissertation Zürich, 1990
  • G. Vismara et al., Ticino medievale, 1990
  • Kaspar Jodok Stockalper und das Wallis, hg. von L. Carlen, G. Imboden, 1991
  • A. Wendland, Der Nutzen der Pässe und die Gefährdung der Seelen: Spanien, Mailand und der Kampf ums Veltlin, 1620-1641, 1995
  • Comuni e signorie nell'Italia settentrionale: La Lombardia, 1998
  • Handbuch der Bündner Geschichte 2, 2000
  • R. Ceschi, «La Lombardia svizzera», in Storia della Svizzera italiana dal Cinquecento al Settecento, hg. von R. Ceschi, 2000, 15-44
  • Storia del Ticino. Antichità e Medioevo, hg. von P. Ostinelli, G. Chiesi, 2015
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Paolo Ostinelli; Hans Stadler: "Mailand (Herzogtum)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.07.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006632/2013-07-18/, konsultiert am 29.03.2024.