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Oberwinterthur

Ehemalige politische Gemeinde des Kantons Zürich, Bezirk Winterthur, seit 1922 Stadtkreis von Winterthur. Der Dorfkern liegt am südöstlichen Abhang des Lindbergs und an der Strasse Winterthur-Frauenfeld. Die Gemeinde umfasste die Zivilgemeinden Grundhof, Hegi, Reutlingen, Ricketwil, Stadel und Zinzikon, die vor 1798 teils Dorfgemeinden, teils Höfe waren. 843 Venterdura, 856 Winterduro; 1180 Oberunwinterture im Gegensatz zum vorstädtischen Niderunwinterdure. 1467 54 Haushalte mit ca. 355 Einwohnern; 1634 872 Einwohner; 1689 1455; 1729 1593; 1836 2089; 1850 2158; 1900 3206; 1920 4432.

In Oberwinterthur wurden eine römische Station und ein gallorömischer Vicus gefunden (Vitudurum). Die lokalen Ortsnamen weisen auf eine alemannische Besiedlung im 6. Jahrhundert hin. Die hohe Gerichtsbarkeit befand sich ab 1094 bei den Kyburgern und gelangte 1452 mit der Grafschaft Kyburg definitiv an die Stadt Zürich. Oberwinterthur wurde Teil des Enneramts der Landvogtei Kyburg. Das Vogtgericht war ein Frevelgericht, das offenbar das Niedergericht miteinschloss. Es kam von den Freiherren von Klingen faktisch ca. 1445, rechtmässig 1471/1472 an die Grafen von Fürstenberg. Lehensträger waren die ab 1363 auf der Mörsburg residierenden Herren von Goldenberg, ab 1569 die Herren von Hallwyl auf Hegi. 1587 erwarb Zürich die Vogtei. Grundherr war im Früh- und Hochmittelalter das Bistum Konstanz, wohl infolge einer Schenkung des merowingischen Königs Dagobert I. zwischen 622 und 629. Die Grundherrschaft gelangte zwischen 1155 und 1250 an das Kloster Petershausen und wurde von diesem 1580 Zürich verkauft. Das Meieramt Oberwinterthur ist urkundlich im 13. Jahrhundert erwähnt und wurde vermutlich durch die Bischöfe von Konstanz bereits im Mittelalter, und nicht erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, verliehen. Es war zuerst Lehen des Ortsadels, kam ca. 1366 an die Herren von Goldenberg, gelangte nach deren Aussterben 1569 an die Familie Blarer von Wartensee und 1598 mit der Herrschaft Mörsburg an die Stadt Winterthur. Die Rechte von Gerichtsherr und Dorfgemeinde wurden 1472 schriftlich festgehalten. 1560 erhielt Oberwinterthur den ersten Einzugsbrief.

Die 843 erstmals erwähnte und innerhalb der Mauern des ehemaligen römischen Kastells Vitudurum erbaute Kirche mit dem erst im 14. Jahrhundert belegten Patron St. Arbogast ist vermutlich eine Stiftung Dagoberts I. auf Fiskalgut. Gräber christlicher Romanen im Kirchenraum und ein im ausgehenden 6. Jahrhundert angelegter Friedhof weisen auf mindestens einen, wohl hölzernen Vorgängerbau hin. Das Patronatsrecht gelangte zwischen 1155 und 1250 vom Bistum Konstanz an Petershausen; die 1350 verfügte Inkorporation wurde erst 1419 vollzogen. Die Urpfarrei Oberwinterthur gehörte im Archidiakonat Thurgau zum Dekanat Dinhard-Winterthur. Das weitläufige Kirchspiel Oberwinterthur erstreckte sich im Mittelalter bis Töss und umfasste bis um 1650 ganz Seen. Nordost- und Westgrenze sind unsicher. Ob vor 1180 zeitweilig auch noch der engste Teil des Altstadtgebiets von Winterthur dazugehörte und nicht nur (bis 1482) die Quartiere Ober- und Untertor sowie die Neustadt, bleibt angesichts der ab dem 7. und 8. Jahrhundert auf dem Platz der heutigen Stadtkirche nachgewiesenen Kirchenbauten umstritten. Das Jahrzeitbuch von Oberwinterthur ist teilweise erhalten. Die karitative Institution des Bruderhauses blieb nach der Reformation bestehen.

Ausschnitt der Wandmalerei aus dem beginnenden 14. Jahrhundert an der Südwand des Mittelschiffs der reformierten Kirche St. Arbogast, Zustand nach der Restaurierung von 1976-1981 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Kuno Gygax).
Ausschnitt der Wandmalerei aus dem beginnenden 14. Jahrhundert an der Südwand des Mittelschiffs der reformierten Kirche St. Arbogast, Zustand nach der Restaurierung von 1976-1981 (Kantonale Denkmalpflege Zürich; Fotografie Kuno Gygax). […]

Oberwinterthur blieb bis um 1900 eine ausgesprochene Rebbauerngemeinde; daneben wurden Graswirtschaft und Ackerbau betrieben. In den dörflichen Handwerken und Gewerben waren 1771 45 Leute beschäftigt, unter anderem vier Müller in den drei ausserhalb des Dorfs liegenden Mühlen, zwei Viehärzte, ein Chirurg und der Wirt der ehaften Taverne Zum Weissen Rössli. 1849 begann die Industrialisierung in Oberwinterthur mit der Baumwollzwirnerei und Baumwollfärberei samt Maschinenfabrik von Jakob Jaeggli (1975-1976 nach Rümikon verlegt). Es folgten unter anderen 1880 die Gelatinefabrik Winterthur, 1883 die Baufirma Corti & Co. und 1893 die Chemische Fabrik Jetzler sowie als Niederlassungen auswärtiger, meist Winterthurer Unternehmen unter anderen 1900 die Feilenfabrik Rudolf Schwarz, 1902 die Seifen- und Kerzenfabrik Sträuli & Cie., 1907 das Zweigwerk Oberwinterthur der Gebr. Sulzer AG und 1920 die Ablage der Sauerstoff- und Wasserstoff-Werk Luzern AG. Manche dieser Firmen liessen sich vor allem wegen der Bahnanschlüsse im Quartier Grüze nieder. Von den 1396 Erwerbstätigen Oberwinterthurs arbeiteten 1900 deren 462 auswärts, davon 442 in Winterthur. Für Industrie, Handwerk und Gewerbe waren die Anschlüsse von Oberwinterthur an die Bahnlinien Winterthur-Romanshorn (1855) und an die Schweizerische Nationalbahn (1875) sowie die Tösstalbahn (1875) von Bedeutung. Bis 1917 bestimmte die sogenannte demokratisch-bäuerliche Bewegung das politische Leben in Oberwinterthur. Kulturell und politisch bedeutend war die 1863 gegründete Monatsgesellschaft. Trotz zunächst starker Opposition stimmte die Gemeinde 1919 der Eingemeindung klar zu.

Quellen und Literatur

  • H. Beck, Die Winterthurer Eingemeindung unter besonderer Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse, 1934
  • H. Kläui, Gesch. von Oberwinterthur, 2 Bde., 1968-1971
  • H. Wyler, «Die Gem. Oberwinterthur vor der Eingemeindung», in Winterthurer Jb. 1972, 75-88
  • Die ref. Kirche St. Arbogast in Oberwinterthur, 1981
  • C. Jäggi et al., Die Stadtkirche St. Laurentius in Winterthur, 1993
Von der Redaktion ergänzt
  • Dejung, Emanuel; Zürcher, Richard: Die Stadt Winterthur, 1952, S. 285-314 (Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, 6).
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Alfred Häberle: "Oberwinterthur", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003121/2010-09-14/, konsultiert am 17.04.2024.