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Grenchen

Politische Gemeinde des Kantons Solothurn, Hauptort des Bezirks Lebern. Zweitgrösste Stadt des Kantons Solothurn mit viel Uhrenindustrie und Zulieferbetrieben. Grenchen mit dem Weiler Staad erstreckt sich von der Aareebene (Witi, 430 m) bis auf die erste Jurakette (Oberer Grenchenberg, 1348 m). Auf Gemeindegebiet steht das Bachtelen-Bad. 1131 Granechun, französisch Granges. 1796 754 Einwohner; 1850 1581; 1900 5202; 1930 10'397; 1950 12'650; 1960 18'000; 1970 20'051; 1980 16'800; 2000 15'938.

In Grenchen wurden ein grosser Schalenstein aus dem Neolithikum im Breitholz, bronzezeitliche Werkzeuge und Waffen beim Hinzihöfli, eine römische Villa sowie burgundische Gräberfelder mit Gürtelschnallen im Eichholz ausgegraben. Um 500 zählte das Gebiet zum burgundischen Reich. Das zum Bistum Lausanne gehörige Grenchen war Stammsitz der edelfreien Herren von Grenchen. Im 11. Jahrhundert gehörte Grenchen den Grafen von Fenis (Kirchengründung vor 1100), im 12. Jahrhundert den mit diesen verwandten Herren von Grenchen und in der Mitte des 12. Jahrhunderts den hochadeligen Freiherren von Strassberg aus der Linie Neuenburg-Nidau mit Stammsitz bei Büren an der Aare, die 1345 die Rechte über Grenchen an die Stadt Solothurn verpfändeten. 1379 erwarben die Habsburger Grenchen. Nachdem sich die Städte Solothurn und Bern gegen den landsässigen Adel in der Territorialpolitik durchgesetzt hatten, kam Grenchen 1388 zunächst unter die gemeine Herrschaft beider Städte, danach 1393 als Gerichtsort allein an Solothurn als Teil der Vogtei Lebern. Der Kirchensatz blieb bis 1539 bei Bern. In der Wallfahrtskirche Allerheiligen (Kapelle seit dem 16. Jahrhundert, Erweiterungsbau 1683) wurde 1864 die "Solothurner Madonna" von Hans Holbein dem Jüngeren von 1522 entdeckt. 1806-1812 wurde die katholische Pfarrkirche, 1901 die christkatholische Kirche erbaut und 1860 eine reformierte Kirchgemeinde gegründet.

1185 ist die erste Mühle in Grenchen bezeugt, im 18. Jahrhundert waren deren fünf im Betrieb. Im 17. Jahrhundert wurde in einer Gipsgrube Alabaster gewonnen, ab 1763 bestand eine Gerberei, ab 1799 eine Hafnerei. Die Bohnerz-Schmelze am Jurahang war nur wenige Jahre nach 1700 in Betrieb, bevor sie aus Gründen des Waldschutzes eingestellt wurde. Der Abbau von Huppererde (weissem feuerfestem Ton, der sich als Schmelztiegel eignete und im Ofenbau Verwendung fand) an der Grenze zu Lengnau (BE) ist 1776 erstmals erwähnt (1887 Gründung einer Firma, Abbau bis Ende der 1940er Jahre). Weitere Gewerbe bestanden in zwei ab dem 15. Jahrhundert nachgewiesenen Sägereien, der Salpeterherstellung ab 1555, Zementfabriken ab 1830 und einer Ziegelbrennerei 1833-1921. Die Bevölkerung setzte sich 1768 zusammen aus 67 Bauern, 105 Halbbauern, 162 Taunern, 28 Hintersässen sowie 17 Armen. Die Dorfbriefe von 1752 und 1795 regelten das Bürgerrecht und die Einkaufssummen.

In den liberalen Regenerationsjahren des 19. Jahrhunderts war Grenchen ein Zentrum radikal-demokratischer Gesinnung; das zeigte die starke Grenchner Beteiligung am Balsthaler Volkstag 1830, auf dem die demokratische Neuordnung des Kantons festgelegt wurde. 1835-1837 fanden im Ausland verfolgte Radikaldemokraten, unter anderen Karl Mathy und Giuseppe Mazzini, in Grenchen Zuflucht. 1839 wurde die moderne Hauptstrassenverbindung nach Solothurn eröffnet.

Blick auf die Uhrenrohwerk-Fabrik Ebauches SA. Fotografie, nach 1926 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Photoglob).
Blick auf die Uhrenrohwerk-Fabrik Ebauches SA. Fotografie, nach 1926 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Eidgenössisches Archiv für Denkmalpflege, Sammlung Photoglob). […]

Die Landwirtschaft dominierte das Dorfbild bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Durch erste Entsumpfungsmassnahmen ab 1878 und Bachkorrekturen ab 1920 sowie grosse Entwässerungsarbeiten und Güterzusammenlegungen 1921-1926 wurde einerseits neues Kulturland gewonnen, andererseits ging ein Teil der Naturlandschaft Witi verloren. Die aus der Westschweiz eingeführte und von der Wasserkraft des Dorfbaches versorgte Uhrmacherei fasste 1851 Fuss; in den folgenden Jahren wurden zahlreiche kleine Ateliers für die Ebauchesfabrikation und Finissage gegründet. Die Gemeinde begann – vorerst ohne Unterstützung des Kantons – mit der systematischen Förderung der Ausbildung einheimischer Fachkräfte. Die Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Grenchen nach Bellach 1857 führte zu einer Aufwertung des jungen Industriestandortes und zu einem starken Bevölkerungsanstieg (1850-1870: + 60%). Der Aufschwung der Uhrenindustrie setzte sich bis zur Jahrhundertwende mit kontinuierlichen Neugründungen von Fabriken fort. Parallel dazu entwickelten sich vielfältige Hilfsindustrien. Die wirtschaftlichen und demografischen Umwälzungen erforderten 1877 die Ausscheidung der Gemeindegüter zwischen Einwohner- und Bürgergemeinde.

Mit der Eröffnung des Grenchenbergtunnels 1915 wurde Grenchen an die internationale Nord-Süd-Transversale Frankreich-Basel-Bern-Lötschberg-Simplon-Italien angeschlossen. Der an den Jurafuss hinaufführende Viadukt dieser Linie und die Strecke Solothurn-Biel zerschnitten Grenchen in vier Teile und veränderten dadurch das Stadtbild erheblich.

Zwischen den zwei kurzfristigen Krisen von 1914 und 1918 (Generalstreik) wurden mindestens 19 neue Betriebe gegründet. In der stark exportorientierten Uhrenindustrie widerspiegelte sich die Konjunktur der Weltwirtschaft. So trafen die Einbrüche von 1921-1923 und 1929-1933 den Werkplatz Grenchen massiv. 1926 setzte die Serienproduktion von automatischen Uhren ein.

Der 1931 eröffnete Regionalflugplatz mit Konstruktionswerkstätte brachte einen Aufschwung. Grenchen entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem regionalen Zentrum für den Bezirk Lebern und das angrenzende Berner Seeland. Mit dem Spital (1953), dem Kulturzentrum Parktheater (1955) und dem Haldenschulhaus wurden die Zentrumsfunktionen ausgebaut. Kulturelle Bedeutung erlangte Grenchen mit der internationalen Grafik-Triennale. Während der Hochkonjunktur erfolgte eine massive Zuwanderung, ein Trend, der mit der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre ein Ende fand. Durch die zahlreichen Umstrukturierungen und Entlassungen in der Uhrenindustrie und in den übrigen Branchen des 2. Sektors ging die Bevölkerungszahl zurück. Infolge der Ansiedlung von neuen Firmen ab den 1990er Jahren konnte dieser Abwärtstrend gebremst werden.

Quellen und Literatur

  • W. Strub, Heimatbuch Grenchen, 1949
  • H. Kaufmann, P. Zurschmiede, Grenchen, 1974
  • S. Moser Schmidt, E. Leimer, Der Beginn der Uhrenindustrie in Grenchen und Bettlach, 2001
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Urs Zurschmiede: "Grenchen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.01.2007. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001148/2007-01-23/, konsultiert am 29.03.2024.