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Guttannen

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Amtsbezirk Oberhasli. Die 200 km2 grosse Berggemeinde an der Strasse zum Grimselpass umfasst das Quellgebiet der Aare. Ihr Territorium besteht zu über 90% aus unfruchtbarem Land. Es reicht vom engen Talgrund auf 800-1300 m Meereshöhe mit den beiden Siedlungskernen Guttannen und Boden, die beide Bäuertgemeinden bilden, bis in die hochalpine Zone, in der mit der Finsteraarhorngruppe die höchsten Gipfel des Berner Oberlands liegen. 1377 Guotentannon. 1764 288 Einwohner; 1850 506; 1900 345; 1920 298; 1950 557; 2000 328.

Im Mittelalter teilte Guttannen die Geschicke der Reichsvogtei Hasli, mit der es 1334 an Bern kam. 1798-1803 gehörte Guttannen zum Kanton Oberland, dann ab 1803 zum bernischen Oberamt bzw. Amtsbezirk Oberhasli. Guttannen war Teil des mittelalterlichen Kirchspiels Meiringen, wurde 1713 Innertkirchen zugeteilt und bildet seit 1816 eine selbstständige Kirchgemeinde. Die 1467 geweihte Kapelle der Talgenossen, die nicht mit einem Taufrecht, sondern nur mit einem Notbestattungsrecht ausgestattet war, wurde in nachreformatorischer Zeit als Filiale benützt und 1722 erweitert. Nach einem Dorfbrand wurde 1723 ein neuer Saalbau erstellt, der seit 1816 als Pfarrkirche dient.

Haupterwerb war bis ins 20. Jahrhundert die Viehwirtschaft im Tal- und Alpbetrieb; Meiringen fungierte als zentraler Vieh- und Käsemarkt für den Export ins Unterland und die Lombardei. Zu den Ganzjahresbetrieben im Tal gehören private Äcker und Heuwiesen (Winterung acht Monate). Während in der Bäuert Boden die Alpweiden (Kuh-, Ziegen-, Schafalpen) noch heute mehrheitlich privat sind, sind sie in Guttannen Bäuertbesitz und werden nach alter Tradition unter einem Alpvogt gemeinsam bestossen; Alphütten und -ställe sind dagegen privat. Weideordnungen – die älteste datiert von 1558 – regeln Auftriebsrechte und Alptermine; das Schneefluchtrecht, das den Bestössern der Oberaaralp die Schutzsuche auf der Niederaaralp erlaubte, wird schon 1485 erwähnt. Heute werden auf den Alpen Rinder gesömmert; eine Alpkäserei wird nur in der Handegg betrieben, die Eigentum der Kraftwerke Oberhasli (KWO) ist. Verschiedene Alpen, unter anderem die Oberaaralp, die vom Walliser Dorf Törbel genutzt wurde, sind heute von Stauseen überflutet. In der wildwasser- und lawinengefährdeten Gemeinde sind die Wälder Gemeinbesitz.

Die Kargheit des Gebiets machte Nebenerwerb nötig; dazu zählten Handwerk, Waldarbeit und Wegunterhalt, Strahlen (Kristallsuchen, vor allem seit Grossfunden am Zinkenstock 1719 und 1732/1733) sowie der Abbau von Bleierz in der Rotlaui (wenig ergiebig) und von Giltstein zur Ofenherstellung. Um der verbreiteten Armut zu entgehen, begaben sich viele Männer bis ins 19. Jahrhundert in fremde Dienste. Viele wanderten auch aus, im 17. und 18. Jahrhundert nach Deutschland (u.a. Württemberg), im 18. und 19. Jahrhundert nach Nordamerika (Carolina, Pennsylvania, Kentucky).

Vom Passverkehr über die Grimsel (Zollstätte in Ägerstein, vom 17. bis ins 19. Jh. in Guttannen oder Boden) profitierten einheimische Säumer, Vieh- und Pferdehändler. Die Fahrstrasse – 1873-1886 wurde das Teilstück von Innertkirchen nach Guttannen, 1894-1895 dasjenige über den Pass erstellt – eröffnete Fuhrhaltern und Kutschern Verdienstmöglichkeiten; von 1895 an verkehrten regelmässige Postkurse. Mit der modernen Passstrasse (1960-1986) kam der Ausflugstourismus auf. Vor allem der Kraftwerkbau brachte der Gemeindebevölkerung Wohlstand. 1925-1972 entstanden fünf Kraftwerke und sechs Stauseen mit den Zentralen Handeck I bis III und Grimsel I und II auf Gemeindegebiet; die 1925 gegründete KWO sind heute wichtigster Arbeitgeber. Mit dem neuen Verdienst sank die Landwirtschaft zum Nebenerwerb ab.

Die Erstbesteigungen der Alpengipfel, die Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzten (u.a. 1811/1812 Finsteraarhorn), und die Erforschung der Tal- und Hängegletscher seit den 1830er Jahren durch Naturforscher wie Louis Agassiz begründeten den touristischen Alpinismus mit einheimischen Bergführern. Populär ist heute auch das Freiklettern (u.a. an Mittagflühe, Handeggblatten).

Kutschenverkehr im Dorfzentrum. Postkarte, um 1900 (ViaStoria, Stiftung für Verkehrsgeschichte).
Kutschenverkehr im Dorfzentrum. Postkarte, um 1900 (ViaStoria, Stiftung für Verkehrsgeschichte). […]

Schulen bestanden ab dem 17. Jahrhundert in den beiden Dorfkernen Boden und Guttannen. Heute befinden sich die Primarschule in Guttannen, der Kindergarten in Boden und die Sekundarschule in Meiringen.

Quellen und Literatur

  • F. Nussbaum, Grundzüge einer Heimatkunde von Guttannen im Haslital, 1925
  • H. Schläppi-Caprez, Gem. Guttannen, 1991
  • D. Wolf, Bauinventar der Gem. Guttannen, 2004
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Guttannen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000468/2014-10-15/, konsultiert am 29.03.2024.